Brandstetter: Paradigmenwechsel im Sinne von mehr Mitmenschlichkeit, Finanzierung ist gesichert
Wien (pk) - Mit den Stimmen aller Parlamentsparteien wurde am 30.03. im Nationalrat das neue Erwachsenenschutzgesetz
beschlossen, das von vielen Rednern als justizpolitischer Meilenstein bezeichnet wurde. Leitgedanke der Regierungsvorlage
ist die Förderung der Autonomie von vertretungsbedürftigen Personen. Aufgrund der Erfahrungen mit der
Sachwalterschaft in den letzten Jahren habe er sich intensiv für eine Reform in diesem Bereich eingesetzt,
erklärte Bundesminister Wolfgang Brandstetter. Während in der Vergangenheit oftmals die Frage im Vordergrund
stand, ob "eine Person im Geschäftsverkehr noch funktioniert", soll nun die Autonomie und die Selbstbestimmung
der Menschen gestärkt werden. Die Kosten sind aus seiner Sicht auf absehbare Zeit problemlos bewältigbar,
zumal auf die Rücklagen des Ministeriums zurückgegriffen werden kann.
Im Gegensatz zum Ausschuss haben heute auch die Grünen die Regierungsvorlage mitgetragen. Man gebe dem Minister
Brandstetter einen Vertrauensvorschuss, erklärte Albert Steinhauser (G), da dieser die Garantie dafür
übernommen hat, dass die Finanzierung des Gesetzes – selbst wenn ein Mehraufwand entsteht - gesichert ist.
Gesetz schafft vier Stufen der Erwachsenenvertretung und bringt mehr Autonomie für die Betroffenen
Mit dem 2. Erwachsenenschutz-Gesetz ( 2. ErwSchG) wird die gerichtliche Fürsorge für Menschen, die aufgrund
einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung nicht mehr in der Lage sind, ihre Angelegenheiten
selbst wahrzunehmen, neu geregelt. Zu diesem Zweck werden die Vertretungsmodelle ausgebaut und Alternativen zur
bisherigen Sachwalterschaft angeboten. Die betroffenen Menschen sollen, soweit dies möglich ist, selbst über
ihre rechtlichen Beziehungen bestimmen ( 1461 d.B.).
Begrifflich wird aus der Sachwalterschaft nun die Erwachsenenvertretung, die konkret auf die Bedürfnisse der
betroffenen Person zugeschnitten ist. Das Gesetz bietet dabei vier mögliche Arten der Vertretung einer vertretungsbedürftigen
volljährigen Person. Vorgesehen ist zunächst der gerichtliche Erwachsenenvertreter, der den Sachwalter
ersetzt. Seine Befugnisse sollen aber auf bestimmte Vertretungshandlungen beschränkt werden und nicht pauschal
für "alle Angelegenheiten" gelten. Die gerichtliche Bestellung des Erwachsenenvertreters ist nach
den Intentionen des Entwurfs nur die ultima ratio, geht es doch darum, die Alternativen auszubauen.
Mit der gesetzlichen Erwachsenenvertretung übernimmt das Gesetz die schon bisher mögliche Vertretung
durch nächste Angehörige. Dadurch sei es möglich, z.B. Geschwister oder Nichten und Neffen einzubinden.
Da diese Form der Vertretung aber nun weitergehende Befugnisse schafft, unterliegt sie nun einer gerichtlichen
Kontrolle und muss spätestens nach drei Jahren erneuert werden.
Neu ist hingegen die gewählte Erwachsenenvertretung, die einer volljährigen Person die Möglichkeit
gibt, im Bedarfsfall selbst eine Vertretungsperson – z.B. eine Freundin, eine Pflegerin etc. - zu bestimmen, die
sofort für sie tätig werden soll. Auch diese Vertretungsbefugnis setzt eine Eintragung ins Österreichische
Zentrale Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) voraus und unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Da sie aber auf
der Willensbildung des Vertretenen beruht, ist sie auf unbestimmte Zeit eingerichtet.
