Wer im Zeitrahmen vom 9. Mai 1945 bis 31. Dezember 1999 in Heimen und Internaten des Bundes, der Länder
und der Kirche missbraucht bzw. misshandelt wurde und dafür eine pauschalierte Entschädigungsleistung
erhalten hat, wird ab Erreichen des Regelpensionsalters bzw. ab Pensionsantritt eine monatliche Zahlung von 300
€ erhalten. Die Antragstellung ist unbürokratisch, die Betroffenen müssen ihre Leidensgeschichte nicht
noch einmal wiederholen. Umfasst von dieser Regelung sind nun auch ehemals misshandelte und missbrauchte Kinder
in Pflegefamilien.
Die Rentenleistung kann erstmals ab Juli 2017 ausbezahlt werden und wird ab 2018 valorisiert. Sie gilt nicht als
Einkommen, ist unpfändbar und hat keine Auswirkung auf das jeweilige Existenzminimum. Eine Verfassungsbestimmung
stellt sicher, dass die Leistung auch nicht als Einkommen nach den Mindestsicherunsgesetzen der Länder gilt
und auch nicht auf diese Geldleistungen anzurechnen ist. Der Betrag wird also brutto für netto ausbezahlt.
Mit diesem einstimmigen Beschluss zu einem Heimopferrentengesetz (HOG) setzte der Nationalrat am 26.04. infolge
des von Nationalratspräsidentin Doris Bures initiierten Staatsakts "Geste der Verantwortung" vom
17. November 2016 einen konkreten Schritt, um der betroffenen Personengruppe den Einkommensnachteil, der durch
staatliches Wegschauen bzw. Nichthinschauen entstanden ist, in einem begrenzten Ausmaß auszugleichen.
Rentenleistung ist Zeichen der Verantwortung
Die Nationalratspräsidentin, der dieses Thema ein wichtiges Anliegen ist, ließ es sich daher auch nicht
nehmen, selbst ans Rednerpult zu treten. Ihr sei es damals beim Staatsakt wichtig gewesen zu betonen, dass die
offizielle Anerkennung des Leidens der Betroffenen kein Schlussstrich unter die Aufarbeitung sein darf. "Heute
können wir sagen: Es war alles andere als ein Schlussstrich", so die Nationalratspräsidentin. Der
heutige Beschluss zeige, "dass uns das Schicksal der Kinder von damals keineswegs gleichgültig ist, sondern
dass wir uns für sie verantwortlich fühlen". Und das gelte nicht nur für die Kinder von damals,
sondern auch für die Kinder von heute und morgen.
Erstmals habe man den Betroffenen zugehört und geglaubt, sagte Sozialminister Alois Stöger und appellierte,
in Zukunft jenen zu glauben, die von Misshandlungen und Missständen berichten oder solche umschreiben. Stöger
zeigte sich auch zufrieden darüber, dass die 300 € in voller Gänze bei den Menschen ankommen und eine
verfassungsrechtliche Bestimmung dafür sorgt, dass auch die Auszahlung der bedarfsorientierten Mindestsicherung
in den Bundesländern den Betrag nicht reduziert.
Seitens der Abgeordneten, die sich unisono positiv zu diesem Gesetz äußerten, gab es ein großes
Danke an die Nationalratspräsidentin für deren Initiative, aber auch an den Vorsitzenden des Sozialausschusses,
Josef Muchitsch (S). Die Beratungen seien in einem äußerst sachlichen Klima verlaufen, man habe die
Ergebnisse des Expertenhearings aufgegriffen und gegenüber der Regierungsvorlage essentielle Verbesserungen
erreicht. Es waren sich auch alle einig, dass die Rentenleistung keine Wiedergutmachung und keine Entschädigung
sein kann, denn keine Geldleistung könne das erlittene Unrecht aufwiegen. Das Parlament beweise aber damit,
dass es die Verantwortung ernst nehme.
