Neuer Vizekanzler Wolfgang Brandstetter sieht sich als "Brückenbauer"
Wien (pk) – Nur einen Tag nach seiner Erklärung zur Situation in der Bundesregierung hat Bundeskanzler
Christian Kern am 17.05. dem Nationalrat das neue Regierungsteam vorgestellt. Nicht der neue ÖVP-Chef Sebastian
Kurz, sondern Justizminister Wolfgang Brandstetter hat die Funktion des Vizekanzlers übernommen. Als neuen
Wirtschafts- und Wissenschaftsminister hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Morgen den bisherigen
Staatssekretär Harald Mahrer angelobt. Brandstetter sieht sich, wie er in der Plenardebatte sagte, als "Brückenbauer"
und hofft in diesem Sinn, dass die Regierungsparteien bis zu den Wahlen noch etliche Reformvorhaben umsetzen können.
Auch Kern geht von einer guten Zusammenarbeit mit Brandstetter aus. Wichtig sei ihm, dass Verantwortung im Vordergrund
steht und nicht Taktik.
Auslöser für die Regierungsumbildung war der Rücktritt von Reinhold Mitterlehner, dem nicht nur
Nationalratspräsidentin Doris Bures für seine langjährige Tätigkeit im Dienste der Republik
dankte. Auch von Seiten der Abgeordneten gab es wiederholt Lob. Mitterlehner sei jemand gewesen, mit dem man sachpolitische
Lösungen erarbeiten konnte, sagte etwa SPÖ-Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter. Auch die Umweltsprecherin
der Grünen Christiane Brunner hob dessen Sacharbeit – trotz etlicher inhaltlicher Differenzen – als vorbildhaft
hervor. Die Debatte musste nach den Erklärungen von Kern und Brandstetter kurz unterbrochen werden, weil der
neue Wirtschaftsminister im Stau stecken geblieben war, was für einige spöttische Kommentare sorgte.
In den Mittelpunkt ihrer Wortmeldungen stellten die Abgeordneten die aus ihrer Sicht wichtigsten offenen Reformvorhaben.
Von Seiten der Opposition gab es allerdings auch viel Kritik an der Regierung. Besonders unter Beschuss war neuerlich
ÖVP-Chef Kurz, auch SPÖ-Abgeordneter Josef Cap hinterfragte dessen Vorgehensweise.
Kern: Regierung wird für geordneten Übergang bis zu Wahlen sorgen
Die Erklärung von Bundeskanzler Kern fiel mit Verweis auf die gestrige Debatte kurz aus. Er betonte, dass
ein geordneter Übergang bis zu den Wahlen im Zentrum der Regierungsarbeit der nächsten Monaten stehe.
Die Regierung werde ihre internationalen Verpflichtungen wahrnehmen und das Tagesgeschäft ordentlich abwickeln,
versicherte er.
Bei Brandstetter bedankte sich Kern ausdrücklich, dass dieser das Amt des Vizekanzlers übernommen habe.
Er ist überzeugt, dass es in den verbleibenden Monaten eine gute Zusammenarbeit geben wird. Wichtig sei ihm,
dass Verantwortung im Vordergrund stehe und nicht Taktik.
Brandstetter selbst sieht sich als "Brückenbauer" und hofft in diesem Sinn einen Beitrag zur noch
offenen Reformarbeit leisten zu können. Er habe immer das Gemeinsame vor das Trennende gestellt, diesen Grundsatz
wolle er auch als Vizekanzler beibehalten. Es sei ungewöhnlich, dass gerade er als Vizekanzler angelobt wurde,
räumte Brandstetter ein, er freue sich aber auf seine schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe und wolle
sich bei Kurz für das ihm entgegengebrachte Vertrauen bedanken.
Er könne nur mit voller Rückendeckung beider Regierungsparteien agieren, hob Brandstetter hervor, wobei
er zuversichtlich ist, dass sich beide Seiten der Sachlichkeit verpflichtet fühlen. Brandstetter will sich
vor allem auf jene offenen Projekte konzentrieren, die in der kurzen Zeit bis zu den Wahlen noch machbar sind.
Offenbar hat er allerdings noch einige Überzeugungsarbeit zu leisten, seine Bemerkung, dass die Zeit des Taktierens
vorbei sei, sorgte für heitere Reaktionen in den Bänken der Abgeordneten.
