"WELT KOMPAKT? – Out of Brazil"
 im MuseumsQuartier Wien

 

erstellt am
16. 05. 17
13:00 MEZ

Wien (mqw) - „WELT KOMPAKT? - Out of Brazil“, kuratiert von Ursula Maria Probst zeigt mehr als 30 künstlerische Positionen aus Brasilien und Österreich und befasst sich mit Praktiken, die durch den direkten Zugang zu Informationen und Kommunikationstools zur Anwendung gelangen. Der Gebrauch von Social Media-Kanälen wie Instagram und Facebook verändert unser Empfinden von Nähe und Ferne, unser Bewusstsein von Intimität und Distanz, von körperlicher Präsenz, Absenz und politischer Mobilität. Kollektive Arbeitsformen und das Engagement für politische, soziale und ethnische Fragen sind das zentrale Anliegen aller teilnehmenden KünstlerInnen.

Welchen Einfluss haben soziale Medien auf die Gestaltung sogenannter „glocaler“ (global & local) Projekte und Lebensmodelle? Wie wirken sich Soziale Medien auf Prozesse der Meinungs- und Entscheidungsfreiheit sowie auf die Demokratisierung von Wissens- und Informationstransfers aus?

„Das Volk wird so lange protestieren bis es wieder eine demokratisch gewählte Regierung gibt!“ – Copacabana, Karneval, Amazonas, Fußball WM, die Besetzung der Favelas während der Olympiade durch das Militär – derzeit ist die öffentliche Wahrnehmung von Brasilien in der Welt durch die politische und ökonomische Situation geprägt: Proteste, Massendemonstrationen, Gewaltausschreitungen und der Kampf der indigenen Bevölkerung für ihr Land. Die in der Ausstellung vertretene brasilianische KünstlerInnen-Generation ist von diesen rasanten Entwicklungen drastisch betroffen.

„WELT KOMPAKT? – Out of Brazil“ stellt Bezüge zu historischen Verbindungslinien zwischen Österreich und Brasilien her, knüpft an postkoloniale Diskurse an und erweitert diese um aktuelle künstlerische Strategien und Kommunikationsformen, die sich aufgrund der Einwirkung sozialer Medien ergeben.

Kuratorin Ursula Maria Probst hinterfragt dabei das Verhältnis derzeitiger künstlerischer Produktionen zu Genealogien kultureller und medialer Aneignungsprozesse. Die gezeigten Arbeiten befassen sich mit der Demokratisierung und Rückführung von Kunst ins alltägliche Leben. Zum Teil dekontextualisieren sie auch die Methoden des „Neoconcretismo“, der geometrischen Abstraktion der 1960er Jahre mit ihren bedeutenden VertreterInnen Hélio Oiticica und Lygia Clark.

Historisch nimmt die Ausstellung auf das 200-jährige Jubiläum der Landung der habsburgisch-österreichischen Erzherzogin Maria Leopoldine in Rio de Janeiro, das 2017 begangen wird, Bezug. Dort fand dazu eine Großausstellung kuratiert von Luis Carlos Antonelli, Paulo Herkenhoff und Solange Goday statt. Bis heute gilt Leopoldine als eine der wichtigsten Schlüsselfiguren im Emanzipationsprozess Brasiliens. Sie holte Wissenschaftler ins Land und forschte selbst. 1822 verkündete ihr Ehemann Don Pedro die Unabhängigkeit Brasiliens von Portugal. Aus Anlass der Verheiratung von Leopoldine wurde 1817 eine Expedition von Wien nach Rio de Janeiro entsandt. In Wien wurde ein „Brasilanum“ errichtet.

Im 20. Jahrhundert begannen künstlerische Avantgarden Brasiliens die koloniale Vergangenheit zu thematisieren. In den 1930er Jahren entstand in Brasilien eine politische Gruppierung, die sich als „Antropofagia“, Menschenfresser, bezeichnete und sich dabei auf eine Urangst der portugiesischen Eroberer im 16. Jahrhundert bezog, die von diesen als Vorwand für ihr brutales Ausrotten der indigenen Bevölkerung herangezogen wurde. Die „Antropofagia“ entstand als Antwort auf eine Kultur, die Brasilien zu einer Identifikation mit der europäischen Kultur zwang, als Protest gegen Unterwürfigkeit gegenüber Kolonialmächten und den Katholizismus, die sich aber auch in Widersprüche verstrickte.

