Neue Ausstellung im Wien Museum Karlsplatz von 23. März bis 17. September 2017
Wie können wir Wien als Ganzes fassen? Der Versuch, die Stadt "auf einen Blick" erfahrbar zu machen,
fasziniert seit Jahrhunderten. Gesamtansichten sind ein zentrales visuelles Medium und ein wichtiger Teil des kulturellen
Gedächtnisses einer Stadt. Die Ausstellung "Wien von oben. Die Stadt auf einen Blick" zeigt anhand
von rund 150 Objekten, wie sich Gesamtdarstellungen Wiens vom 15. Jahrhundert bis heute entwickelt haben und welche
unterschiedlichen Funktionen sie übernehmen können.
Die letzte große Überblicksschau von kartografischen Wien-Darstellungen fand 1995 im damaligen "Historischen
Museum der Stadt Wien" statt. Mehr als 20 Jahre danach werden nun etliche der ältesten, größten
und berühmtesten Pläne, Panoramen und Vogelschauen Wiens wieder in einer Ausstellung gezeigt - diesmal
im Zusammenspiel mit anderen Formen der Gesamtdarstellung wie Modellen, zeitgenössischen künstlerischen
Positionen oder alltäglichen Designprodukten. Aus der Gegenüberstellung von Alt und Neu, von historischen
Kostbarkeiten und Gebrauchsware, von Kunstwerken und "Counter-Maps" erschließt sich das Thema in
unzähligen Facetten und Varianten.
Der Ausstellungsparcours ist in vier Bereiche gegliedert: "Vermessen und Darstellen";
"Repräsentieren und Idealisieren"; "Beherrschen und Ordnen"; "Emanzipieren und Experimentieren"
und orientiert sich damit an Prinzipen, die wesentlich in der Entstehung oder Verwendung von Gesamtdarstellungen
der Stadt sind. Es werden nicht nur Fragen nach Vollständigkeitsanspruch, Selektion und Symbolisierung gestellt,
sondern auch die sich ständig verändernden technischen Möglichkeiten thematisiert.
Außerdem geht die Ausstellung der Rolle von Macht und gesellschaftlichen Verhältnissen im Zusammenhang
mit der Entstehung von Stadtdarstellungen auf den Grund. Bewusst wurde auf eine vielleicht erwartbare chronologische
Ordnung der Objekte verzichtet: Diese würde eine scheinbar lineare, vom Fortschrittsgedanken geprägte
Entwicklung hin zu maximaler Genauigkeit und "Objektivität" suggerieren - und gerade diese Betrachtungsweise
gilt es zu hinterfragen. Zugleich decken die meisten der in der Ausstellung gezeigten Objekte die unterschiedlichsten
Facetten ab: Die Zuordnung zu einem bestimmten Kapitel bedeutet daher keineswegs, dass die jeweiligen Objekte nur
unter dem dort thematisierten Aspekt zu lesen sind.
Vermittlungsprogramm, Instagram-Präsentation, "Jumpcube"
Zur Schau erscheint ein 240-seitiger Katalog im Metroverlag. In Zusammenarbeit mit der Akademie der Bildenden Künste
Wien und mit dem Bundesoberstufenrealgymnasium Landstraßer Hauptstraße sind experimentelle Vermittlungsprogramme
zum Thema entwickelt worden. Weiters hat das Wien Museum aus Anlass der Ausstellung eine Instagram-Challenge unter
dem Hashtag #wvo17 gestartet, die besten Fotos werden in einer gesonderten Präsentation im Erdgeschoß
gezeigt (Kooperationspartner: Instagramers Austria, Instagramers Vienna, Fabolus Vienna). Am ersten Wochenende
nach Ausstellungseröffnung (25./26. März) wartet darüber hinaus eine zusätzliche Attraktion:
In Kooperation mit der TU Wien können BesucherInnen einen spektakulären virtuellen Fallschirmsprung auf
Wien erleben. Der an der TU Wien von Prof. Horst Eidenberger und seinem Team entwickelte "Jumpcube" kombiniert
ein ausgeklügeltes Seilsystem mit einer 3D-Brille und Kopfhörern. Drei Minuten dauert die rasante Reise,
bei der Hunderte Gigabyte von Datenmaterial verarbeitet werden, um die Stadt detailgetreu abbilden zu können.
