EU-Ausschuss kritisiert geplante Kompetenzübertragungen an EU
Wien (pk - Der EU-Ausschuss des Bundesrats beschloss am 09.05. einstimmig gleich zwei Subsidiaritätsrügen.
Sie betreffen die Vorschläge der EU hinsichtlich einer Verordnung über den Elektrizitätsbinnenmarkt
und einer Richtlinie mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt. Auch die Bundesländer
haben sich in einer gemeinsamen Stellungnahme dazu äußerst kritisch geäußert. Beide Gesetzentwürfe
sind Teil des sogenannten "Winterpakets" der EU – ein Gesetzespaket aus vier Verordnungs- und vier Richtlinienvorschlägen,
mit dem die Energieunion vervollständigt und der 2014 festgelegte Rahmen für die Klima- und Energiepolitik
der EU bis 2030 sowie auch der Pariser Klimavertrag umgesetzt werden sollen.
Für die Bundesrätinnen und Bundesräte widersprechen Detailbestimmungen beider Vorlagen dem Prinzip
der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Vor allem lehnen sie es ab, nationale Entscheidungskompetenzen
der EU zu übertragen und kritisieren die vorgesehene Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte, wie Ausschussvorsitzender
Edgar Mayer (V/V) ausführte.
Von vielen Seiten wurde die Notwendigkeit nationaler Steuerungsbefugnis bei der Energieversorgung unterstrichen.
Die politische Kontrolle müsse auf nationalstaatlicher Ebene bleiben, meinte etwa Heidelinde Reiter (G/S).
Energie habe etwas mit Versorgung zu tun, und die müsse man steuern können, sagte Stefan Schennach (S/W).
Strom müsse in der öffentlichen Versorgung bleiben, hielt auch Monika Mühlwerth (F/W) fest. Es sei
notwendig, in Zukunft Netze zu bauen, und diese hätten in nationalen Händen zu bleiben, betonte auch
Ferdinand Tiefnig (V/O).
Skepsis wurde im Ausschuss auch in Bezug auf die Smart Meter und die geplanten dynamischen Tarife laut. Normale
Haushalte könnten sich nicht immer aussuchen, wann man Geräte einschaltet, gaben Monika Mühlwerth
(F/W) und Eduard Köck (V/N) zu bedenken. Der dynamische Strompreis dürfe nicht verpflichtend sein, meinten
sie. Bedenken wurden auch seitens der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer geäußert. Die Arbeitnehmervertreterin
verlangte einen zeitunabhängigen Tarif, der nicht variabel ist. Seitens der Wirtschaftskammer vertrat man
die Ansicht, dass es dynamische Tarifstrukturen geben soll, jedoch nicht verpflichtend. Der im Wirtschaftsministerium
zuständige Sektionschef meinte dazu, dynamische Tarife seien im Hinblick auf Warmwasser, Wärmepumpen
oder E-Mobilität eine notwendige Weichenstellung, wo man leichter den Stromverbrauch zeitlich steuern könne.
Keinesfalls soll dadurch ein Stress für Kleinhaushalte entstehen.
Die Vorschläge der EU-Kommission zum Elektrizitätsbinnenmarkt
Der Verordnungsentwurf in Bezug auf den Elektrizitätsbinnenmarkt enthält neue Kernprinzipien für
den EU-Markt und den Stromhandel, vor allem geht es um die Integration der Erzeugung erneuerbarer Energie. Wie
man aus dem Wirtschaftsministerium erfuhr, gibt es dazu noch viel Diskussionsbedarf, sodass das Thema wahrscheinlich
noch die österreichische Ratspräsidentschaft beschäftigen wird.
Das Privileg für Ökostrom soll eingeschränkt, der Einspeisevorrang soll abgeschafft werden. Prinzipiell
soll der Einspeisevorrang nur noch für kleine Anlagen bis zu 500 kW gelten. In Mitgliedstaaten, in denen die
gesamte installierte Kapazität 15% übersteigt, wird dieser Einspeisevorrang auf 250 kW heruntergesetzt.
Diese Schwellenwerte sind aber noch in Diskussion, hieß es im Ausschuss dazu seitens des zuständigen
Sektionschefs im Wirtschaftsministerium. Bereits bestehende Ökostrom-Kraftwerke sollen jedoch ihre Einspeisetarife
behalten, auch Kleinanlagen - etwa Solarzellen auf Hausdächern - sollen weiterhin Vorrang genießen.
Die Kommission will mit der Abschaffung des Einspeisevorrangs eine Subventionsspirale verhindern. Der Energiemarkt
soll laut Kommission wettbewerbsorientiert, verbraucherzentriert, flexibel und nicht-diskriminierend gestaltet
sein, das betrifft auch die Preisbildung.
