BR-Präsidentin auf Arbeitsbesuch in den Niederlanden zu innovativer Pflege
Niederlande/Wien (pk) - Gemeinsam mit Bundesrats-Vizepräsidentin Ingrid Winkler (S), BR Edgar Mayer
(V), BR Monika Mühlwerth (F), BR Nicole Schreyer (G) und BR Reinhard Todt (S) absolvierte Präsidentin
Sonja Ledl-Rossmann (V) einen dreitägigen Arbeitsbesuch in den Niederlanden. Am Programm standen ein politisches
Gespräch mit Ankie Broekers-Knol, Präsidentin der Ersten Kammer, die Präsentation der niederländischen
Gesundheits- und Pflegefinanzierung sowie der Besuch zweier innovativer Pflegeeinrichtungen - dem Demenzdorf Hogeweyk
in Weesp und dem Wohn- und Pflegezentrum Humanitas in Deventer.
In den Niederlanden ist seit 1. Januar 2015 das aktuelle Langzeitpflegegesetz in Kraft. Dieses soll auch das veränderte
Verständnis für die Pflege zum Ausdruck bringen, das sicher immer stärker zum Ziel "Mehr Qualität
von Leben" ausrichtet. Dementsprechend steht nicht mehr nur die reine Versorgung, sondern vielmehr die Faktoren
Wohnen, Arbeiten, Erholung und auch Lernen im Vordergrund. Das Langzeitpflegegesetz, eine gesetzliche Volksversicherung,
sieht einen über die Lohnsteuer einkommensabhängigen Beitrag auf Basis eines festen Prozentsatzes von
9,65 Prozent vor. Hinzu kommt ein ebenfalls einkommensabhängiger Selbstbehalt, sobald Leistungen in Anspruch
genommen werden. Die Bezieher entscheiden dann selbst, ob sie die Leistungen in Form von Sachleistungen oder als
persönliche Budgets konsumieren. "Mit Blick auf das Auslaufen des Pflegefonds im Jahr 2021 ist es wichtig,
schon jetzt unterschiedliche Modelle zu prüfen, damit dann rechtzeitig der beste Weg für die Zukunft
der Pflege eingeschlagen werden kann", so Ledl-Rossmann. Auch wenn das niederländische Modell der Pflege
sowie das gesamte Gesundheitssystem nach Zahlen eines der erfolgreichsten der Welt ist, ist es bei weitem nicht
der einzige vorstellbare Ansatz. "Ein System muss immer auch zur Kultur eines Landes passen. So ist zum Beispiel
das niederländische Modell der Krankenversicherung - private Versicherungen bieten Standardpakete auf Basis
eines gesetzlich definierten Mindestleistungsrahmens an - für uns etwas gewöhnungsbedürftig. Dennoch
sollten wir uns bei der Suche nach der besten Form der Pflegefinanzierung von unterschiedlichen Zugängen inspirieren
lassen", so Ledl-Rossmann. Um den Wettbewerb unter den Versicherungen zu ermöglichen, erhalten diese
vom Staat je nach Gesundheitszustand ihrer Versicherten Zahlungen aus dem öffentlichen Krankenversicherungsfonds.
Dies soll auch verhindern, dass Versicherungen eine "Risikoselektion" vornehmen, die Standardversorgung
muss ohnedies für jeden Staatsbürger unabhängig seines Gesundheitszustandes zugänglich sein.
Innovation in der Pflege muss nicht immer teurer sein
Dass innovative Pflegeansätze nicht immer gleich mehr Geld benötigen beweist das Demenzdorf Hogeweyk
in Weesp in der Nähe von Amsterdam. Mitbegründerin Janette Spiering verwandelte ein ehemaliges Pflegeheim
für demenzkranke Menschen im Jahr 2007 in das heutige Dorf - ein Vorzeigebeispiel, das regelmäßig
Fachleute anlockt, etwa aus den USA, Kanada, Singapur oder Australien.