Als Teaser zur Ausstellung steht beim Stiegenaufgang der Panoramaterminal "Zacturn Sphere" (in Kooperation
mit der MA 18), der einen weit weniger schweißtreibenden digitalen "Flug" über die Stadt vermittelt.
Die Universität für angewandte Kunst Wien wird ab Juni eine große Wandmalerei im Atrium des Wien
Museums zeigen.
Wien auf einen Blick?
Das erste Kapitel ("Vermessen und Darstellen") der Ausstellung widmet sich zunächst dem Totalitätsanspruch
von Gesamtdarstellungen. Wer die Stadt als Ganzes abbilden will, ist per se zum Scheitern verurteilt. Stadtansichten
und Pläne befinden sich stets im Spannungsfeld zwischen Vollständigkeitsanspruch und Fragmentierung,
zwischen
Wirklichkeitstreue und Ideal. Sie sind, wenn auch in unterschiedlichem Maß, eine Mischung aus Abbild und
Sinnbild und somit stets Konstrukte. So erfolgte selbst bei detailgetreu wirkenden Vogelschauen notgedrungen die
kunstvolle Reduzierung einer komplexen Realität, die oft mit einer Idealisierung und Harmonisierung einherging.
Auch die genauesten modernen Stadtpläne bilden nie das "reale" Territorium ab, sondern sind interessensgeleitet
und selektiv. "Gerade dieser Umstand macht die Resultate der verschiedenen Versuche so spannend", so
die AusstellungskuratorInnen Sándor Békési und Elke Doppler. "Denn die immer partiellen
Wahrheiten reflektieren Politik, Ideologie, Technologie und Ästhetik ihrer Entstehungszeit."
"Das ist die stat Wienn" schrieb der Zeichner des "Albertinischen Plans" in sein Werk. Die
kolorierte Federzeichnung aus dem 15. Jahrhundert ist nicht nur der älteste Plan Wiens, sondern - trotz des
oben zitierten Ganzheitsanspruches - zugleich ein Beispiel für radikale Selektion: Im Wesentlichen ist die
Stadt eine weiße Fläche, eingezeichnet sind nur die wichtigsten Gebäude wie Ringmauer, Kirchen,
Klöster und Spitäler. Die älteste Vogelschau Wiens aus dem frühen 17. Jahrhundert, der sogenannte
Hoefnagel- Plan, wiederum besticht durch seinen hohen Detailreichtum - und die technische Raffinesse der Anfertigung,
war doch der "Blick" von einer Anhöhe im Norden Wiens rein fiktiv. Erst die Ballonfahrten schufen
die Voraussetzungen, jene Perspektive in der Realität einzunehmen, die in den faszinierenden Vogelschauen
suggeriert wird. Ein weiteres Highlight in diesem Kapitel ist der dekorative "Vogelschauplan der Stadt Wien
mit ihren Vorstädten" von Joseph Daniel von Huber aus den Jahren 1769-1773, der aus Anlass einer damals
schon angedachten Stadterweiterung gezeichnet wurde und die Stadt in all ihrer Größe inszeniert.
Stets ein entscheidender Aspekt ist der Umgang mit den Grenzen der Stadt, gerade angesichts der sich ständig
erweiternden Stadt und der Suburbanisierung. So bestand Wien bis 1850 offiziell ausschließlich aus dem heutigen
Ersten Bezirk, doch erstreckten sich juristische, fiskalische oder polizeiliche Grenzen weit darüber hinaus.
Administrative Grenzen vermitteln jedenfalls das Bild der Stadt als kontrolliertes, in sich geschlossenes Gebiet.