Ausdrücklich gutgeheißen wurden von Brandstetter die erweiterten Machtbefugnisse für ÖVP-Chef
Kurz. Er vertraue darauf, dass der unkonventionelle Weg, den Kurz gehe, der Weg des Aufbrechens alter überkommener
parteipolitischer Strukturen, der Weg der Öffnung, der richtige Weg sei, sogar der einzig richtige, sagte
er.
FPÖ: Brandstetter ist Masseverwalter der Regierung
Skeptisch reagierte die Opposition auf die Stellungnahmen der Regierungsspitze. Brandstetter sei eine respektable
Persönlichkeit, erklärte FPÖ-Abgeordneter Walter Rosenkranz, er frage sich aber, ob dieser es wirklich
notwendig habe, den "Masseverwalter der rot-schwarzen Bundesregierung" zu spielen. Rosenkranz glaubt
nicht, dass es vor den Wahlen noch zu größeren Reformen kommen wird, vielmehr würden Stillstand
und Lähmung prolongiert. Die Regierung mache ohnehin nur Theater, ist er überzeugt, es gehe lediglich
darum, ob die nächste Bundesregierung rot-schwarz oder schwarz-rot heiße.
Ähnlich argumentierten auch seine FratkionskollegInnen Dagmar Belakowitsch-Jenewein und Axel Kassegger. Kurz
und Kern würden eine ganz große Show abziehen, nach den Wahlen werde es aber weitergehen wie bisher,
hielt Belakowitsch-Jenewein fest. Das Spiel sei durchsichtig und durchschaubar.
Dabei gibt es nach Meinung der beiden FPÖ-Abgeordneten genug Probleme zu lösen. Unter anderem nannten
sie die hohe Arbeitslosigkeit, leere Kassen, Probleme im Bereich der Sicherheit und der Zuwanderung, Rekordschulden,
ein erstarrtes System und überbordende Bürokratie. Österreich habe seine Wettbewerbsfähigkeit
verloren, klagte Kassegger. Nur die FPÖ könne frischen Wind in die Politik bringen und verkrustete Strukturen
aufbrechen.
|
Grüne wollen Regierungsbeteiligung der FPÖ verhindern
Grünen-Chefin Eva Glawischnig glaubt, dass die wichtigste Rolle von Brandstetter sein wird, Mediator zwischen
Kurz und Kern zu sein. Dass es durch das angekündigte Spiel der freien Kräfte im Parlament zu wirklichen
Reformen kommen wird, bezweifelt sie. Schließlich habe die SPÖ gestern entgegen ihrer Überzeugung
den Fristsetzungsantrag der Grünen zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare niedergestimmt.
Offenbar sei man nicht einmal bereit, die Tür für Diskussionen aufzumachen.
Ziel der Grünen ist es Glawischnig zufolge, Österreich eine blaue Regierungsbeteiligung zu ersparen,
sei es rot-blau oder schwarz-blau. Noch immer sei man damit beschäftigt, die seinerzeit von der FPÖ angerichteten
Schäden aufzuarbeiten. Als wichtige Reformthemen nannten Glawischnig und ihre Parteikolleginnen Ruperta Lichtenecker
und Christiane Brunner unter anderem den Klimaschutz, die Energiepolitik und eine Modernisierung des Steuersystems.
Die Regierung sei säumig bei der Klima- und Energiepolitik, erklärte Brunner und appellierte an die Koalitionsparteien,
in Bezug auf die notwendige Änderung des Ökostromgesetzes an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Lichtenecker hält zudem mehr Unterstützung für klein- und mittelständische Unternehmen sowie
für Ein-Personen-Unternehmen für erforderlich.
NEOS: Kurz geht es nur um "ich, ich, ich"
Er habe noch nie eine so kraftlose Debatte anlässlich des Antritts neuer Regierungsmitglieder erlebt, kommentierte
NEOS-Chef Matthias Strolz die Erklärungen der Regierungsspitze. Auch generell sieht er eine Reihe von Widersprüchlichkeiten.
Mit den Inszenierungen von ÖVP-Chef Kurz und Kanzler Kern stimme etwas nicht. Es sei nicht okay, dass Kurz
alle Macht in seiner Partei wolle, aber nicht bereit sei, Verantwortung zu übernehmen und sich auch weigere,
sich der inhaltlichen Diskussion zu stellen. Gehe es um Österreich oder gehe es um "ich, ich, ich",
gehe es um Arbeiten für die Bevölkerung oder um Taktieren, fragte er.
