Wien (handelsverband) - Am 28.03. lud der österreichische Handelsverband zum Dialog zwischen Politik und
Handel in die Albert Hall in Wien. Bundesminister Sebastian Kurz und REWE Vorstandsvorsitzender Frank Hensel sprachen
vor knapp 200 geladenen Gästen über die Herausforderungen für den österreichischen Handelsstandort.
Moderiert wurde die Veranstaltung vom Handelsverband Geschäftsführer Rainer Will, der zu Beginn handelsrelevante
globale Wirtschaftszusammenhänge skizzierte, die eine klare Linie der EU erfordern, um sich die verändernden
Wertschöpfungsprozesse zu Nutze zu machen und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Unter den Gästen befanden sich u.a.: Clemes Bauer (Hagebau), Peter Bernert (Zur Brieftaube), Jochen Borenich
(Kapsch), Thomas Gindele (Deutsche Handelskammer), Gerald Gruber (Mastercard), ), Markus Kainz (PrimeCrowd), Richard
Lugner (Lugner City), Markus Parzer (Google), Günther Pfisterer (Hartlauer), Melanie Pölzinger (ICEP),
Franz Radatz (Radatz), Norbert Steinwidder (Das Futterhaus), Susanne Thiard-Laforet (ADA), Johannes Thun-Hohenstein
(Thun Mindset Management), Christoph von Lattorff (Mercateo), Bernhard Weber (ICEP), Johannes Zimmerl (REWE International
AG)
Wirtschaft und Diplomatie hängen eng zusammen
Globale Unsicherheiten, wirtschaftspolitische Schachzüge durch Trump, der unerwartete Brexit: Zum Auftakt
des hochkarätig besetzten Gesprächs zwischen Kurz und Hensel geht es sehr einig zu: „Ein bewegtes geopolitisches
Umfeld ist natürlich auch eine Herausforderung für die stark exportorientierte österreichische Wirtschaft.
Mit unseren Vertretungen in aller Welt möchten wir als Außenministerium daher auch einen Beitrag leisten
österreichische Unternehmen vor Ort zu unterstützen“, so Kurz über die neu gegründete Abteilung
„Unternehmensservice“ im Außenministerium.
Es gibt zur EU keine Alternative
In eben diesem schwierigen Umfeld ist REWE International AG Chef Hensel für über 75.000 Mitarbeiter
verantwortlich. Trotz negativer Rahmenbedingungen blickt er auf ein positives Jahr 2016 zurück: „Es gab schon
mal bessere Zeiten. Als Händler haben wir aber gelernt flexibel zu sein.“ Trotz aller Gelassenheit folgt dann
aber doch ein deutlicher Appell an Sebastian Kurz: Krisenherde innerhalb wie außerhalb der EU aufzulösen
sei Aufgabe der Politik, denn: „Es gibt zur EU keine Alternative. Ich möchte nicht in Zeiten nationaler Grenzen
und unterschiedlicher Währungen zurückfallen.“
Wer da ist muss integriert werden – durch Arbeit und Sport
Zum Brennpunktthema Zuwanderung stellte Will die Frage in den Raum, wie man bei fast 500.000 Arbeitslosen die
Integration in den Arbeitsmarkt schaffen kann. Während Außenminister Kurz den Schlüssel in einer
gesteuerten qualifizierten Zuwanderung („Es wird immer nur darüber diskutiert wie viele kommen. Es geht aber
darum, wer mit welchem Ausbildungsniveau kommt.“) betont Frank Hensel die Bedeutung des Jobmotors Handels: „Seit
meinem Start bei der REWE International AG haben wir 22.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Auch in Zeiten
höherer Zuwanderung kann der Handel sehr schnell am Arbeitsmarkt etwas bewegen.“ Und vor dem Hintergrund seiner
sehr positiven Erfahrungen mit Mitarbeitern mit Fluchthintergrund ergänzt er ganz pragmatisch: „Wer da ist
muss integriert werden. Die beste Möglichkeit der Integration ist Arbeit und Sport.“ Ob mit oder ohne Zuwanderung:
Was der Handel wirklich braucht, sei ein gutes Verbraucherklima. Und die passenden Rahmenbedingungen für eben
dieses zu schaffen sei Aufgabe der Politik. „Von dem sind wir derzeit wahnsinnig weit entfernt.“ Rainer Will unterstrich
die Beschäftigungsfunktion des Handels, der mit 580.000 Beschäftigten als Jobmotor der heimischen Volkswirtschaft
fungiert.