Weitere Aspekte in diesem Abschnitt der Ausstellung sind die Reduktion als notwendige Voraussetzung für die
Lesbarkeit von Plänen sowie die visuelle Gestaltung von Karten. Kunstvolle Rahmungen mit Veduten, wie sie
traditionellerweise gepflegt wurde, Leitsysteme für moderne Städte oder der Design- Appeal von zeitgenössischen
Lifestyle-Karten machen deutlich, dass die visuelle Gesamtdarstellung von Stadt niemals neutral ist.
Prächtig, mächtig, identitätsstiftend
Im zweiten Bereich der Ausstellung ("Repräsentieren und Idealisieren") wird der Fokus auf die
Schaffung von Images gelenkt. Städtebilder hatten seit dem 16. Jahrhundert häufig eine repräsentative
Funktion. Befestigungspläne und Schlachtenbilder sollten zum Beispiel den Charakter einer uneinnehmbaren,
siegreichen Festungsstadt vermitteln. Die berühmten Veduten wiederum sind nicht nur präzise Abbilder
der Stadt, sondern zugleich identitätsstiftende Konstruktionen mit hohem politischem Symbolwert - und das
bis heute, wie man an den Diskussionen über das Stadtbild sehen kann, in denen die Bewahrung des Bellotto-Blickes
beschworen wird.
Als idealtypisch galt der Blick vom Leopoldsberg bzw. Kahlenberg, wobei hier die umgebende, idyllische Landschaft
buchstäblich in den Vordergrund tritt und die Stadt nur aus der Ferne erkennbar ist. In der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts erlebten Wien-Veduten einen ungeheuren Aufschwung, doch auch Künstler im 20. und 21.
Jahrhundert greifen den Blick von den Wiener "Hausbergen" auf. In Hermann Kosels Entwurf für ein
Fremdenverkehrsplakat aus dem Jahr 1936 stiehlt die soeben fertig gestellte, prestigeträchtige Höhenstraße
(mit flitzendem Cabrio) zu Füßen des Betrachters der in der Ferne liegenden Stadt beinahe die Show.
Einen düsteren Ausblick vom Leopoldsberg zeigt eine Fotoarbeit des deutsch-amerikanischen Künstlers Florian
Maier-Aichen, die für die Ausstellung entstand und vom Verein der Freunde des Wien Museums für die Sammlung
angekauft wurde: Aufgenommen aus einem Helikopter aus 1200 Metern, zitiert die schwarz-weiße, surreal verfremdete
Negativansicht Elemente klassischer Landschaftsdarstellungen.
Vor allem im Bereich der kommerziellen und touristischen Vermarktung spielen repräsentative und kanonisierte
Darstellungen von Wien bis heute eine große Rolle. Gleichzeitig können sich Stadtbilder, die bestimmte
Ereignisse wie Erdbeben oder Krönungszeremonien darstellen oder in nostalgischer Absicht ein bestimmtes Bild
der Stadt konservieren wollen, in das kollektive Gedächtnis einschreiben.
Die umkämpfte und die verwaltete Stadt
Gesamtdarstellungen der Stadt entstanden anfangs häufig im militärischen Kontext: als Befestigungspläne,
Kriegskarten oder Schlachtenbilder. So werden im dritten Teil der Ausstellung ("Beherrschen und Ordnen")
einige Highlights aus der Museumssammlung präsentiert, die aus der Zeit der Belagerungen durch die Osmanen
stammen. 1529 entstand der einzigartige "Meldeman-Plan", ein Bildbericht der militärischen Ereignisse
mit Hunderten von Szenen und bisweilen kuriosen Details. Die wehrhafte Stadt Wien im Jahr 1683 ist Motiv der berühmten
Vogelschau des Niederländers Folbert van Ouden- Allen: Die Spuren der osmanischen Belagerung sind ausgeblendet,
Wien präsentiert sich makellos und unverwüstlich.
Stadtpläne waren lange Zeit ein elitäres Medium. Kontrolle über Karten bedeutete die Kontrolle
über das ihnen zugrundliegende Wissen. Vervielfältigte Karten wurden daher immer wieder verfälscht,
so etwa auch der "Huber-Plan" aus dem 18 Jahrhundert, in dem die Stadtbefestigung nicht korrekt wiedergegeben
wurde, um militärische "Geheimnisse" nicht preiszugeben (und das, obwohl die Zeit der Festungskriege
längst vorbei war).
