Entdeckung gigantisch großer Viren löst Rätsel um vierte Domäne des Lebens
Walnut Creek/Wien (universität) - Viren sind für gewöhnlich klein – so klein, dass sie weder
mit bloßem Auge noch mit Hilfe eines Lichtmikroskops erkennbar sind. MikrobiologInnen um Michael Wagner,
Holger Daims und Matthias Horn von der Universität Wien und des U.S.-amerikanischen Joint Genome Institute
haben nun gleich vier verschiedene so genannte Riesenviren in einer Probe u.a. aus der Kläranlage Klosterneuburg
entdeckt. Die "Klosneuviren" sind hundertfach größer als das Grippevirus, für den Menschen
harmlos und beenden möglicherweise eine jahrelange Kontroverse über eine vierte Domäne des Lebens.
Die Studie erscheint aktuell in der Zeitschrift "Science".
Eigentlich war das Forschungsziel ein anderes. Ein Team des Departments für Mikrobiologie und Ökosystemforschung
um Holger Daims und Michael Wagner untersuchte Bakterien, die im natürlichen Stickstoffkreislauf der Erde
eine wichtige Rolle spielen. Bei der Untersuchung von Proben aus der Kläranlage Klosterneuburg stießen
sie auf das Erbgut ungewöhnlicher Riesenviren. "Uns war sofort klar, dass wir da etwas ganz Neuem auf
der Spur sind", so Frederik Schulz, Erstautor der Studie und damals noch Doktorand an der Universität
Wien.
Große DNA-Viren mit ungewöhnlichen Eigenschaften
"Riesenviren kennt man tatsächlich erst seit etwa zehn Jahren. Ursprünglich in einfachen Amöben
in Südfrankreich entdeckt, geht die Wissenschaft mittlerweile davon aus, dass sie weit verbreitet sind",
erklärt Matthias Horn, Doktorvater von Frederik Schulz. Riesenviren sind nicht nur ähnlich groß
wie Bakterien, ihr Genom besteht ebenfalls aus DNA und ist vergleichbar umfangreich. Damit besitzen große
DNA-Viren bis zu 200 Mal mehr Gene als beispielsweise das Grippevirus. Sie sind zwar für die Vermehrung –
wie alle bekannten Viren – auf die Zellen anderer Organismen angewiesen, aber sie haben Eigenschaften, die man
bislang nur von echten Lebewesen kannte. So bringen sie beispielsweise eine Vielzahl an Bausteinen für die
Herstellung von Eiweißen, die Proteinbiosynthese, mit.
Rekordhalter Klosneuvirus
Die jetzt entdeckten Klosneuviren haben ein für Viren gigantisch umfangreiches Erbgut. Und sie halten
einen Rekord, denn in keinem anderen Virus wurden ähnlich viele Gene für die Proteinbiosynthese entdeckt.
Ebenfalls typisch für Riesenviren: Ein Großteil des Genoms der Klosneuviren zeigt keinerlei Ähnlichkeit
zu dem anderer Viren oder Lebewesen. Das wirft aber eine weitere Frage auf: Handelt es sich bei den Riesenviren
also um Relikte einer eigenen Lebensform, die ursprünglich unabhängig von Mikroorganismen (Bakterien
und Archaeen) und den Eukaryonten (wie Pflanzen und Tieren) entstanden ist?
Keine eigene Lebensform
Die Entdeckung und Untersuchung der Klosneuviren bringt nun endlich Licht ins Dunkel und könnte die jahrelange
Debatte über den Ursprung der Riesenviren beenden. Die Rekonstruktion der Evolutionsgeschichte der Klosneuviren
zeigt, dass das Genom der Riesenviren ursprünglich eher klein war – so wie das anderer Viren. Erst im Verlauf
der Evolution sind durch den Einbau zusätzlicher Gene die riesigen Genome heutiger Vertreter entstanden. Dazu
zählen auch die Gene für die Proteinbiosynthese. Diese entstammen nicht etwa einer bisher unbekannten
Lebensform, sondern sind den Genen heutiger Lebewesen erstaunlich ähnlich. "Riesenviren sind also keine
Relikte einer vierten Domäne des Lebens, sondern eine höchst ungewöhnliche Gruppe an Viren, die
sich auf das Sammeln von Genen anderer Organismen spezialisiert haben", resümiert Tanja Woyke, Leiterin
der Studie am Joint Genome Institute.
Den Klosneuviren auf der Spur
Um die Klosneuviren und ihre ungewöhnliche Sammelleidenschaft besser verstehen zu können, müssten
sie eingehender im Labor studiert werden. Bislang konnten die Virusteilchen aber nicht isoliert werden. "Derzeit
versuchen wir, die Viren aus neuen Proben aus Klosterneuburg zu gewinnen, indem wir ihnen einzellige Amöben
für die eigene Vermehrung anbieten", erklären Horn und Wagner: “Die Entdeckung der Klosneuviren
ist ein Paradebeispiel dafür, wie wissenschaftliche Neugier zu völlig unerwarteten Entdeckungen führt,
die – in diesem Fall – grundsätzliche Fragen des Lebens betreffen".
Die Arbeit an der Studie über die Klosneuviren wurde unter anderem vom Wissenschaftsfonds (FWF) sowie vom
European Research Council (ERC) gefördert.
Publikation in "Science"
"Giant viruses with an expanded complement of translation system
components":
Frederik Schulz, Natalya Yutin, Natalia N. Ivanova, Davi R. Ortega, Tae Kwon Lee, Julia Vierheilig, Holger Daims,
Matthias Horn, Michael Wagner, Grant J. Jensen, Nikos C. Kyrpides, Eugene V. Koonin, Tanja Woyke – DOI: 10.1126/science.aal4657
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