Graz (pr&d) - An der Universität Graz wurde im Rahmen eines Projekts des Wissenschaftsfonds FWF ein
Abwehrpeptid aus Muttermilch so verstärkt und umgebaut, dass es Krebszellen spezifisch aufspüren kann.
Der Wirkstoff löst daraufhin den programmierten Zelltod aus. Ein Therapieansatz für schwer behandelbare
Krebsformen, der weiter geprüft wird.
Viele Krebsarten sind gut behandelbar, wenn sie früh erkannt werden und wirksame Chemotherapeutika vorliegen.
Als schwer behandelbar gelten hingegen Hautkrebs und Krebs im Gehirn (Glioblastom) sowie Metastasen, also Abkömmlinge
eines Tumors, die sich über die Blutbahn im ganzen Körper ausbreiten und einnisten. Aber auch die fieseste
Krebszelle hat eine Schwachstelle, eine Achillesferse. Die Membranhülle von Krebszellen trägt im Gegensatz
zu gesunden Zellen an der Außenseite negativ geladene Moleküle in Form des Lipids Phosphatidylserin
(PS). PS kann also als Krebsmarker dienen. Unterstützt vom Wissenschaftsfonds FWF entwickelte ein Team am
Institut für Molekulare Biowissenschaften der Universität Graz eine neue Pfeilspitze, die diese Achillesferse
selbstständig anvisiert.
Peptid-Pfeil aus Muttermilch geschnitzt
In einem ersten FWF-Projekt hatte das Team um Dagmar Zweytick bereits herausgearbeitet, dass der Krebsmarker PS
sich als Ziel für Antitumor-Medikamente eignet, da er auf diversen Krebsarten und sogar Metastasen nachweisbar
ist. In dem vom Wissenschaftsfonds geförderten Folgeprojekt gelang es dem Team nun, ein humanes Abwehrpeptid
auf Krebszellen "anzuspitzen". Ein aktives Teilstück des Peptids Lactoferricin, das in einer Vorstufe
in der Muttermilch vorkommt, wurde so umgebaut und verstärkt, dass es unter anderen Melanom- und Glioblastom-Zellen
erkennt. Die positiv geladenen Peptid-Pfeile finden die negativ geladene, PS-gespickte Oberfläche von Krebszellen,
docken an und lösen binnen Stunden den (zuvor blockierten) programmierten Zelltod aus. Mit gesunden Körperzellen
interagieren die Peptid-Varianten hingegen nicht.
Krebszellen killen und Körperzellen schonen
"Die größte Herausforderung im Designprozess war, die richtige Balance von Toxizität und
Spezifität zu finden. Wenn die Peptidstücke zu aktiv gestaltet werden, greifen sie auch gesunde Körperzellen
an. In Kontrollversuchen haben wir uns immer wieder rückversichert, dass nur Krebszellen gefunden und normale
Zellen verschont werden", erläutern Projektleiterin Dagmar Zweytick und Postdoktorandin Sabrina Riedl.
Mit Lactoferricin arbeitet die Biophysikerin bereits seit 2002. Das kleine Eiweißmolekül ist als Vorstufe
in Muttermilch präsent, die das Neugeborene nicht nur mit Nährstoffen, sondern auch einer starken antimikrobiellen
Abwehr versorgt. Lactoferricin ist Teil des angeborenen Immunsystems. Es geht als erste Abwehr-Reaktion gegen negativ
geladene körperfremde Zellen wie Bakterien und Pilze vor, aber auch gegen veränderte körpereigene
Zellen, wie Krebszellen. Um das Abwehrpeptid als Antitumor-Therapieansatz zu nutzen, musste es jedoch gezielt umgebaut
werden. Zwischen Juli 2012 und Juni 2016 arbeitete ein fünfköpfiges Team an der idealen Anordnung der
chemischen Bausteine (Aminosäuren) des aktiven Peptid-Teilstücks, das wie eine Haarnadel geformt ist.
Im Designprozess wurden zunächst möglichst aktive Formen im Computermodell simuliert. Rund fünfzehn
Wirkstoff-Varianten wurden gemäß Bauanleitung synthetisiert und an Membranmodellen und in vitro an Krebs-Zellkulturen
getestet.
Tumorschwund im Maus-Modell
In einer Kooperation mit Beate Rinner von der Medizinischen Universität Graz wurden mit den zwei besten Wirkstoffkandidaten
In-vivo-Versuche durchgeführt. Verglichen wurden peptidbehandelte und unbehandelte Maus-Xenotransplantate
(Mäuse mit humanem Krebsgewebe) und gesunde Kontrollmäuse. In den peptidbehandelten Krebsmäusen
zeigte sich ein starker bis vollständiger Rückgang der Tumore um durchschnittlich 85 Prozent beim Melanom
bzw. bis zu 50 Prozent beim Glioblastom im Vergleich zu den unbehandelten Krebsmäusen. Eine dritte Gruppe
von gesunden Kontrollmäusen trug durch den Wirkstoff keinen Schaden davon. Die Wirkstoff-Varianten wirkten
etwa zehnmal stärker als das ursprüngliche Muttermilchpeptid.
Die aktiven Peptid-Varianten mit Antitumorwirkung wurden bereits in der EU und den USA patentiert (bzw. zum Patent
eingereicht). Das Team um Dagmar Zweytick arbeitet nun mit einem Pharmaunternehmen im Rahmen eines Projekts der
Forschungsförderungsgesellschaft FFG an der Vorbereitung präklinischer Studien. Den neuen Antitumor-Wirkstoff
würde man bevorzugt über die Vene spritzen, um auch Metastasen zu erreichen. Es wird also unter anderem
getestet, wie stabil der Peptid-Pfeil im Blutsystem ist, ob ein Durchdringen der Blut-Hirnschranke möglich
ist und die Pfeilspitze weiter verstärkt werden kann.
Zur Person
Dagmar Zweytick, Assistenzprofessorin am Institut für Molekulare Biowissenschaften der Universität
Graz, ist Forschungsleiterin in der Antitumor-Peptid-Arbeitsgruppe/Biophysik. Sie studierte Technische Chemie und
promovierte in Bio- und Lebensmittelchemie an der Technischen Universität Graz. Während zehn Jahren als
Senior Scientist an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften arbeitete sie bereits mit Abwehrpeptiden.
|