Die Politik muss viel schneller werden
Ein entscheidender Erfolgsfaktor für den Standort und Arbeitsmarkt Österreich wird der Umgang mit
der Digitalisierung sein. Es überrascht wenig, dass hier der Markt die Nase vorn hat: „Online sind wir schon
seit 2000. Da wusste noch keiner, was Amazon ist. Wir sind ein hochtechnologisiertes Unternehmen“, zeigt sich Hensel
gut gerüstet. Die Basis jedes Unternehmens sind seine Mitarbeiter. Damit diese für die neuen Anforderungen
gerüstet sind, braucht es auch neue Ausbildungen und Lehrinhalte. Das langjährige Anliegen des Handelsverbandes
digitale Kompetenzen in der Einzelhandelslehre zu verankern sowie eine eigenständige E-Commerce Lehre zu entwickeln
unterstützen sowohl Kurz als auch Hensel. Im Bereich Bildung wäre darüber hinaus noch mehr zu tun:
„Die duale Ausbildung gehört weiter vorangetrieben. Das ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil und ein
Erfolgsmodell. Da beneidet uns ganz China darum“, so Hensel.
Sebastian Kurz stimmt zu: „Die Technologien verändern sich so schnell, dass die Politik kaum hinterherkommt.“
Es brauche eine immer größere Flexibilität und auch einen positiveren Zugang zu Innovationen. „Die
Angst lähmt uns oft. Wir sollten uns stärker fragen, in welchen Bereichen neue Jobs entstehen, und nur
darauf fokussieren, wo welche wegfallen könnten. Unsere Aufgabe ist es als Standort attraktiver und in den
Strukturen schlanker zu werden“.
Initiative „Import Information Hub Austria“
Auch über die „Königsdisziplin“ des Handels, den Einkauf, wurde gesprochen. Rainer Will stellte den
Import Information Hub Austria vor, der bei Beschaffungsengpässen neue Bezugsquellen aufzeigt und durch gemeinsame
Beschaffungsreisen mit bestehenden Strukturen aus der Schweiz und Deutschland eine Brücke zu noch unbekannten
Beschaffungsquellen aus Entwicklungs- und Schwellenländern schlagen soll. Aber auch der Westbalkan wird mit
einer ersten Initiative den Importeuren nähergebracht. Der Import Information Hub Austria wurde Ende 2016
von der Austrian Development Agency sowie dem Handelsverband in Kooperation mit der ICEP ins Leben gerufen.
Frank Hensel sieht in der Initiative für kleine und mittlere Händler eine „super Sache, die für
Importeure und Exporteure als Verbindungsglied dienen kann.“
Auch Sebastian Kurz unterstützt den Import Information Hub Austria als Initiator und erkennt darin eine
„Win-Win Situation für Schwellen- und Entwicklungsländer, deren Bürger sowie die heimischen Handelsunternehmen“.
Er selbst legt großen Wert darauf, dass Österreich stärker die Wirtschaft als Partner in die Entwicklungszusammenarbeit
einbezieht, um Jobs vor Ort zu schaffen und damit den Menschen Perspektiven zu geben.
Rainer Will berichtete über ein Praxisbeispiel, das den Nutzen für den Handel hervorstrich: „Als es im
Jänner durch kältebedingte Ernteausfälle in Südeuropa zu Engpässen kam, konnte der Import
Information Hub neue Bezugsquellen für Zucchini und Brokkoli aufzeigen und Importeure mit Exporteuren in Äthiopien
vernetzen.“
Wohlstand ohne erfolgreichen Standort geht nicht
Abschließend hatte das Publikum noch ausreichend Gelegenheit seine Fragen an die Podiumsgäste zu
richten. Nach der Schaffung von wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen gefragt, plädierte Sebastian Kurz
für ein neues Selbstverständnis: „Es herrscht die Meinung, es könne Wohlstand ohne einen erfolgreichen
Standort geben. Das ist falsch. Leistung und Unternehmertum müssen auf vielen Ebenen wieder attraktiver gemacht
werden."
Im Anschluss an die Diskussion fand ein Networking-Empfang statt, an dem die zahlreichen Gäste aus der Handelsbranche
die Möglichkeit hatten die behandelten Themen im Dialog zu vertiefen.
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