Das Besondere: Das Dorf bettet sich in eine Wohnsiedlung ein und verfügt über die klassische Infrastruktur
eines gewöhnlichen Ortes. Vom Theater bis zum Pub, vom Supermarkt bis zum Restaurant. "Wir möchten
den Menschen nicht das Gefühl geben, dass sie krank sind. Klassische Pflegeheime wirken oft wie Krankenhäuser
mit den entsprechenden Emotionen, die diese auslösen", so Spiering. Die aktuell 152 Patienten leben in
eigenen Wohneinheiten mit bis zu sechs Mitbewohnern. Dabei besteht jede Wohnung aus Wohnzimmer und Küche,
zwei Bädern, separaten Schlafzimmern und Außenfläche. In Gestaltung und Einrichtung geht man im
Dorf voll und ganz auf die Bedürfnisse der Patienten ein - die Anlage ist nach sieben "Lifestyle-Typen"
gestaltet, auch die Wohnungen werden individuell eingerichtet. "Urban oder ländlich, klassisch oder modern,
mit Fokus auf die eigenen vier Wände oder auf den Austausch mit den Nachbarn - jeder soll bei uns so leben,
so wie er es gewohnt ist und auch vorher geliebt hat", betont Spiering. Die Definition der Lebensstil-Typen
wurden unter wissenschaftlicher Begleitung entwickelt, Angehörige entscheiden sich im Rahmen einer schriftlichen
Befragung dafür, welche Typen den Vorlieben ihrer Angehörigen entsprechen. "Spannend und schön
finde ich, dass das Dorf die gleichen finanziellen Mittel vom Staat wie jedes andere Pflegeheim erhält. Der
beste Beweis dafür, dass Innovation in der Pflege nicht immer teurer sein muss", so Ledl-Rossmann, die
sich ähnliche Modelle auch für Österreich vorstellen kann. "Man muss dafür nicht mehr
Geld in die Hand nehmen, sondern den Mut haben, es anders einzusetzen!"
Generationenübergreifendes Wohnen als Benefit für alle
In Deventer betreibt die "Humanitas-Stiftung" ein Wohn- und Pflegezentrum, in dem 150 ältere Menschen
ein Zuhause finden. Zusätzlich leben dort sechs Studenten, die dem Leben im Haus junges Leben einhauchen.
"Die Jungen wohnen kostenlos und vereinbaren mit uns, 30 Stunden pro Woche für Nachbarschaftshilfe zu
investieren", erklärt Vorstand Dirk Metselaar. Dabei werden keine definierten Aufgaben verteilt, die
jungen Menschen sollen "einfach gute Nachbarn sein". Der Effekt: Die älteren Bewohner - unter Ihnen
auch ca. 30 teils fortgeschritten demenzkranke Menschen - genießen das Leben unter den Jugendlichen und deren
Gesellschaft und geben dabei selbst etwas an die junge Generation weiter. Wichtig sei dabei der richtige Mix, sechs
junge unter 150 älteren Menschen ist im Wohnheim in Deventer das Maximum. Bei der Auswahl der Studenten werden
bewusst jene präferiert, die "medizin- und pflegeferne" Studien absolvieren. "Ansonsten kippt
das Nachbarschaftsverhältnis schnell in Richtung Pflege und Versorgung. Diesen Effekt möchten wir vermeiden",
so Metselaar. So bringe das generationenübergreifende Zusammenleben auch "ein gewisses Stück Normalität"
in das Leben der älteren Bewohner zurück. "Auch dieses Konzept folgt ganz bewusst dem Ansatz, Leben
so normal und gewohnt wie immer zu gestalten. Dadurch entstehen im Heim tagtäglich jene gesellschaftliche
Prozesse, die auch außerhalb unser Zusammenleben prägen", so Präsidentin Ledl-Rossmann nach
dem Besuch.
Insgesamt bezeichnet sie die Erfahrungen als "vielschichtig und differenziert". "Man sieht einerseits
viele Parallelen und andererseits den Mut in den Niederlanden, einen Schritt weiter zu gehen. In Sachen Qualität
brauchen wir uns bestimmt nicht zu verstecken, von manchen überholten Formen könnten wir uns jedoch lösen.
Die Beispiele haben gezeigt, wie einfach und effektiv dies möglich ist", betont die Bundesratspräsidentin.
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