Wie sich die Formenvielfalt der Blüten in Zahlen ausdrücken lässt
Wien (universität) - Mit weit über 250.000 Arten sind die Blütenpflanzen die mit Abstand
größte Pflanzengruppe. Aber gibt es einen Zusammenhang zwischen Formenvielfalt und dem Artenreichtum?
Im Rahmen eines vom FWF geförderten Forschungsprojektes haben Marion Chartier und Jürg Schönenberger
vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien entdeckt, dass die Vielfalt
der Blüten sehr ungleichmäßig verteilt ist und dass auch relativ artenarme Verwandtschaftsgruppen
eine unerwartet hohe Formenvielfalt hervorbringen können. Ihre Ergebnisse publizierten sie aktuell in "Proceedings
of Royal Society B".
Bereits Darwin war von der Vielfalt der Blütenpflanzen und ihrer Blüten überwältigt und hatte
die Frage nach den Gründen für diese Diversität als "abominable mystery", als schreckliches
Rätsel bezeichnet. Obwohl wir heute dank modernen molekularen Methoden und der Entdeckung einer Vielzahl von
frühen Blütenpflanzenfossilien aus der Kreidezeit sehr viel mehr über die Evolutionsgeschichte dieser
Pflanzengruppe wissen, gibt es noch immer unzählige offenen Fragen. Was sind die nächsten Verwandten
der Blütenpflanzen? Was ist der Ursprung der Blüte? Weshalb sind ausgerechnet die Blütenpflanzen
im Laufe der letzten 100 Millionen Jahre so erfolgreich geworden?
Die Formenvielfalt der Blüten heute lebender Pflanzen reicht von den winzigen und außerordentlich einfach
gebauten Blüten der heimischen Wasserlinsengewächse bis zu den hochkomplexen und bis zu einem halben
Meter großen Blüten tropischer Seerosen. "Um die Diversität der Blüten besser analysieren
und verstehen zu können, haben wir deren Formenvielfalt mit Hilfe mathematisch-statistischer Methoden – sogenannter
morphospace-Analysen – erfasst. Das erlaubte uns, die Blüten verschiedener Verwandtschaftsgruppen quantitativ
miteinander zu vergleichen", erklärt Marion Chartier von der Universität Wien. "Selbstverständlich
konnten wir das nicht für alle der mehr als 250.000 heute lebenden Arten tun. Wir mussten uns auf eine bestimmte
Verwandtschaftsgruppe beschränken – nämlich die Ordnung Ericales, mit der wir uns in meiner Forschungsgruppe
bereits seit mehreren Jahren beschäftigen", ergänzt der Projektleiter Jürg Schönenberger.
Zu den Ericales gehören unter anderem die karnivoren Schlauchpflanzengewächse, Primeln, Rhododendren,
Kiwi, Kamelien (Tee), Kaki, Ebenholz und eine Vielzahl weniger gut bekannter, tropischer und subtropischer Entwicklungslinien.
Um die strukturelle Vielfalt und Komplexität der verschiedenen Blüten zu erfassen, haben die ForscherInnen
eine Vielzahl von Merkmalen, wie z.B. die Größe, Zahl und Anordnung der verschiedenen Blütenorgane
in einem riesigen Datensatz zusammengestellt und analysiert. "Wir waren überrascht, dass selbst die Blüten
von vermeintlich gut bekannten Nutzpflanzen noch nie genau untersucht wurden und wir selber Hand anlegen mussten,
um die notwendigen Daten zusammenzubekommen", kommentiert Maria von Balthazar als Mitautorin der Studie die
zeitaufwändige Datenerhebung.
"Mithilfe unseres Datensatzes haben wir erstmals die Formvielfalt der Blüten einer größeren
Verwandtschaftsgruppe quantitativ und damit objektiv analysiert. So konnten wir unter anderem zeigen, dass artenreichere
Familien zwar häufig, aber nicht immer eine größere Formenvielfalt als relativ artenarme Familien
hervorgebracht haben. In unserer Untersuchungsgruppe zeigt die mit nur etwa 340 Arten relativ kleine Familie der
sogenannten Topfnussgewächse, zu der auch der Paranuss- und der Kanonenkugelbaum gehören, die größte
morphologische Diversität der Blüten aller 22 Familien der Ericales", fasst Marion Chartier eines
der wichtigsten Resultate zusammen.
Die so gesammelten Daten machen es möglich, weitere offene Fragen zur Diversität der Blütenpflanzen
zu untersuchen. "Wir beginnen nun, die Blütendiversität unserer Untersuchungsgruppe in verschiedenen
Lebensräumen, wie z. B. tropischen Regenwäldern und Savannen miteinander zu vergleichen und erwarten
uns weitere spannende Einblick in die Vielfalt der Blüten", erläutert Jürg Schönenberger.
Publikation in "Proceedings of Royal Society B"
Chartier M, Löfstrand S, von Balthazar M, Gerber S, Jabbour F, Sauquet
H, Schönenberger J. 2017 How (much) do flowers vary? Unbalanced disparity among flower functional modules
and a mosaic pattern of morphospace occupation in the order Ericales. Proc. R. Soc. B 284: 20170066. http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2017.0066
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