Hannover/Wien (tu) - Komplexe Biologie und Chiptechnologie werden an der TU Wien vereint. Das ermöglicht
maßgeschneiderte, personalisierte Medizin auf kleinstem Raum. Auf der Messe „Labvolution“ wird nun ein Chip
für Wundheilungs-Messungen erstmals der internationalen Fachwelt öffentlich vorgestellt. Vorsichtig hält
Professor Peter Ertl den winzigen Bio-Chip zwischen zwei Fingern, den er an der TU Wien entwickelt hat. Die integrierten
Strukturen, so unscheinbar sie auch wirken, können künftig Messdaten ermitteln, für die bisher ein
Labor mit hochqualifiziertem Personal benötigt wird. Dadurch werden medizinische Untersuchungsergebnisse billiger
und rascher verfügbar – ein entscheidender Schritt in Richtung individualisierte Medizin. Bei der internationalen
Biotechnik- und Labormesse „Labvolution“ in Hannover stellt das Team der TU Wien nun einen Chip vor, mit dem man
Wundheilung gezielt untersuchen kann.
Einfacher, schneller, billiger – „Size matters“
„Oft verlässt man sich in der Medizin auf Prognosen, die bloß auf Mittelwerten beruhen“, sagt Peter
Ertl. „Doch eigentlich wären individualisierte Ansätze wichtig, die spezielle körperliche und molekulare
Eigenheiten der betroffenen Einzelperson berücksichtigen.“
Wertvolle Erkenntnisse kann man dadurch gewinnen, dass man für die Diagnose Zellen einer Person entnimmt und
in einer konventionellen Zellkultur vermehrt, bevor man dann Analysen durchführen kann. Die CellChipGroup
an der TU Wien entwickelt miniaturisierte Systeme, die dieses Verfahren nicht nur einfacher und billiger machen,
sondern obendrein auch noch physiologisch genauere Ergebnisse liefert. Mit Hilfe kleinster Kanäle - sogenannter
Mikrofluidik – werden die wichtigsten biologischen Bedingungen wie Temperatur, Druck und Flussraten nachgeahmt,
um den am Chip lebenden Zellen eine möglichst realitätsnahe Umgebung zu bieten.
Mit diesen Zellen lassen sich dann mechanische Belastungen und Verletzungen simulieren, die am Chip mit Hilfe integrierter
Aktuatoren naturgetreu nachgestellt werden. Diese revolutionäre Technologie ermöglicht, Heilungsverläufe
verlässlich und genau zu untersuchen.
So entwickelte die CellChipGroup ein miniaturisiertes Wundheilungssystem, um individualisierte Erkenntnisse über
die Wirksamkeit bzw. Nebenwirkungen von Medikamenten zu erhalten. Direkt im Chip entsteht ein sogenannter Zellrasen,
dem auf genau kontrollierte, standardisierte und reproduzierbare Weise kleine Wunden zugefügt werden – ähnlich
wie im realen Leben. Pneumatisch bewegte Membranen stanzen kleine runde Löcher in den gesunden Zellrasen,
mit genau definiertem Durchmesser und hoher Präzision. Nicht nur die Verwundungsprozesse selbst kann man am
Bio-Chip untersuchen, man kann auch genau studieren, wie sich die Wunde von selbst wieder schließt, wie sich
die Migrationsrate von Zellen verhält und vor allem welche Medikamente die Wundheilung verbessern und beschleunigen.
„In der medizinischen Forschung ist das zur Zeit eine klassische Standardaufgabe.“, sagt Peter Ertl. „Bisher hatte
man dabei mit mangelnder Reproduzierbarkeit zu kämpfen. Mit unserem Bio-Chip ist es nun ganz einfach, immer
wieder genau identische Tests durchzuführen, sodass sich die Ergebnisse direkt vergleichen lassen.“
Rapid Prototyping für die Medizin
Entscheidend bei der Entwicklung solcher Bio-Chips ist Erfahrung mit komplexen biologischen Themen und technisches
Know-How im Bereich der Mikrofabrikation. „Wenn wir von einem ‚Lab on a Chip‘ sprechen, haben wir es höchstens
mit Flüssigkeitsmengen im Mikroliter-Bereich zu tun“, sagt Peter Ertl. „Das physikalische Verhalten dieser
Flüssigkeiten ist ganz anders, als wir es aus Anwendungen im Alltag gewohnt sind.“
Die CellChipGroup der TU Wien beschäftigt sich neben Mikrofluidik auch noch mit zahlreichen anderen Technologien,
die im Bereich „Lab on a Chip“ unverzichtbar sind - etwa Lithographie, Gusstechnik, Heißprägung und
Mikrospritzguss. Zahlreiche Bio-Chips aus verschiedenen Polymeren oder aus Glas-Polymer-Hybridmaterialien werden
an der TU Wien hergestellt. „Nachdem wir in unserem Labor ganz unterschiedliche wissenschaftliche Bereiche verbinden
und langjährige praktische Erfahrung haben, können wir den gesamten Weg von der initialen Idee eines
Firmenpartners bis zum funktionsfähigen Prototyp selbst umsetzen – und zwar innerhalb weniger Tage und Wochen.
Das ist ‘Rapid Prototyping‘ für die Biomedizin.“, sagt Peter Ertl.
Neben dieser Innovation zeigt die TU Wien zwei weitere Weltneuheiten auf dem Gemeinschaftsstand „Forschung für
die Zukunft“ auf der Labvolution/ Biotechnica (von 16. bis 18.5. in Hannover) in Halle 19/20 – Stand C66:
- „Soniccatch & sonicwipe“: zwei Add-ons, die mittels Ultraschallwellen gezielt
Partikel in Flüssigkeiten aufkonzentrieren oder von Linsen fernhalten können und damit Messungen mit
bestehenden Systemen bis zum Faktor 100 verbessern können.
- „Hot & Sour – die Bioraffinerie der Zukunft“ vereint die Vorteile von Ganzzellen
mit enzymatischen und chemischen Katalysatoren in einem einstufigen Hybrid-Bioprozess und ermöglicht die Gewinnung
wertvoller Produkte aus organischen Abfallströmen.
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