Anträge auf Rentenauszahlung können ab 1. Juli 2017 gestellt werden
Infolge eines umfassenden von allen Fraktionen eingebrachten Abänderungsantrags wurden der Kreis der Anspruchsberechtigten
ausgeweitet und Präzisierungen vorgenommen. Waren ursprünglich nur Kinder in Heimen und Internaten vorgesehen,
so sind nunmehr auch all jene umfasst, die in Pflegefamilien misshandelt und missbraucht wurden. Damit reagierten
die Abgeordneten auf das Hearing im Sozialausschuss vom 6. April, in dem sich zahlreiche ExpertInnen für Klarstellungen
und die Ausweitung auf Opfer in Pflegefamilien aussprachen (siehe Meldung der Parlamentskorrespondenz Nr. 414/2017).
Betroffene Personen, die keine einmalige Entschädigungsleistung bekommen haben, etwa weil der Heimträger
einem Antrag nicht entsprochen hat oder ihnen aus besonderen Gründen keine zeitgerechte Einbringung eines
Antrags möglich war, müssen die ihnen zugefügte vorsätzliche Gewalt wahrscheinlich machen.
In der Regierungsvorlage war noch von "nachweisen" die Rede. Bei einer gerichtlich zuerkannten oder mit
Vergleich festgesetzten individuellen Entschädigung durch den Heimträger, welche die Ansprüche endgültig
und umfassend regelte und die Höhe der pauschalierten Leistungen überstieg, soll laut Gesetz keine Rentenleistung
mehr zuerkannt werden.
Die Entscheidung über eine Rentenleistung fällt der zuständige Sozialversicherungsträger mit
Bescheid. Dagegen kann beim Arbeits- und Sozialgericht berufen werden. Unberechtigt empfangene Rentenleistungen
sind unter bestimmten Voraussetzungen zu refundieren. Ins Gesetz aufgenommen wurde auch eine Verpflichtung, relevante
Änderungen der Sozialversicherung zu melden.
Ausgezahlt werden soll die Leistung ab Juli 2017, wobei Personen, die bereits eine Pension beziehen bzw. das Regelpensionsalter
erreicht haben, die Rente rückwirkend ab Juli erhalten, wenn sie innerhalb eines Jahres ab Inkrafttreten des
Gesetzes einen Antrag einbringen. Ansonsten wird die Rente mit dem Folgemonat des Antrags gewährt. Die Rentenleistung
gebührt für die Dauer der Zuerkennung einer Eigenpension, somit würde die Leistung nach Ablauf einer
befristet zuerkannten Eigenpension – etwa einer Invaliditätspension – ebenfalls wegfallen. Die Rentenleistung
soll zudem für die Dauer der Verbüßung einer Freiheitsstrafe und der Unterbringung in einer Anstalt
für geistig abnorme Rechtsbrecher, entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher und gefährliche Rückfallstäter
entfallen.
Ab Juli 2017 können keine neuen Anträge auf wiederkehrende Leistungen als Verdienstersatz gemäß
Verbrechensopfergesetz eingebracht werden. Diesem Teil des Gesetzes stimmten die Grünen im Rahmen einer getrennten
Abstimmung in Zweiter Lesung nicht zu, in Dritter Lesung unterstützten sie aber die gesamte Gesetzesvorlage.
Die Tore werden auch für jene geöffnet, die aus besonderen Gründen kein zulässiges oder zeitgerechtes
Ansuchen beim Heim- und Jugendwohlfahrtsträger einbringen konnten, oder diejenigen, die zwar ein zulässiges
und zeitgerechtes Ansuchen eingebracht, jedoch keine pauschalierte Entschädigungsleistung erhalten haben.
Sie können sich an die Volksanwaltschaft wenden, die nach diesem Gesetz eine weisungsfreie Rentenkommission
einrichten wird, der jedenfalls VertreterInnen von Opferhilfeorganisationen angehören. Ihre Aufgabe wird es
im Wesentlichen sein, Vorschläge für die schriftlich begründeten Empfehlungen zu erstatten, ob die
Anspruchsvoraussetzungen für eine Rentengewährung vorliegen. Dadurch will der Gesetzgeber auch eine einheitliche
Entscheidungspraxis sicherstellen. Die Entscheidung über die Rente obliegt jedoch der Sozialversicherung,
diese ist nicht an die Empfehlung der Rentenkommission gebunden. Die Kommission kann auch im Vorfeld der Empfehlung
Clearingberichte der für die jeweiligen Opfer maßgeblichen Ansprechpartner und Institutionen einholen
oder selbst Erhebungen durchführen.
