Wien (universiät) - Auf der Suche nach Abweichungen von der Standardtheorie der Quantenmechanik testeten
Physiker, ob die Quantenmechanik ein noch raffinierteres mathematisches Regelwerk benötigt. Dazu entwickelte
ein Team von Forschern an der Universität Wien um Philip Walther ein neues Photonen-Experiment, in das sie
ungewöhnliche, an der Universität California Berkeley hergestellte Meta-Materialien einbauten. Ihre Experimente
bestätigen die Standardtheorie der Quantenmechanik und erlauben den WissenschafterInnen Schranken für
alternative Quantentheorien zu setzen. Die Ergebnisse, die in "Nature Communications" veröffentlicht
werden, bieten somit eine Orientierungshilfe auf der Suche nach einer allgemeineren Version der Quantenmechanik.
Die Quantenmechanik basiert auf mathematischen Regeln, die beschreiben, wie die Quantenwelt funktioniert. Diese
Regeln sagen zum Beispiel voraus, wie Elektronen um einen Atomkern kreisen und wie ein Atom Photonen, Teilchen
aus Licht, aufnimmt. Die Standardregeln der Quantenmechanik funktionieren außergewöhnlich gut. Da es
aber bei der Interpretation der Quantenmechanik noch einige offene Fragen gibt, sind sich die WissenschafterInnen
nicht gewiss, ob das letzte Wort bereits gesprochen ist. Das hat einige ForscherInnen motiviert, alternative Versionen
der mathematischen Regeln zu entwickeln, die die Ergebnisse bisheriger Messungen korrekt erklären können,
aber auch neue Einblicke in die zugrundeliegende Struktur der Quantenmechanik ermöglichen. Einige dieser alternativen
mathematischen Regeln sagen neue Effekte voraus, die neue experimentelle Tests verlangen.
Alltagserfahrung mathematischer Regeln
Wenn wir beim alltäglichen Morgenlauf einen Park umrunden, landen wir wieder am Ausgangspunkt unseres
Spaziergangs, ganz gleich ob wir im oder gegen den Uhrzeigersinn gegangen sind. PhysikerInnen sagen, dass diese
zwei Handlungen kommutieren. Nicht jede Handlung muss jedoch kommutieren: Wenn wir bei einer Umrundung des Parks
im Uhrzeigersinn zuerst ein Geldstück am Weg finden und danach einem Eisverkäufer begegnen, werden wir
den Park erfrischt verlassen. Falls wir allerdings stattdessen gegen den Uhrzeigersinn spazieren, werden wir den
Eisverkäufer vor dem Geldstück entdecken und den Park enttäuscht verlassen. Um festzustellen, welche
Handlungen kommutieren oder nicht kommutieren, entwickeln PhysikerInnen eine mathematische Beschreibung der physikalischen
Welt.
In der Standard-Quantenmechanik verwenden die mathematischen Regeln komplexe Zahlen. Kürzlich wurde jedoch
eine alternative Version der Quantenmechanik vorgeschlagen, die noch kompliziertere, so genannte "hyper-komplexe"
Zahlen verwendet, eine Verallgemeinerung der komplexen Zahlen. Mit den neuen Regeln können PhysikerInnen die
meisten Vorhersagen der Standard-Quantenmechanik reproduzieren. Allerdings sagen die hyper-komplexen Regeln voraus,
dass einige Rechenoperationen, die in der Standard-Quantenmechanik kommutieren, dies in der Realität gar nicht
täten.
Auf der Suche nach hyper-komplexen Zahlen
Ein ForscherInnenteam unter der Leitung von Philip Walther hat nun auf Abweichungen von der Standard-Quantenmechanik
getestet, die von der alternativen, hyper-komplexen Quantentheorie vorhergesagt werden. In ihren Experimenten ersetzten
die WissenschafterInnen den Park durch ein Interferometer – ein Messaufbau, der es einem einzelnen Photon erlaubt,
auf zwei Pfaden gleichzeitig zu reisen. Sie tauschten das Geld und den Eisverkäufer gegen normales optisches
Material und gegen ein speziell entworfenes Meta-Material aus. Das normale optische Material verlangsamt das Licht
geringfügig, sobald dieses durch das Material hindurchläuft, während das Meta-Material das Licht
geringfügig beschleunigt.
Die Regeln der Standard-Quantenmechanik schreiben vor, dass sich das Licht haargenau gleich verhalten muss, egal
ob es zuerst durch ein normales Material und erst dann durch ein Meta-Material läuft oder umgekehrt. In anderen
Worten, die Wirkung der zwei Materialien auf das Licht kommutiert. In der hyper-komplexen Quantenmechanik ist das
nicht notwendigerweise der Fall. Aus dem Verhalten der gemessenen Photonen bewiesen die PhysikerInnen jedoch, dass
die hyper-komplexen Regeln nicht notwendig sind, um das Experiment zu beschreiben. "Wir konnten sehr genau
eingrenzen, in wie weit hyperkomplexe Zahlen zur Beschreibung unserer Experimente notwendig sind", so Lorenzo
Procopio, ein Hauptautor der Studie. Die Autoren betonen jedoch, dass es immer schwierig ist, etwas eindeutig auszuschließen.
"Wir sind weiterhin sehr daran interessiert, Experimente unter verschiedenen Bedingungen und mit einer noch
höheren Genauigkeit durchzuführen, um die Gültigkeit der Standard-Quantenmechanik zu unterstreichen",
bekräftigt der an der Studie beteiligte Physiker Lee Rozema. Die Studie hat die Notwendigkeit einer hyper-komplexen
Quantentheorie stark eingegrenzt, aber es gibt noch viele weitere alternative Theorien, die getestet werden müssen.
Und dazu bieten die neu entwickelten Methoden die optimale Möglichkeit.
Originalpublikation in "Nature communications":
"Single-Photon Test of Hyper-Complex Quantum Theories Using a Metamaterial"
Lorenzo M. Procopio, Lee A. Rozema, Zi Jing Wong, Deny R. Hamel, Kevin O’Brien, Xiang Zhang, Borivoje Dakic, and
Philip Walther Nature Communications, DOI: 10.1038/ncomms15044
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