Wien (universität) - Unser Verständnis der Welt baut größtenteils auf grundlegenden Wahrnehmungen
auf, wie z.B. auf dem Aufeinanderfolgen von Ereignissen in einer wohl-definierten Ordnung. Solche eindeutigen Abfolgen
sind in unserer Alltagswelt unabdingbar. In der Quantenwelt jedoch kann dieses Aufeinanderfolgen "durcheinandergebracht"
werden: Unterschiedliche Reihenfolgen, in denen Quantenoperationen ablaufen, können trotzdem zugleich stattfinden
– die Wissenschaft spricht dabei von "Superposition". Einem Team von PhysikerInnen der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften und der Universität Wien um Philip Walther ist die erste experimentelle Quantifizierung
einer solchen Superposition gelungen. Die Ergebnisse werden in "Science Advances" veröffentlicht.
Wenn WissenschafterInnen die Natur mittels physikalischer Gesetze beschreiben, setzen sie oft bei Erfahrungen aus
dem Alltag an. In der Quantenwelt allerdings ist unsere herkömmliche Intuition nicht brauchbar. Kürzlich
haben PhysikerInnen festgestellt, dass uns die Quantentheorie zwingt, selbst essentielle Konzepte wie z.B. die
Ordnung, in der Dinge aufeinanderfolgen, zu hinterfragen.
Das wird an folgendem Beispiel, einem Rennen zwischen zwei Freunden, Alice und Bob, deutlich: Im Alltag wird klarerweise
jener Läufer zum Sieger gekürt, der die Ziellinie als erstes überquert. Unser gesunder Menschenverstand
sagt uns daher, dass entweder Alice oder Bob gewinnt oder dass es ein Unentschieden gibt. Diese Argumentation ist
in der Quantenwelt jedoch nicht immer anwendbar.
Tatsächlich erlaubt es die Quantenmechanik, jedem Läufer in ein- und demselben Rennen zu gewinnen und
zu verlieren: Alice könnte die Ziellinie zugleich vor und nach Bob in einer "Quantensuperposition"
erreichen, einer quantenmechanischen Überlagerung. Aber wie gelingt der Nachweis, dass jeder Läufer in
Superposition gewonnen hat? Ein Teil der Herausforderung liegt nämlich darin, dass das Rennen laut Quantenmechanik
"kollabiert", sobald wir es beobachten. Das bedeutet, dass wir Alice entweder als Gewinnerin oder Verliererin
sehen.
Ein Zeuge für durcheinandergebrachte Abfolgen von Operationen
Eine Gruppe von PhysikerInnen unter der Leitung von Philip Walther an der Universität Wien führte
nun eine neue Messung durch, auch "kausaler Zeuge" genannt, mit welcher es gelingt, Alice dabei zu beobachten,
wie sie das Rennen zugleich gewinnt und verliert. Mit der neuen Methode, entwickelt von einer Gruppe um Caslav
Brukner, konnten die PhysikerInnen sogar quantitativ bestimmen, bis zu welchem Ausmaß die zwei Situationen
tatsächlich in Superposition waren.
Anstatt ein mikroskopisches Quantenrennen abzuhalten, schickten die PhysikerInnen in ihren Experimenten jeweils
ein Photon – ein Teilchen aus Licht – in Superposition in zwei verschiedene Richtungen zugleich. Jeder dieser Pfade
wurde sodann in unterschiedlichen Reihenfolgen durch zwei verschiedene Quantenoperationen geleitet. Um die Methode
des kausalen Zeugen anwenden zu können, entwarfen die PhysikerInnen ein Schema, mit dem sie Information über
die Superposition der Reihenfolgen gewinnen konnten, ohne dabei die Superposition zu zerstören. Dies erreichten
sie, indem sie ein anderes Quantensystem verwendeten, um – salopp formuliert – die Fahne zu schwenken, sobald das
Photon an einer der Quantenoperationen vorbeikam. Ihr neuer Trick ermöglichte den ForscherInnen Information
ausschließlich über die gesamte Superposition und nicht konkret über die Reihenfolge der Operationen
auszulesen. Ihre Messresultate bestätigen, dass die Photonen wirklich durch beide Quantenoperationen in zwei
verschiedenen Reihenfolgen zugleich hindurchgegangen waren.
Künftige Anwendungen
Die Tatsache, dass die Reihenfolge der Quantenoperationen in eine Quantensuperposition gebracht werden kann,
eröffnet der Quantenforschung neue Möglichkeiten. Dies ist bereits an der großen Anzahl von theoretischen
Vorschlägen zur Rolle der "kausalen Zusammenhänge" in der Quantenmechanik erkennbar. Diese
Vorschläge in Experimente im Labor zu übertragen ist jedoch eine Herausforderung. "Unsere experimentelle
Demonstration ist ein bedeutender Schritt in diesem Gebiet, da sie zeigt, wie Information aus dem Inneren der Quantenprozesse
gewonnen werden kann, ohne deren Quantennatur zu zerstören", so Giulia Rubino, Erstautorin der Studie.
Das nächste Ziel der Gruppe ist es, neue technologische Fortschritte auszunutzen, um Superpositionen von noch
komplexeren Prozessen zu schaffen. Dies wird ihnen ermöglichen, tiefere Einblicke in das Zusammenspiel zwischen
kausalen Zusammenhängen und Quantenmechanik zu gewinnen. Außerdem ist es ein interessanter Ansatz, um
Aufgaben jenseits der Möglichkeiten selbst eines Standard-Quantencomputers mit einer fixen Abfolge von Rechenoperationen
zu optimieren.
Publikation in "Science Advances": "Experimental
Verification of an Indefinite Causal Order", Giulia Rubino, Lee A. Rozema, Adrien Feix, Mateus Araújo,
Jonas M. Zeuner, Lorenzo M. Procopio, Caslav Brukner, and Philip Walther; Science Advances (2017)
DOI: 10.1126/sciadv.1602589
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