Expertendiskussion im Parlament über Erfahrungen und Perspektiven
Wien (pk) - Die neue Verfahrensordnung für Untersuchungsausschüsse hat sich grundsätzlich
bewährt. So lässt sich die Podiumsdiskussion "Parlamentarische Untersuchungsausschüsse: Erfahrungen
und Perspektiven", die gestern im Sitzungssaal des Nationalrats stattfand, zusammenfassen. Die ExpertInnen
sehen darin ein gutes handhabbares Instrument, wenn es um das Spannungsfeld Persönlichkeitsrechte, Geheimnisschutz
einerseits und Öffentlichkeit andererseits geht, auch wenn sie an der einen oder anderen Stelle noch Nachschärfungsbedarf
orten.
Aktueller hätte der Termin nicht sein können, denn das ausreichend unterstützte Verlangen, einen
Eurofighter-Untersuchungsausschuss einzusetzen, liegt seit Mitte März auf dem Tisch. Am 28.03. befasst sich
der Geschäftsordnungsausschuss damit und – sollte dieser seine Beratungen positiv abschließen und dem
Plenum des Nationalrats Bericht erstatten – kann die Nationalratspräsidentin in der morgigen Sitzung des Nationalrats
den Ausschuss für eingesetzt erklären. Der Eurofighter-Untersuchungsausschuss ist somit der zweite Untersuchungsausschuss,
der nach der neuen Verfahrensordnung abläuft, er kann auf den Erfahrungen des Hypo-Untersuchungsausschusses
aufbauen.
Beide Ausschüsse wurden von einer parlamentarischen Minderheit initiiert, die Reform, die mit 1. Jänner
2015 in Kraft getreten ist, hat die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen von einem ausschließlichen
Recht der Mehrheit auch zu einem Recht der Minderheit gemacht: Mindestens 46 Abgeordnete – ein Viertel der Mitglieder
des Nationalrats - müssen ein solches Verlangen unterstützen. "Demokratiepolitisch ist das eine
wichtige Neuerung. Das Kontrollrecht der Abgeordneten und der Parlamentarismus werden durch die Reform massiv gestärkt",
betonte Nationalratspräsidentin Doris Bures in ihrer Begrüßung.
Sie hat gemeinsam mit dem Österreichischen Juristentag zur Diskussion eingeladen, dessen Präsident, Christoph
Grabenwarter, leitete dann auch in das Thema ein. An der Diskussion nahmen der ehemalige Präsident des Oberlandesgerichts
Innsbruck und Verfahrensrichter im Hypo-Untersuchungsausschuss, Walter Pilgermair, ferner Walter Berka (Universität
Salzburg), Anna Gamper (Universität Innsbruck) und Renate Graber (Redakteurin der Tageszeitung "Der Standard")
teil.
Für die Moderation zeichnete die Verfassungsrichterin Ingrid Siess-Scherz, verantwortlich. Siess-Scherz, ehemalige
Leiterin des Rechts- und Legislativdienstes der Parlamentsdirektion, nannte Untersuchungsausschüsse als "eines
der machtvollsten Instrumente des Parlaments", als "Spiegel der Stärke und Emanzipation gegenüber
der Regierung". In der rechtsstaatlichen Demokratie werde die Kontrollfunktion des Parlaments immer wichtiger,
betonte auch Christoph Grabenwarter in seinen einleitenden Worten.
Bures: Das österreichische Untersuchungsrecht ist ein gutes Werkzeug wie ein Schweizer Taschenmesser
Nationalratspräsidentin Doris Bures bemühte mehrere bildliche Vergleiche, um parlamentarische Untersuchungsausschüsse
zu beschreiben und nahm dabei auf den deutschen Soziologen Max Weber Bezug, der ein bedeutender Vordenker des modernen
Untersuchungsrechts war. Weber hatte gemeint, ein Parlament ohne entsprechende Untersuchungsrechte sei "verfassungsmäßig
zur dilettantischen Dummheit" und "zur Unkenntnis" verurteilt, wie Bures zitierte. Er vertrat die
Auffassung, dass es für eine wirksame Kontrolle "je nach den Umständen Akteneinsicht, Augenscheineinnahme
und äußerstenfalls das eidliche Kreuzverhör der Beteiligten als Zeugen vor einer Parlamentskommission"
braucht. Weber hat sich zudem dafür stark gemacht, dass das Untersuchungsrecht als Minoritätsrecht ausgestaltet
ist. Wenn man bedenkt, dass diese Worte Webers aus dem Jahr 1918 stammen, also vor beinahe 100 Jahren ausgesprochen
wurden, dann werde deutlich, dass Politik tatsächlich ein "starkes, langsames Bohren von harten Brettern"
sei, so Bures, die damit an die von Weber vorgenommene Definition von Politik anknüpfte.
Für die Nationalratspräsidentin drängt sich im Zusammenhang mit dem österreichischen Untersuchungsrecht
aber auch der Vergleich mit einem Schweizer Taschenmesser auf, denn es biete für viele Situationen das richtige
Werkzeug: Etwa im Umgang mit geschwärzten Akten und sensiblen Informationen, ferner bei der Zusammenarbeit
mit den Strafverfolgungsbehörden, aber auch bei der Verweigerung von Aussagen oder dem Nicht-Erscheinen von
Auskunftspersonen – und schließlich bei der Wahrung von Persönlichkeitsrechten. Ein gutes Werkzeug
stelle aber noch kein gutes Ergebnis dar, gab Bures zu bedenken, man müsse das Werkzeug auch richtig einsetzen:
Nämlich mit Verantwortungsbewusstsein, mit dem Wunsch nach gewissenhafter Untersuchung und dem Willen zum
konstruktiven Zusammenwirken aller Kräfte im Parlament.