Erste Nagelprobe für Kurz wird nach Meinung von Strolz die Reform der Gewerbeordnung sein. An die Bevölkerung
appellierte er: "Schauen Sie genau hin und glauben sie diesen Inszenierungen nicht." Sein Parteikollege
Nikolaus Scherak kritisierte vor allem die Einmischung der Regierung in parlamentarische Prozesse, er fühlt
sich durch so manche Aussagen von der Regierungsbank verhöhnt.
NEOS-Abgeordneter Josef Schellhorn nutzte die Debatte, um auf eine liberale Wirtschaftspolitik zu drängen.
Es brauche ein Entlastungsprogramm für Unternehmen, eine Senkung der Steuerquote unter 40%, einen effizienteren
Einsatz von Steuergeld, eine "Bürokratiebremse" und einen Energie-Masterplan. Zudem hält es
Schellhorn im Sinne der Notwendigkeit neuer Arbeitswelten für unabdingbar, von der Sozialpartnerschaft wegzukommen.
Ein klares Bekenntnis legte er auch zu einem echten, freien Handel ab.
Team Stronach: ÖVP geht es ausschließlich um Kanzleramt
Seitens des Team Stronach äußerte Robert Lugar die Vermutung, dass die von der ÖVP forcierten Neuwahlen
nur einen einzigen Zweck haben, nämlich "den Kanzler wieder heim ins ÖVP-Reich zu holen". Die
von Kurz propagierte Schließung der Grenzen ist für ihn reiner "Etikettenschwindel", in Wahrheit
sei die ÖVP dafür, Zuwanderung zu fördern. Es gehe um Umsetzung "und nicht um Bla-bla",
mahnte er konkrete Taten ein. Lugar appellierte zudem an Kurz, sein Programm auf den Tisch zu legen, damit die
ÖsterreicherInnen bei den Wahlen nicht "die Katze im Sack" kaufen. Sein Parteikollege Leopold Steinbichler
sprach sich dafür aus, sich stärker der Sorgen, Ängste und Nöte der Bevölkerung anzunehmen.
Die Bestellung von Justizminister Brandstetter zum Vizekanzler wurde von Christoph Hagen (T) ausdrücklich
begrüßt. Er hofft, dass dieser "etwas Ruhe in den zerstrittenen Flohhaufen hineinbringen wird".
Schließlich sei Brandstetter der ruhende Pol in der Regierung. Hagen hofft, dass es tatsächlich gelingt,
noch einige wichtige Reformvorhaben vor den Wahlen umzusetzen.
Eine klare Positionierung der Regierung, was die Zukunft der EU betrifft, erwartet sich der fraktionslose Abgeordnete
Marcus Franz. Eine gemeinsame Sozial- und Fiskalunion ist für ihn jedenfalls der falsche Weg, es brauche keinen
"unsäglichen Superstaat". Franz forderte überdies Maßnahmen gegen Massenzuwanderung und
wandte sich vehement gegen Frauenquoten. "Bitte lassen wir diesen Unsinn." Der Feststellung, dass es
für Frauenquoten kein einziges valides Argument gibt, widersprach SPÖ-Abgeordnete Elisabeth Grossmann
allerdings mit Hinweis auf Studienergebnisse heftig.
SPÖ fordert inhaltliche Positionierung von Kurz
Mit Kritik an Kurz hielt auch SPÖ-Abgeordneter Josef Cap (S) nicht hinterm Berg. Ihn würde interessieren,
warum Mitterlehner gehen und stattdessen Sebastian Kurz kommen musste, meinte er. Was hätte Kurz im Jänner
anderes mit Kern vereinbart als Mitterlehner, was werde jetzt besser für die ÖsterreicherInnen? Es gebe
keine Antworten von Kurz auf inhaltliche Fragen, die Antwort laute stets nur "ich". Cap vermisst außerdem
eine Diskussion über die Rolle Sobotkas in der Regierung, dieser sei einfach kein Teamspieler.
Die Frage werde bleiben, warum Kurz zwar Kanzler werden will, aber sich weigere, Verantwortung als Vizekanzler
zu übernehmen, äußerte sich auch Christoph Matznetter (S) kritisch. Er selbst hält die Regierungspolitik
für durchaus erfolgreich. Das zeige sich nicht zuletzt am beginnenden Wirtschaftsaufschwung. Als wichtige
Reformanliegen der SPÖ nannte Klubobmann Andreas Schieder unter anderem die Anhebung der Studienförderung,
den Ausbau der Forschung und eine Frauenquote in Kapitalunternehmen. Seine Klubkollegin Andrea Kuntzl hob auch
die Notwendigkeit der Bildungsreform hervor.
