Drozda legt Abgeordneten vom Nationalrat angeforderten Bericht vor
Wien (pk) - Die derzeitige Rechtslage ist klar. Anders als in Deutschland hat das Verfassungsgericht in
Österreich nicht die Möglichkeit, Staatsverträge auf ihre Verfassungskonformität zu prüfen,
bevor sie ratifiziert und kundgemacht sind. Das könnte sich eines Tages als Problem erweisen. Qualifiziert
der Verfassungsgerichtshof (VfGH) einen Staatsvertrag bzw. Teile davon als verfassungswidrig, sind die entsprechenden
Bestimmungen innerstaatlich nicht mehr anzuwenden, völkerrechtlich bleibt der Vertrag hingegen verbindlich.
Der Nationalrat hat den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts daher im März 2016 ersucht, diese Problematik
genauer zu untersuchen. Der entsprechende Bericht von Kanzleramtsminister Thomas Drozda liegt nun vor ( III-386
d.B.).
Drozda gibt zwar keine Empfehlung ab, geht es nach dem vorgelegten Papier, soll sich in Zukunft jedoch nicht viel
ändern. Zwar will der Verfassungsdienst nicht ausschließen, dass es einmal in Folge der Aufhebung eines
Staatsvertrags durch den VfGH zu völkerrechtlichen Problemen kommen könnte, er sieht aber keinen wirklichen
Handlungsbedarf. Schließlich habe es in den vergangenen 50 Jahren – der VfGH kann Staatsverträge erst
seit 1964 prüfen – keinen einzigen derartigen Fall in der Praxis gegeben. Zudem sei die Vorabprüfung
von Staatsverträgen durch ein Verfassungsgericht aus rechtsvergleichender Sicht eher unüblich und vor
allem in jenen Ländern möglich, die generell eine präventive Normenkontrolle vorsehen, also auch
die Vorabprüfung von Gesetzen, wird im Bericht festgehalten. Auch die so genannte Venedig-Kommission des Europarats
empfehle die Einführung einer präventiven Normenkontrolle nicht.
Der Verfassungsdienst gibt darüber hinaus zu bedenken, dass durch die Einführung einer Vorabprüfung
von Staatsverträgen die Gefahr drohe, dass der VfGH verstärkt in tagespolitische Auseinandersetzungen
hineingezogen wird. Zudem würde sich das Verhältnis der obersten Staatsorgane zueinander wesentlich ändern
und sich die Kräfte tendenziell vom – demokratisch legitimierten – Bundespräsidenten, der den Staatsvertrag
abschließt, und vom – ebenfalls demokratisch legitimierten – Nationalrat zum Verfassungsgerichtshof verschieben.
Sollte sich die Mehrheit der Abgeordneten dennoch für präventive Staatsvertragsprüfungen durch den
VfGH entscheiden, gibt das Bundeskanzleramt einige Empfehlungen ab. Demnach soll die Prüfung, allein schon
aus zeitökonomischen Gründen, auf vorgebrachte Bedenken beschränkt werden. Damit würde man
auch vermeiden, dass der betreffende Vertrag zur Gänze "immunisiert" wird, der Verfassungsgerichtshof
also keine Möglichkeit einer nachträglichen Kontrolle mehr hat. Schließlich zeige sich oft erst
in der Praxis, wie ein Staatsvertrag angewendet wird. Es sei nahezu unmöglich, schon vorab sämtliche
Fallkonstellationen zu antizipieren, so der Bericht.
Unabdingbar ist es für den Verfassungsdienst überdies, dass vor einer Vorabprüfung ein ausverhandelter
Text vorliegt. Anfechtungsbefugt sollen nur Abgeordnete und BundesrätInnen (jeweils ein Drittel der Mitglieder
des Nationalrats bzw. des Bundesrats) sowie Landesregierungen sei, jedoch keine Einzelpersonen. Um eine Verzögerung
beim Abschluss von Staatsverträgen zu vermeiden, rät der Verfassungsdienst zu legistischen Vorkehrungen,
etwa in Form von Fristen.
Rechtsunsicherheiten zur Gänze ausschließen lassen sich laut Bericht jedenfalls auch bei einer Vorabprüfung
von Staatsverträgen durch den Verfassungsgerichtshof nicht. Schließlich könnten Verfassungswidrigkeiten
erst durch die konkrete Anwendung einzelner Bestimmungen offensichtlich werden und zur nachträglichen Aufhebung
von Teilen des Staatsvertrags führen, die ursprünglich allgemein als unproblematisch gesehen wurden.
Im Bericht ausführlich dargestellt ist auch die rechtliche Situation in Deutschland und in verschiedenen anderen
EU-Ländern. Demnach gibt es etwa in Frankreich, Irland und in etlichen zentral- und osteuropäischen Staaten
"ex-ante-Modelle" bei der Normenprüfung. Auch auf Europäischer Ebene existiert mit der Gutachtenkompetenz
des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ein Instrument vorbeugender Rechtsklärung. Spanien, Portugal, Polen,
Estland und Ungarn haben Mischmodelle.
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