Spannungsfeld Geheimnisschutz und Öffentlichkeit
Wie Walter Berka von der Universität Salzburg in der Diskussion festhielt, stellt der Untersuchungsausschuss
eine Gratwanderung dar. Man könne einen solchen nicht mit Maßstäben eines Gerichtsverfahrens messen,
da hier
ein politischer Auftrag im Vordergrund stehe, dessen Abarbeitung aber verrechtlicht sei. Das neue Verfahrensrecht
habe dem Ausschuss im Hinblick auf den Umgang mit Amtsgeheimnissen und mit Auskunftspersonen Grenzen gesetzt, sagte
er, die Situation für Auskunftspersonen habe sich gebessert.
Das heikle Thema "Geheimnisschutz" habe man mit dem Informationsordnungsgesetz detailverliebt geregelt,
wobei Berka von einem durchdachten System sprach. Er unterstützte auch mit Nachdruck das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs,
wonach Ministerien keine geschwärzten Akten überliefern dürfen. Damit hätten die VerfassungsrichterInnen
eine Schmälerung des parlamentarischen Kontrollrechts verhindert und gleichzeitig die Verantwortung des Ausschusses
unterstrichen, betonte Berka.
Berka, der das Spannungsfeld zur Öffentlichkeit näher beleuchtete, ortet im neuen Verfahrensrecht noch
Mankos und gab zu bedenken, dass die Klassifizierung der Dokumente in Geheimhaltungsstufen die Tendenz in sich
trägt, die Dokumente höher einzustufen, was zu Lasten der Transparenz gehe. Als einen "Pferdefuß"
bezeichnete er die Tatsache, dass sich ein Abgeordneter, der Geheimnisse an Medien weitergibt, zwar strafbar macht,
die Medien aber geheim zu haltende Unterlagen dem gegenüber straffrei publizieren dürfen. Dadurch Geschädigte
– Berka nannte etwa Fälle von Geschäftsgeheimnissen - hätten jedoch nicht die Möglichkeit,
zivilrechtliche Ansprüche einzuklagen, und das sei ein Privileg der Medien.
Herausforderung: Wahrung der Persönlichkeitsrechte von Auskunftspersonen
Was den Rechtsschutz von Auskunftspersonen betrifft, so bedauerte es der Jurist, dass diese im Falle einer Beschwerde
beim Verfassungsgerichtshof von diesem nur mit der Feststellung "abgespeist" werden können, dass
hier eine Rechtswidrigkeit vorliegt. Für Berka ist auch nicht klar geregelt, was unter Persönlichkeitsrechten
zu verstehen ist.
Als Berichterstatterin über den Hypo-Untersuchungsausschuss für die Tageszeitung "Der Standard"
ging auch Renate Graber auf das Spannungsfeld Persönlichkeitsschutz und Recht der Öffentlichkeit auf
Information ein und übte in diesem Zusammenhang Kritik an so manchen Abgeordneten. Ihr Blatt nenne zum Beispiel
keine Namen von Auskunftspersonen, es sei denn, diese sind von besonderem öffentlichen Interesse. Abgeordnete
gingen aber zum Teil nicht so höflich mit Auskunftspersonen um, so Graber.
Einen Interessenskonflikt der Fraktionen sieht auch Walter Pilgermair, der den Hypo-Untersuchungsausschuss als
Verfahrensrichter begleitet hat. Untersuchungsausschüsse seien ein politisches Kampfinstrument, wobei es nicht
immer um die Darstellung von Sachverhalten gehe, sondern oft um die Positionierung und mediale Darstellung eigener
Interessen. Das stelle eine große Herausforderung dar, der Schutz von Auskunftspersonen gestalte sich damit
nicht immer leicht. Die Rechtsschutzeinrichtung der neuen Verfahrensordnung hält er für sinnvoll, er
zog insgesamt ein positives Resümee.
Für Pilgermair war auch die Medienöffentlichkeit im Hypo-Untersuchungsausschuss gut hergestellt. Für
kommende Ausschüsse riet er zu einer strukturierteren Befragung, vor allem bei der Erstbefragung, und traf
sich dabei mit Renate Graber, die insbesondere die Frist von drei Minuten für Fragestellungen kritisierte.
Oft werde es spannend, dann sei aber die Zeit aus und der bzw. die nächste Fragende reiße den Spannungsfaden
wieder ab, sagte Graber. Grundsätzlich wünscht sie sich eine Straffung in manchen Bereichen.
Verfassungsgerichtshof sollte auch für Untersuchungsausschüsse der Länder zuständig sein
Einen Blick in die Bundesländer machte Anna Gamper von der Universität Innsbruck. Dort seien die Untersuchungsausschüsse
sehr unterschiedlich geregelt. Eine einheitliche verfassungsrechtliche Vorgabe hält sie nicht für geboten,
zumal sich die Bundesländer da und dort als Pioniere erwiesen hätten, etwa was das Minderheitsrecht für
die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen betrifft. Sie bedauerte jedoch, dass in Niederösterreich
und in Oberösterreich das Minderheitsrecht noch nicht verankert ist.
Da aber in allen Untersuchungsausschüssen, ob in Bund oder Ländern, oft die gleichen Probleme und Meinungsverschiedenheiten
auftreten, sprach sie sich für eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs auch für von Landtagen
eingesetzte Untersuchungsausschüsse aus.
Aufschluss über rechtliche und praktische Fragen zum Ablauf von Untersuchungsausschüssen bietet das "Handbuch
zum Recht der Untersuchungsausschüsse im Nationalrat", das die Parlamentsdirektion herausgegeben hat.
Es ist als eine Orientierung und als "Work in Progress" zu verstehen. Das Handbuch steht hier >
zum Downloaden zur Verfügung steht.
|