In einem von ebenfalls allen Parteien eingebrachten und angenommenen Entschließungsantrag wird die Bundesregierung
ersucht, für die für die Rentenkommission notwendige personelle Ausstattung Sorge zu tragen.
Da der Sozialminister Projekte, die der Beratung, Betreuung und Unterstützung von Opfern sowie der Prävention
dienen, fördern kann, soll er laut einhelliger Auffassung der Abgeordneten dafür auch ausreichend Mittel
zur Verfügung gestellt bekommen.
Bures: Die Rentenleistung ist keine Wiedergutmachung, aber Zeichen dafür, dass man sich der Verantwortung
bewusst ist
Nationalratspräsidentin Doris Bures zeigte sich heute zufrieden darüber, dass der Staatsakt vom November
vergangenen Jahres, den sie als außergewöhnlich und berührend bezeichnete, alles andere als ein
Schlussstrich gewesen ist. Die Rentenleistung sei keine Wiedergutmachung, stellte sie klar, die seelischen und
körperlichen Wunden lassen sich nicht wiedergutmachen. Der heutige Beschluss zeige aber, dass man sich der
Verantwortung bewusst ist und man es nicht so wie damals verabsäumt zu handeln. Sie bedankte sich daher bei
der Regierung und den Abgeordneten dieses Hauses dafür, dass sie sich mit den Lebensbedingungen der Opfer
ernsthaft und sachlich auseinandergesetzt und in großer Einigkeit gehandelt haben.
Bei dem Staatsakt sei nicht nur das offizielle Österreich und die Kirche zusammengekommen, sondern auch 300
Frauen und Männer, deren Schicksale und Lebensgeschichten im Mittelpunkt gestanden sind. Als ehemalige Heimkinder
sei ihnen unvorstellbares Leid widerfahren, statt Schutz, Hilfe und Geborgenheit zu finden, hätten sie Gewalt,
Demütigung und Missbrauch erfahren. Sie seien ihrer Kindheit und allzu oft ihrer Chance auf ein selbstbestimmtes
Leben beraubt worden. Die Nationalratspräsidentin zollte in diesem Zusammenhang vor allem jenen besondere
Anerkennung, die im Vorfeld des Staatsakts um diese Aufmerksamkeit gekämpft, unermüdlich auf ihre schwierige
Situation in der Gesellschaft hingewiesen und über ihre Erfahrungen berichtet haben. Ihr Dank galt aber auch
den Kommissionen der Länder und der Kirche sowie WissenschaftlerInnen und ExpertInnen, die sich mit der systematischen
Gewalt in Kinderheimen auseinandergesetzt und die Basis für diese schwierige Aufarbeitung gelegt haben.
Beim Staatsakt habe die Öffentlichkeit den erschütternden Berichten und Lebensgeschichten endlich zugehört,
sagte Bures, denn allzu lange wurde nicht zugehört, allzu lange wurde die Gewalt und der systematische Missbrauch
vertuscht und kollektiv verleugnet.
Prävention ist notwendige Aufgabe
Ähnlich fielen die Wortmeldungen ihrer KlubkollegInnen aus. Dem Sozialausschuss sei es gelungen, eine Lösung
zustande zu bringen, die weitergeht, als ursprünglich angedacht, betonte Ausschussvorsitzender Josef Muchitsch
(S). Die Einstimmigkeit des Gesetzesbeschlusses sei ein Zeichen für die Betroffenen, dass der Gesetzgeber
seine Verantwortung spät aber doch wahrgenommen hat, meinte Ulrike Königsberger-Ludwig (S). Wie Johann
Hell (S) begrüßte sie, dass die Betroffenen ihre Anträge unbürokratisch stellen können
und die Rentenleistung brutto für netto erfolgt. Hell hält die weisungsfreie Rentenkommission bei der
Volksanwaltschaft für eine wesentliche Einrichtung; angesichts der Berichte der Volksanwaltschaft über
deren Beobachtungen in Heimen und Wohnfamilien sei es evident, dass es dort noch Verbesserungsbedarf gibt, sagte
er.