Als Ausstellungs- und Performance-Projekt spannen die Arbeiten der beteiligten KünstlerInnen einen Bogen und verfolgen dabei nicht das Selbstverständnis einer Präsentation von künstlerischen Endproduktionen, sondern sind Mittel einer pluralistisch angestimmten Kommunikation. Die an dem Projekt „WELT KOMPAKT? – Out of Brazil“ beteiligten brasilianischen und österreichischen KünstlerInnen halten oder hielten sich für Austauschprojekte in Brasilien oder Österreich auf oder leben derzeit in Wien.

So thematisiert der Künstler Christian Kosmas Mayer in seiner Installation „Les Vues du Brésil à Vienne“ in Bezugnahme auf die historischen Fakten rund um die Expeditionen von Erzherzogin Maria Leopoldine wie es um die heutige Brasilien-Euphorie in Wien bestellt ist. An der intensiven Mitwirkung von brasilianischen KünstlerInnen wie Daniel Lie oder des „Opavivara Collectiv“ an den diesjährigen Wiener Festwochen zeigt sich, dass die Tendenz steigend ist.

Die Künstlerin Marie Carangi setzt in ihren Performances transdisziplinäre Techniken wie Handycam oder Theremin ein, um emanzipatorische Forderungen durch direkten Körpereinsatz zu artikulieren. So protestiert sie etwa gegen das in Brasilien geltende „Oben ohne“-Verbot.

Die Aktivistin und Künstlerin Giseli Vasconcelos erstellt in ihrer multimedialen Installation „For a critical cartograph of the Amazon:
REMIXTEXTURES“ eine kritische Kartografie des Amazonas, aus der Sicht der dort lebenden Menschen, während Libidiunga Cardoso auf die „Antropofagia“ durch postkoloniale Fragestellungen Bezug nimmt.

In seinem seit 2006 laufenden Projekt „Multitude (brava gente)“ (2006) zeigt Lucas Bambozzi durch die Technik einer multituden Sequenz wie 100 Mitglieder der indigenen Bevölkerung in São Paulo einen einzigen Moment der Erfahrung miteinander teilen. Dabei greift Bambozzi Überlegungen von Michael Hardt und Antonio Negri zum Konflikt zwischen Individuum und Kollektiv auf und reflektiert die Bedingungen des Individuums als „Interakteur“ im Feld der Kunst und Technologie.

Die unter dem Titel „EXSCTA“ produzierten Lithografien von Simone Carneiro basieren auf Experimenten der Künstlerin mit unterschiedlichen Apparaten und den Möglichkeiten, Bildmotive zu erzeugen, die einerseits die Momente von Steuerung und Zufall im künstlerischen Prozess erweitern und andererseits das Verhältnis von visueller Abstraktion und Technologie befragen und erforschen.

Die KünstlerInnen Kadija de Paula und Chico Togni lebten im Jänner 2017 als Artists-in-Residence im Q21/MuseumsQuartier. Während dieser Zeit fanden sie durch eine alltägliche Praxis des „Dumsterns“ Nahrungsmittel im Wert von über EUR 600, bewirteten mehr als 50 BesucherInnen und servierten 200 Speisen in 4 Happenings, die jeden Samstag während ihres Aufenthaltes in ihrem Studio stattfanden. Sie bauten mehr als 10 Objekte, environmentartige Strukturen und gestalteten grafisches Material, einen Ofen und das „ultimate p”. Via Facebook schickten sie die Einladungen zu ihren für alle zugängliche Dinners. Im Rahmen der Ausstellung findet ihr Projekt eine performative Fortsetzung durch Events und von ihnen gestaltete Environments.