Die Kommission will außerdem die Strukturen des Strommarkts modernisieren, weil voraussichtlich im Jahr 2030
die Hälfte des Stroms in der EU aus erneuerbaren Quellen kommt und dafür der Strommarkt der Union nach
Meinung der Kommission nicht gerüstet ist, weil es an Leitungen mangelt. Vorgeschlagen wird daher die Einrichtung
von Preiszonen, was Anreiz für den Leitungsbau und den Bau von Kraftwerken bilden soll. Die Festlegung von
Strompreiszonen im Rahmen der sogenannten "Bidding Zone Review" soll weg von den Mitgliedstaaten in die
Entscheidungskompetenz der Kommission fallen, was kritisch gesehen wird. Das sei eine politische Frage, meinte
dazu der Experte des Wirtschaftsressorts, denn Ziel der EU sei es, diese Zonen kleiner zu gestalten. Das sei auch
der Hintergrund dafür, dass Deutschland die Preiszone zu Österreich trennen will.
Zudem ist geplant, regionale Betriebszentren (ROCs) mit einer einseitigen Anordnungsbefugnis einzurichten. Sie
sollen grenzüberschreitend enger in Cluster kooperieren. Österreich nimmt dazu eine sehr kritische Haltung
ein, weil das Management im Strombereich gut funktioniert und Sorge dahingehend besteht, dass ein jahrzehntelang
gut funktionierendes System neu organisiert werden soll.
Außerdem ist die Einrichtung einer Europäischen Organisation (EU DSO Entity) als Repräsentations-
und Arbeitsgremium für die Verteilnetzbetreiber vorgesehen. Zu deren Aufgabe soll unter anderem das Datenmanagement
und der Datenschutz, die Erstellung von Netzkodizes und die Entwicklung der Steuerung der Nachfrage durch intelligente
Technologie (Demand Response) zählen.
Umstritten ist laut Wirtschaftsministerium auch noch die Frage der Reservekraftwerke, sie sollten modern und sauber
betrieben werden. Keinesfalls sollten damit Kohlekraftwerke am Leben erhalten werden, was der Politik einiger EU-Länder
aber zuwiderläuft.
Zusätzlich dazu hat die Kommission einen Richtlinienvorschlag zu gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt
vorgelegt. Er zielt auf die Stärkung der StromkundInnen und auf aktivere KonsumentInnen ab. Ihre Rechte sollen
gestärkt werden, sie haben laut Vorlage die Möglichkeit, Strom zu speichern und zu verkaufen. Auch wird
darin das Recht auf verbesserte Information und auf Smart Meter festgeschrieben. Durch Smart Meter gibt es differenzierte
und dynamische Tarife und spezielle Tariflösungen. Lokale Energiebehörden sollen zudem autonome Gemeinschaftsnetze
betreiben können. Ferner werden neue Aufgaben für Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber im Hinblick
auf Speicher für Aufladestationen für E-Fahrzeuge geschaffen.
Mit Hilfe des "Winterpakets" will die EU beim Übergang zu einem umweltfreundlichen Energiesystem
eine Vorreiterrolle übernehmen und den Strommarkt weiterentwickeln. Die EU-Kommission ist auch überzeugt
davon, dass der Übergang zu sauberer erneuerbarer Energie der Wachstumssektor der Zukunft ist und damit zur
Steigerung von Wachstum und Beschäftigung beiträgt. Dritte Stoßrichtung der rund 3.500 Seiten umfassenden
Vorschläge des Gesamtpakets ist die stärkere Einbeziehung der KonsumentInnen und die Versorgungssicherheit
mit leistbarer Energie.
Ziel der EU ist es, die Treibhausgasemissionen in Europa um mindestens 40% bis zum Jahr 2030 zu reduzieren. Der
Anteil an erneuerbaren Energien im Verbrauch soll dann mindestens 27% betragen. Letztere ist eine europaweite Marke,
die nicht auf die Mitgliedstaaten heruntergebrochen wird. Diese legen ihre eigenen Ziele fest. Priorität legt
die Kommission auf die Energieeffizienz. Sie soll bis zum Jahr 2030 um 30% gegenüber 1990 steigen, statt wie
bisher geplant um 27%. Erreichen will dies die Union vor allem durch Maßnahmen im Bereich der Gebäude,
etwa bei der Wärmedämmung und durch mehr Effizienz bei technischen Anlagen. Die Einfuhr von Öl und
Gas soll dadurch reduziert werden.
Die Kritik des Bundesrats
Besonders stoßen sich die Bundesrätinnen und Bundesräte daran, dass nationale Entscheidungsbefugnisse
auf die Agentur der EU für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) und - im Zusammenhang
mit den sogenannten Bidding Zones – auf die EU-Kommission übertragen werden sollen, zumal diesbezügliche
Entscheidungen aufgrund der größeren Sachnähe und besseren regionalen Kenntnissen auf nationaler
bzw. regionaler Ebene besser durchgeführt werden können. Außerdem handle es sich dabei oftmals
um Ermessensentscheidungen, die nach Rechtsprechung des EuGH nicht an eine Agentur ausgelagert werden dürfen.