Bei der Vorsorgevollmacht mit uneingeschränktem Wirkungsbereich schließlich knüpft das Gesetz an
das geltende Recht an. Voraussetzung ist hier der Eintritt des "Vorsorgefalls" – des Verlusts der Entscheidungsfähigkeit
– sowie die Eintragung im ÖZVV. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich dabei im Wesentlichen auf
die Genehmigung von Entscheidungen bei medizinischen Behandlungen, soweit zwischen VertreterIn und vertretener
Person ein Dissens erkennbar wird, sowie auf den Fall einer dauerhaften Wohnortverlegung ins Ausland. Eingerichtet
wird die Vorsorgevollmacht auf unbestimmte Zeit.
Große Zustimmung von Seiten der Abgeordneten zum Gesetz
Michaela Steinacker (V) bezeichnete das Gesetz als einen großen Meilenstein, weil durch die Schaffung von
differenzierten Vertretungsbefugnissen maßgeschneiderte Lösungen geschaffen und die höchstmögliche
Selbstbestimmung für jeden einzelnen Menschen garantiert werden können. Auch der gesamte Gesetzwerdungsprozess
war vorbildlich, lobte die Rednerin, u.a. wurden viele Empfehlungen, die im Rahmen der Enquete "Würde
am Ende des Lebens" erarbeitet wurden, berücksichtigt. Als Clearingstellen sind in Hinkunft Erwachsenenschutzvereine
tätig. Viele SeniorInnen waren bis dato besorgt darüber, dass sie von einem Tag auf den anderen entmündigt
werden können, berichtete Gertrude Aubauer (V), dies könne mit dem vorliegenden Gesetz nun nicht mehr
passieren. Auch für Abgeordneten Franz-Joseph Huainigg (V) bringt die Reform einen Paradigmenwechsel, und
zwar weg von der Bevormundung und hin zur Unterstützung.
Johannes Jarolim (S) freute sich, dass nach einem dreijährigen Vorbereitungsprozess heute das Erwachsenenschutzgesetz
beschlossen werden kann. Er dankte dem Justizminister und seinen MitarbeiterInnen für die tolle Arbeit und
vor allem auch dafür, dass nun auch die Finanzierung der Maßnahmen gesichert sein soll. Durch einen
im Ausschuss eingebrachten Abänderungsantrag sei es auch noch gelungen, die Grundsätze der Reform auf
das Heimaufenthaltsgesetz auszudehnen, wodurch nun auch eine Kontrolle von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen
bei Kindern und Jugendlichen möglich ist. Das Gesetz trage den gesellschaftlichen Änderungen Rechnung
und stehe unter dem Motto "Weg von der Entmündigung, hin zur Ermächtigung", hoben Ulrike Königsberger-Ludwig
und Gisela Wurm (beide S) vor.
Harald Stefan (F) sprach von einer sinnvollen Weiterentwicklung der bisherigen Sachwalterschaftsregelungen, dennoch
sollte man die Anwendung des Gesetzes aufmerksam beobachten. Eine Schwachstelle ortete er bei der gerichtlichen
Erwachsenenvertretung, da es in diesem Fall nun eine Beschränkung auf drei Jahre gibt. Diese Bestimmung werde
zu einem größeren bürokratischen Aufwand führen, befürchtete Stefan. Skeptisch sei auch
die Tatsache zu beurteilen, dass man in diesem Bereich nunmehr kein Gutachten eines Psychiaters mehr braucht.
Nikolaus Scherak (N) schloss sich den positiven Kommentaren seiner VorrednerInnen an. Er sei froh, dass nun alle
Fraktionen das neue Erwachsenenschutzgesetz, das die antiquierten Sachwalterschaftsbestimmungen ablöst, mittragen
werden. Im besonderen hob er hervor, dass nunmehr individuelle Vertretungslösungen entwickelt werden können,
die eine maximale Selbstbestimmung der Menschen ermöglichen. Der große Wermutstropfen sei natürlich
die Frage der Finanzierung, merkte Scherak an, da die Abänderung der ursprünglichen Kostenschätzung
auch laut dem Budgetdienst des Parlaments nicht ausreichend nachvollzogen werden könne.