ÖVP: Im Sinne der Unternehmen konstruktiv weiterarbeiten
Zufrieden mit der Regierungsumbildung zeigte sich die ÖVP. Beatrix Karl ist überzeugt, dass Justizminister
Brandstetter die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen wird. Dieser sei, wie Kurz treffend festgehalten habe,
parteiunabhängig und ein konstruktiver Sacharbeiter. Vielleicht gelinge es ihm als Vizekanzler, mehr Ruhe
in die Koalition zu bringen.
Sowohl Peter Haubner als auch Brigitte Jank sehen jedenfalls durchaus Erfolge der bisherigen Regierungspolitik.
So wies Haubner etwa darauf hin, dass Österreich Deutschland zuletzt beim Wachstum überholt habe, die
Beschäftigung steige und die Arbeitslosigkeit sinke. Man müsse im Sinn der österreichischen Unternehmen
aber konstruktiv weiterarbeiten. Wenn es eine stabile Konstante gebe, seien es die Unternehmen, sagte er. Konkret
forderten Haubner und Jank unter anderem die Erhöhung der Forschungsprämie, die Abschaffung der kalten
Progression und die Abschaffung des Kumulationsprinzips bei Verwaltungsstrafen. Das Thema Arbeitszeitflexibilisierung
und Mindestlohn soll nach Meinung von Haubner bei den Sozialpartnern bleiben.
Kritik an der Wortmeldung von SPÖ-Abgeordnetem Cap äußerten sowohl Jank als auch Karlheinz Töchterle.
Offenbar sei nicht nur die Opposition nervös, sondern auch die SPÖ, meinte Jank und rief zu mehr Gelassenheit
auf.
Abgeordnete einig: Universitäten brauchen finanzielle Sicherheit
Sowohl von Seiten der Opposition als auch von Seiten der Koalition immer wieder angesprochen wurden die Pläne
der Regierung zur neuen Universitätsfinanzierung. So gab Karlheinz Töchterle (V) zu bedenken, dass wieder
drei Jahre verloren gehen, sollte es nicht gelingen, noch heuer zu einer Einigung zu kommen. Bei der angestrebten
Studienplatzfinanzierung gehe es nicht darum, Studierende vom Studium auszusperren, versicherte Töchterle,
sondern um eine bessere Betreuungsqualität.
Auf eine Studienplatzfinanzierung ohne die Zahl der Studierenden zu reduzieren, drängte Andrea Kuntzl (S).
Zudem ist ihr die Ausweitung der Studienbeihilfe ein wichtiges Anliegen.
Namens der Grünen gab Sigrid Maurer zu bedenken, dass sowohl die Universitäten als auch der Forschungsförderungsfonds
FWF finanziell "in der Luft hängen". Schließlich gebe es noch keinen neuen Bundesfinanzrahmen
und werde es aufgrund der Neuwahlen auch bis zum Jahresende wohl nicht geben. Damit bleibe unsicher, ob die Universitäten
die von Reinhold Mitterlehner bereits zugesagten zusätzlichen 1,35 Mrd. € bekommen. Generell wies Maurer darauf
hin, dass Mahrer bereits der sechste Minister während ihrer hochschulpolitischen Tätigkeit sei.
Die rechtzeitige Aufstellung eines Budgets für die Leistungsvereinbarung mit den Universitäten für
die Periode 2019 bis 2021 forderte auch Andreas Karlsböck (F).
Mahrer: Offene Punkte ohne Streit abarbeiten
Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Harald Mahrer ist zuversichtlich, dass man bis zu den Wahlen offene Projekte
ohne Streit abarbeiten kann. Seiner Meinung nach sind alle Beteiligten aufgerufen, Emotionen so weit wie möglich
herauszuhalten.
Ansonsten wurden in der Plenardebatte zur Regierungsumbildung eine Vielzahl verschiedenste Detailthemen angeschnitten,
angefangen von Strafverfahren gegen einzelne AsylwerberInnen über die Situation in Pflegeheimen bis hin zu
antisemitischen Postings in einer Facebook-Gruppe der ÖVP-nahen AktionsGemeinschaft. Letztgenanntes Thema
sprach unter anderem Karl Öllinger (G) an. Er wies darauf hin, dass viele Beteiligte auch Mitglieder der Jungen
ÖVP sind.
|