Die zunehmende Rationalisierung und Kontrolle des modernen Stadtraums brachte eine funktionalistische Ordnung
mit sich, die sich deutlich in Stadtdarstellungen niederschlägt. Polizeirayons wurden festgelegt, der gründerzeitliche
Bauboom kartografisch erfasst, die Gemeindebauten verzeichnet (und dabei die nicht erwünschten Realitäten
der Stadt einfach ausgeblendet). Eine bislang unbekannte Karte über "Hofquartiere" (Dienstwohnungen
für Bedienstete des Kaiserhofs) aus dem Jahr 1748 stellt die erste Aufnahme Wiens mit einer vollständigen
Häusernummerierung dar.
Mit der wachsenden Stadt und der zunehmenden Mobilisierung gerät die Orientierungsfunktion von Karten zunehmend
in den Mittelpunkt. So brauchte es ab 1900 bereits Buchpläne, um das gesamte Stadtgebiet abdecken zu können.
Eine wesentliche Funktion übernahmen Karten auch bei der Darstellung von Visionen der Stadt: In der Ausstellung
zu sehen sind u.a. Pläne für Wien aus der NS-Zeit sowie utopische Entwürfe, etwa von Hans Hollein
und der arbeitsgruppe 4.
Wien "von unten"
Die künstlerische Aneignung von Stadt(darstellungen) führt zum vierten und finalen Bereich der Ausstellung
("Emanzipieren und Experimentieren"). Lange Zeit war der "Blick von oben" ein privilegierter.
Doch der gesellschaftliche Wandel und die technischen Möglichkeiten haben diese historische Konstante deutlich
relativiert. Nie war der mediale Blick auf die Stadt in ihrer "Gesamtheit" so alltäglich und allgegenwärtig
wie heute. Ist er aber im selben Maße demokratischer geworden?
Als ein Beispiel für die Individualisierung von Stadtdarstellungen ist in der Ausstellung u.a. ein "Konzeptkunstprojekt"
von Olga Kraft aus dem Jahr 1984 zu nennen. Die damalige Studentin verzeichnete auf zwölf Monatsblättern
sämtliche individuellen Wege in der Stadt ein Jahr lang, Tag für Tag.
Von der persönlichen Aneignung zur Kritik am herrschenden Stadtgefüge ist es oft nur ein Schritt. So
schreiben sogenannte "Counter-Maps" alternative Informationen und bislang Unsichtbares ins Stadtbild
ein, wie eine "Schleichwege"-Karte der Radfahrer- Organisation ARGUS aus dem Jahr 1984 beweist. Das zeitgenössische
Pendant dazu sind digitale "Heat-Maps", etwa jene der "Bike Citizens Österreich", die
die anonymisierten Daten von RadfahrerInnen in Wien dazu nützt, die tatsächlich genutzten Straßen
und (Rad-)Wege darzustellen - ein interaktives Verfahren, das auch der Stadtplanung wertvolle Informationen liefern
kann.
Im Rahmen des Kooperationsprojekts mit der Akademie der Bildenden Künste Wien und mit dem Bundesoberstufenrealgymnasium
Landstraßer Hauptstraße nähern sich SchülerInnen und Studierende in ihren "Mental Maps"
der Stadt eher vom Grätzl und vom Rand her. Besucherinnen und Besucher haben schließlich die Möglichkeit,
ihre persönlichen Erfahrungen zum Thema einzubringen. Im Laufe der Ausstellung entsteht mit der "Karte
der Gefühle" ein Verzeichnis jener Orte, an denen Wien besonders lustvoll, gefährlich, freudig oder
ärgerlich ist. Einen interaktiven Schlusspunkt setzt der Lego-Tisch in Wien-Form, ein Kunstwerk von Jun-Yang,
das zum Mitspielen einlädt.
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