Wien (öaw/imba) - Entdeckergeist, Neugier und akademische Freiheit – für viele Wissenschaftler sind
dies die Triebfedern, um ungeklärte Fragen zu beantworten, neue Erkenntnisse zu sammeln und mitunter sogar
völlig neue Forschungsgebiete zu erschließen. Man denke nur an die in Wien erstmals gezüchteten
menschlichen Gehirn -Organoide oder die auch hier entwickelte „Genschere“ CRISPR/Cas9, die beide gewaltiges Potenzial
für die moderne Medizin bergen. Biotechnologische Neuerungen werfen jedoch auch eine Reihe von Fragen auf
und stellen unsere Gesellschaft vor neue Herausforderungen.
Gesellschaftliche Aspekte rund um die Biowissenschaften diskutieren
Im Rahmen des Bioethik Symposiums am IMBA, Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften, wurden am 05.04. die aktuellsten Spannungsfelder der Bioethik, wie etwa die aktuelle
Lage in Österreich und in der EU, Datasharing und Biobanking, sowie grundlegende Fragen der Stammzellforschung
diskutiert. Aber auch theologische und soziopolitische Aspekte rund um die Biowissenschaften wurden im Rahmen der
Veranstaltung, die sich an die „Scientific Community“, wie auch an die interessierte Öffentlichkeit richtete,
von verschiedenen Seiten beleuchtet und analysiert.
Organoid-Pionier Knoblich lädt zum interdisziplinären Dialog
„Alle Forscher und Forscherinnen werden in der Zukunft immer mehr mit ethischen Aspekten rund um die Biowissenschaften
konfrontiert werden. Gerade wenn wir mit „sensitivem Material“, also mit menschlichen Zellkulturen arbeiten, haben
wir als Forscher eine große gesellschaftliche Verantwortung. Es ist wichtig, die Werte und auch die Anliegen
der Gesellschaft zu erkennen, und auch kritische Stimmen ernst zu nehmen, um die politischen Rahmenbedingungen
für einen verantwortungsbewussten Umgang mit neuen Technologien sinnvoll mitgestalten zu können “ äußert
sich Jürgen Knoblich, stellvertretender wissenschaftlicher Direktor am IMBA und Initiator des ersten Bioethik
Symposiums.
Bereits 2013 sorgte er mit aus Stammzellen gezüchteten Gehirnmodellen weltweit für wissenschaftliche
Schlagzeilen. Die sogenannten „Gehirn-Organoide“ bergen ein gewaltiges Potenzial für die Forschung und die
moderne Medizin. Sie erlauben es, komplexe Vorgänge der Organentwicklung und die Entstehung von Krankheiten
direkt im menschlichen Gewebe zu erforschen, und neuartige Substanzen und Wirkstoffe viel schneller an menschlichem
Material zu testen. Erst kürzlich verfasste er zusammen mit der niederländischen Parlamentarierin Annelien
Bredenoord und dem angesehenen Stammzellforscher Hans Clevers einen ersten ethischen Leitfaden für Organoide.
Aktuelle ethische Herausforderungen aus Sicht verschiedenster Disziplinen
Christiane Druml, Vorsitzende der österreichischen Bioethik Kommission und Leiterin des UNESCO-Lehrstuhls
für Bioethik der Medizinischen Universität Wien, gab in ihrem Eröffnungsvortrag einen profunden
Überblick über die Strukturen und Inhalte der Bioethik in Österreich. Gleichzeitig begrüßte
sie das aktive Engagement der Forscher für einen offenen gesellschaftlichen Dialog.
Sarah Boers, Medizinerin und Ethikerin der Universität Utrecht, behandelte in ihrem spannenden Vortrag die
ethischen Herausforderungen der aufstrebenden Organoid-Technologie und brachte gleichzeitig die Sichtweise der
Patienten mit ein. Auch das renommierte „Wellcome Trust Sanger Institute“ aus Cambridge, das eine wesentliche Rolle
im Humangenomprojekt hatte, war durch die Ethical Compliance Spezialistin Carol Smee vertreten. Sie teilte wichtige
Einblicke über die im UK praktizierten Regulierungsmechanismen von iPS (induzierten pluripotenten) Stammzellen
und zeigte erfolgreiche Beispiele für eine öffentliche Beteiligung an Forschungsprojekten auf. Erich
Griessler, Experte für Techno-Science and Societal Transformation des IHS (Institut für Höhere Studien)
präsentierte aktuelle Konzepte und Herausforderungen im Bereich „Responsible Research and Innovation“ (RRI).
Der Politikwissenschaftler Johannes Starkbaum brachte die aktuelle Thematik der Lagerung und Handhabung von Bioproben
in sogenannten „Biobanken“ mit ein. Er erläuterte dabei, wie "Genetic Privacy“ oder informierte Aufklärung
von Spenderinnen und Spendern die Regulierung von Biobanken beeinflussen können. Ulrich Körtner, Theologe
und Ethiker ging in seinem Vortag der Schlüsselfrage nach, wie auch theologische Aspekte in einem breiten
ethischen und politischen Diskurs der säkularen Gesellschaft zu berücksichtigen sind.
Bei der abschließenden Podiumsdiskussion diskutierte der Theologe zusammen mit Jürgen Knoblich, der
Kinderneurologin und Psychiaterin Martha Feucht, dem Soziologen Erich Griessler und dem Science-Fiction Autor Marc
Elsberg, der mit seinem aktuellen Bestseller „Helix“ auf mögliche gesellschaftliche Folgen neuer Technologien
wie CRISPR/Cas9 aufmerksam macht. Debattiert wurde unter anderem über die generelle Haltung der Gesellschaft
hinsichtlich technologischer Neuerungen und wie Ängste und Hoffnung diese Grundhaltung formen. Die Medizinerin
Martha Feucht brachte ein, dass Kinder von neuen Technologien wie Organoiden profitieren können, weil man
neue Therapien und Medikamente schneller entwickeln und vorab testen kann, um in Zukunft das Leiden von Kindern
mit schweren neurologischen Problemen wie Epilepsien zu mindern.
Über IMBA
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie gehört zu den führenden biomedizinischen Forschungsinstituten
in Europa. Im Fokus stehen medizinisch relevante Fragestellungen aus den Bereichen Stammzellbiologie, RNA-Biologie,
Molekulare Krankheitsmodelle und Genetik. Das Institut befindet sich am Vienna Biocenter, einem dynamischen Konglomerat
aus Universitäten, akademischer Forschung und Biotechnologie-Unternehmen. Das IMBA ist ein Tochterunternehmen
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der führenden Trägerin außeruniversitärer
Forschung in Österreich.
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