Auch zweifeln die Ausschussmitglieder den organisatorischen Mehrwert der Regionalen Betriebszentren zusätzlich
zu den bereits etablierten Servicegesellschaften der Übertragungsnetzbetreiber sowie der Koordinierung über
den Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) an. Die Verschiebung von nationalen
Entscheidungskompetenzen zu einem überregionalen, autonomen Organisationsgremium sei eine klare Einschränkung
nationaler Entscheidungsbefugnisse, heißt es in der Subsidiaritätsrüge unmissverständlich.
Besonders kritisch wird dabei die für die Regionalen Betriebszentren vorgesehene quasi-behördliche Anordnungsbefugnis
mit rechtlicher Bindungswirkung bewertet, für die noch dazu jegliche Regelung zum Rechtsschutz fehle. Auch
befürchten die LändervertreterInnen, dass mit der Einrichtung dieser Zentren Doppelstrukturen geschaffen
werden, was insgesamt zu Ineffizienzen führen werde. Sie lehnen daher das vorgeschlagene Organisationsprinzip
grundsätzlich ab. Nicht akzeptiert wird zudem eine regionale Bemessung von Regelreserven durch die EU, da
damit nationale Entscheidungskompetenzen eingeschränkt würden.
Der EU-Ausschuss begrüßt grundsätzlich die Stärkung der StromkundInnen sowie die Möglichkeit
für VerbraucherInnen, selbst Strom zu erzeugen, zu speichern und zu vermarkten. Positiv wird auch die Möglichkeit
gesehen, dass lokale Energiegemeinschaften autonome Gemeinschaftsnetze betreiben können. Die Entwicklungen
müssten jedoch einem klaren und diskriminierungsfreien rechtlichen Regelwerk unterliegen, heißt es dazu
in der Subsidiaritätsrüge.
Die Front der Kritiker ist breit
Kritische Anmerkungen kamen auch von der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer. Für die Arbeiterkammer
stellen das Winterpaket, insbesondere die heute diskutierten Gesetzesentwürfe, einen der stärksten Eingriffe
in den Strombinnenmarkt dar. Skepsis gibt es unter anderem gegen die lokalen Energiegemeinschaften, da der Strommarkt
weiterhin der solidarischen Finanzierung unterliegen sollte. Die Regelungen für die Entflechtungsvorschriften
sind für die Arbeitnehmervertretung zu unklar, man will das Ganze weiterhin in der öffentlichen Hand
sehen. Ebenso wird die Kompetenzverschiebung in einigen Bereichen in Richtung EU abgelehnt.
Die Wirtschaftskammer wiederum wendet sich gegen jegliche künstliche Eingriffe in den Markt und begrüßt
die Abschaffung des Einspeisevorrangs für Ökostrom. Die Wirtschaftsvertreterin sprach sich für neue
Geschäftsmodelle aus, bewertete zugleich aber die Regionalen Betriebszentren kritisch. Es sei zu hinterfragen,
wer dann in der Krise zuständig sein soll.
Trotz ihrer kritischen Sicht zeigte sich Monika Mühlwerth (F/W) insofern zufrieden, dass die EU auf erneuerbare
Energie setzt. Ihr Fraktionskollege Christoph Längle (F/V) äußerte sich jedoch kritisch zur noch
ungelösten Entsorgung der Batterien in Hinblick auf die E-Mobilität.
Kein gutes Haar an den Vorlagen ließ Heidelinde Reiter (G/S) von den Grünen. Das Paket ist ihrer Ansicht
nach zu wenig ambitioniert, um tatsächlich die Ziele des Pariser Klimaabkommens auch erreichen zu können.
Die Situation für die erneuerbaren Energien werden ihrer Ansicht nach nicht besser, bestehende Anlagen wie
Biomasse und Biogas müssen abgeschaltet werden – ein Rückschritt, der sie entsetzt, wie sie betonte.
Diese Sorge teilte auch Ferdinand Tiefnig (V/O) mit ihr. Der geplante Kapazitätsmechanismus werde dazu führen,
dass gut funktionierende Anlagen abgedreht werden, befürchtet Reiter.
So negativ wollte der Sektionschef des Wirtschaftsministeriums das Paket nicht sehen. Als wesentlich bezeichnete
er es, dass der Energiemix in nationaler Kompetenz bleibt.
"Winterpaket" der EU beschäftigt EU-Ausschüsse von Nationalrat und Bundesrat
Der EU-Ausschuss des Bundesrats hat bereits einige Einzelvorschläge des Winterpakets beraten und dazu kritische
Stellungnahmen abgegeben. Die diesbezüglichen Mitteilungen an Brüssel betreffen die Richtlinie über
die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden vom 17. Jänner 2017 sowie die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor
und die Agentur der EU für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) vom 15. März
2017. Auch der EU-Unterausschuss des Nationalrats hat sich am 21. März 2017 mit dem Winterpaket auseinandergesetzt
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