Das Projekt von Dudu Quintanilha beschäftigt sich mit der Frage wie durch künstlerische Artikulationsformen neue Modelle der Kommunikation zwischen aus verschiedenen sozialen Gruppierungen stammenden Personen über einen Zeitraum von einem Monat entwickelt werden können. Dudu Quintanilha startete während seines Aufenthalts als Artist-in-Residence im Q21/MuseumsQuartier mit einem Pilotprojekt, das in der Ausstellung präsentiert wird. Das Video „I am Cos” (2016) von Axel Stockburger ist Teil einer Serie von Arbeiten, die sich mit der „Cosplay“ Kultur beschäftigt, einer in Japan entstandenen Form der Fankultur, in der Fans Charaktere aus Anime oder Computerspielen verkörpern. „Cosplay“ ist ein globales Phänomen das die Überführung von virtuellen Identitätsformen in realweltliche Situationen anschaulich macht. In der Arbeit „I am Cos“ setzt sich Axel Stockburger mit der „Cosplay“ Szene in Sao Paulo’s Liberdade Viertel auseinander, wo regelmäßig Kostüme im öffentlichen Raum präsentiert werden.

Roberta Lima überträgt in ihrer Installation „queer flow”, die sie aus Spiegel, Stegen und optischen Geräten zusammengesetzt hat, ihre Erfahrungen als Migrantin und Feministin im öffentlichen Raum.

Seit 2010 betreibt Ines Doujak ihr „Eccentric Archive”, in dem sie sich kritisch mit ethnografischen Bild-Sammlungen, die unsere Wahrnehmung von Menschen anderer Kulturkreise prägen, befasst. Durch die Gestaltung von Postern schafft sie Alternativen zu hegemonialen Wissensproduktionen. Ein Auszug davon ist in der Ausstellung zu sehen.

Die raumgreifende Installation von Daniel Lie zeigt auf fahnenartig hängenden Stoffbahnen Bildapplikationen von durch Allergien ausgelösten Wundmalen. Er visualisiert dabei, wie Praktiken des Selfies und rituelle Gesten ineinandergreifen.

Die multimediale Installation „LÌNGUAS E LÌNGUAS“ (2012) von Elke Auer und Esther Straganz zeigt ineinander verschlungene Körper. Sie spielt dabei mit der doppelten Bedeutung des portugiesischen Worts „Lingua“, das sowohl „Zunge“ als auch „Sprache“ bedeutet.

KünstlerInnen:
Elke Auer & Esther Straganz (AUT), Lucas Bambozzi* (BRA), Fabiane M. Borges* (BRA), Marie Carangi* (BRA), Libidiunga Cardoso (BRA), Simone Carneiro (AUT/BRA), Pêdra Costa (BRA), Kadija de Paula & Chico Togni* (CAN/BRA), Giovanna Graziosi Casimiro (BRA), Miss G (a.k.a. Giorgia Conceição)* (BRA), Silvio De Camillis Borges* (BRA), Caetano Carvalho* (BRA), Maya Dikstein* (BRA/ISR), Ines Doujak (AUT), Fabiana Faleiros* (BRA), Female Obsession (GBR), Anna Jermolaewa (RUS), Jamie Lauriano (BRA)*, Daniel Lie* (BRA), Roberta Lima (BRA/AUT), MARSSARES* (BRA), Christian Kosmas Mayer (GER), Thais Medeiros* (BRA), Denise Palmieri (BRA), Dudu Quintanilha* (BRA), Camilla Rocha Campos* (BRA), Luiz Roque* (BRA), Juliana dos Santos (BRA), Axel Stockburger (GER), Giseli Vasconcelos* (BRA), Antoinette Zwirchmayr (AUT) u.a.
*Artist-in-Residence des Q21/MQ

Kuratorin: Ursula Maria Probst

Dauer: 23.06. bis 03.09., Di–So 13–20h, Eintritt frei
Eröffnung: Do 22.06., 19h

 

 

 

Weitere Informationen:
http://www.Q21.at

 

 

 

 

 

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