Grüne geben dem Justizminister einen Vertrauensvorschuss und stimmen ebenfalls zu
Dieses Gesetz, das fachlich sehr gut vorbereitet wurde, kann ein Meilenstein sein, erklärte Albert Steinhauser
(G), weil damit die Autonomie der betroffenen Menschen gestärkt wird. Lobenswert sei auch, dass kein automatischer
Verlust der Geschäftsfähigkeit mehr vorgesehen ist und dass ein verpflichtendes Clearing eingeführt
wird. Voraussetzung für eine positive Wirkung des Gesetzes sei aber die entsprechende Finanzierung der Maßnahmen.
Das Justizressort habe die Kostenschätzungen offensichtlich an das angepasst, was mit dem Finanzminister ausverhandelt
werden konnte; dies sei aber nicht ausreichend. Auch der Budgetdienst des Parlaments, den seine Fraktion in der
dieser Frage um Unterstützung gebeten hat, habe diesbezüglich Bedenken angemeldet. Da Minister Brandstetter
aber im Ausschuss versprochen hat, dass die Finanzierung sichergestellt ist, haben sich die Grünen dazu entschlossen,
dem Gesetz heute zuzustimmen. Um die Kostenentwicklung besser beurteilen zu können, sollten die Ergebnisse
des Finanzmonitorings jährlich dem Parlament übermittelt werden, forderte Steinhauser in einem Entschließungsantrag.
Auch Helene Jarmer (G) sah noch einige Hausaufgaben, die erledigt werden müssen, und u.a. die Länder
gefordert, sich aktiv an der Umsetzung zu beteiligen. Sehr positiv sei auch die Ausweitung der Reform auf das Heimaufenthaltsgesetz.
Das Gesetz bringe wesentliche Verbesserungen für die betroffenen Menschen, konstatierte Christoph Hagen vom
Team Stronach. Allerdings sei noch abzuwarten, ob das Ressort mit den finanziellen Schätzungen richtig liegt.
Brandstetter: Interessen der Betroffenen stehen nun wieder im Vordergrund
Die vorliegende Reform der Sachwalterschaft bringen einen notwendigen Paradigmenwechsel, betonte Justizminister
Wolfgang Brandstetter. Die Erfahrungen in den letzten zehn Jahren hätten nämlich gezeigt, dass oft weniger
der Rechtsschutz für die betroffenen Personen im Vordergrund gestanden ist, sondern eher "das Service
für Banken, Versicherungsträger, Ämter und Fürsorgeeinrichtungen". In Zukunft sollen die
Interessen des einzelnen Menschen, dem ein höchstmögliches Maß an Selbstbestimmung eingeräumt
wird, wieder mehr Gewicht haben. Der hohe Anstieg an Sachwalterschaften in der Vergangenheit hätten gezeigt,
dass Handlungsbedarf gegeben ist.
Die Finanzierung des Gesetzes sei auf absehbare Zeit wirklich gesichert, unterstrich der Minister, und zwar nicht
zuletzt deshalb, weil auf die relativ hohen Rücklagen des Ressorts zurückgegriffen werden kann. Was die
abgeänderte Kosteneinschätzung betrifft, so gab es dafür sachliche Gründe, die auch im Ausschuss
schon ausführlich dargelegt wurden. Er habe sich zudem dafür eingesetzt, dass es ein jährliches
Monitoring gibt; dies wurde auch in den Erläuterungen festgehalten. Sollten die Rücklagen wirklich einmal
aufgebraucht sein, dann sei das Parlament gefordert, im Rahmen des Budgetbeschlusses sicherzustellen, dass das
Gesetz auch in ferner Zukunft finanziert werden kann.
Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag der Grünen betreffend Finanzmonitoring zum 2. Erwachsenenschutz-Gesetz
abgelehnt.
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