Man wollte Nägel mit Köpfen machen, beschrieb August Wöginger (V) das konstruktive Klima im Sozialausschuss.
Mit diesem Gesetz werde unter Beweis gestellt, dass Republik und Parlament mit dunklen Punkten der Vergangenheit
umgehen und eine gemeinsame Linie finden können. Sowohl Wöginger als auch Franz-Joseph Huainigg (V) unterstrichen
die Wichtigkeit von Präventivmaßnahmen, denn so etwas dürfe nicht mehr passieren, meinten beide.
Strukturelle Gewalt entstehe immer wieder, so Huainigg, der in diesem Zusammenhang die Arbeit der Volksanwaltschaft
zum Schutz der Menschenrechte besonders hervorhob. Zum wiederholten Male forderte er auch die Verankerung der Menschenwürde
in der Verfassung. In gleicher Weise befürwortete Martina Diesner-Wais (V) das Heimopferrentengesetz.
Man müsse auch in Zukunft wachsam bleiben, unterstützte FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein
die Forderungen nach Prävention. Sie regte an, über das Heimopferrentengesetz hinaus einen weiteren Schritt
zu setzen und für Fälle des Missbrauchs die Verjährungsfristen abzuschaffen. Viele Betroffene könnten
lange nicht über das Erlebte reden und dann trete oft die Verjährung ein, sodass eine gerichtliche Aufarbeitung
nicht mehr möglich ist, argumentierte Belakowitsch-Jenewein. Eine Aufhebung der Verjährungsfristen wäre
ihrer Meinung nach ein Signal an potentielle Täter, dass sie niemals davonkommen und sich nicht hinter der
Verjährung verstecken können.
Trotz uneingeschränkter Zustimmung zum Gesetz kamen auch von ihrem Klubkollegen Peter Wurm (F) kritische Töne.
Er hält den Beitrag von 300 € für zu gering angesetzt und eine Verdoppelung auf 600 € für angebracht.
Wenn man bedenke, dass die Rentenleistung rund 8 Mio. € kosten werde, sei eine Anhebung des Beitrags angesichts
dessen, was man bereit sei, für die Arbeitsmarktintegration für Asylberechtigte auszugeben, mehr als
berechtigt. Grundsätzlich meinte er, der Opferschutz in Österreich gehöre viel stärker ausgebaut.
Positive Worte für das Gesetz und die dazu im Vorfeld laufenden Verhandlungen kamen auch vom Grünen Justizsprecher
Albert Steinhauser. Er zeigte sich zufrieden, dass nun auch die Pflegekinder in den Kreis der Anspruchsberechtigten
einbezogen werden und die Rentenleistung brutto für netto erfolgt. Auch die Anlaufstelle bei der Volksanwaltschaft
hält er für den richtigen Weg. Es gebe noch immer viele, die nicht über das erlittene Leid reden
können, diesen werde die Möglichkeit eröffnet, trotzdem einen Antrag zu stellen, und zwar ohne weitere
Traumatisierung.
Ebenso hält Helene Jarmer (G) das Gesetz für ein wichtiges und notwendiges Signal. Sie regte an, sich
mehr als bisher über soziale Barrierefreiheit Gedanken zu machen und drängte darauf, vor allem Polizistinnen
und Polizisten zu sensibilisieren, wie man mit Opfern umgeht. Es bedürfe einer speziellen Kommunikation, und
dafür brauche es auch ein entsprechendes Bewusstsein.
Als eine gute und unbürokratische Lösung bezeichnete Gerald Loacker (N) seitens der NEOS den Gesetzesbeschluss.
Man hole ein Versäumnis nach und übernehme Verantwortung für etwas, was in der Vergangenheit passiert
ist. Die Rentenleistung stelle einen symbolischen Schritt dar.
Zu mehr Mut rief Waltraud Dietrich (T) von Team Stronach auf. Man müsse alles daran setzen, Kinder vor Gewalt
und schlechten Einflüssen zu schützen, deshalb müssten alle ermutigt werden, hinzuschauen und zu
handeln, denn Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern gebe es auch noch heute.
Als einen wichtigen, notwendigen und menschlichen Schritt nannte Rupert Doppler (o.F.) die Rentenleistung. Seiner
Ansicht nach ist sie aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
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