Forscher finden Hinweise auf 7,2 Millionen Jahre alte Vormenschen-Art vom Balkan – Neue Hypothese
zum Ursprung des Menschen
Tübingen (idw) - Die gemeinsame Linie von Schimpansen und Menschen hat sich möglicherweise mehrere
hunderttausend Jahre früher getrennt als bislang angenommen: Diese These veröffentlichte ein internationales
Forschungsteam um Professorin Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment
an der Universität Tübingen jetzt in zwei zeitgleich erschienen Publikationen im Fachjournal Plos One.
Die Forscherinnen und Forscher haben zwei Fossilfunde des Graecopithecus freybergi mit modernsten Methoden untersucht
und kommen dabei zu dem Ergebnis, dass es sich um eine bisher unbekannte Vormenschenart handelt. Das Wissenschaftlerteam
hält es aufgrund der neuen Erkenntnisse zudem für möglich, dass die Abspaltung der menschlichen
Linie im östlichen Mittelmeerraum stattgefunden hat und nicht – wie bisher vielfach angenommen – in Afrika.
Heute ist der Schimpanse der nächste Verwandte des Menschen. Wann ihr letzter gemeinsamer Vorfahr lebte, ist
ein zentrales und sehr umstrittenes Forschungsthema der Paläoanthropologie. Bislang nimmt die Forschung an,
dass sich die Linien vor fünf bis sieben Millionen Jahren trennten und die erste Vormenschenart im heutigen
Afrika entstand. Nach der Theorie des französischen Paläoanthropologen Ives Coppens von 1994 könnten
dabei Klimaveränderungen in Ostafrika eine entscheidende Rolle gespielt haben. Mit der neuen Studie entwirft
das Forscherteam aus Deutschland, Bulgarien, Griechenland, Kanada, Frankreich und Australien nun ein völlig
anderes Szenario für die früheste Menschheitsgeschichte.
Zahnwurzeln geben neue Hinweise
Im Rahmen der Studie untersuchte das Team um Madelaine Böhme und Professor Nikolai Spassov von der Bulgarischen
Akademie der Wissenschaften die beiden einzigen bekannten Funde des Hominiden Graecopithecus freybergi: einen Unterkiefer
aus Grabungen in Griechenland sowie einen Zahn aus Bulgarien. Per Computertomografie machten die Forscher die interne
Struktur der Fossilien sichtbar und zeigten, dass die Wurzeln der Vorbackenzähne weitgehend verschmolzen waren.
Während Menschenaffen üblicherweise zwei oder drei getrennte Zahnwurzeln besitzen, gilt die Verschmelzung
der Wurzeln eines Zahns als charakteristisches Merkmal des Men-schen, der Urmenschen (frühe Vertreter der
Gattung Homo) und einiger Vormenschen (Ar-dipithecus und Australopithecus). Zudem wies der von den Wissenschaftlern
‚El Graeco‘ getaufte Unterkiefer weitere Merkmale an Zahnwurzeln auf, die nach Einschätzung der Au-toren darauf
hindeuten, dass es sich bei Graecopithecus um einen Vertreter der Vormen-schen (Tribus Hominini) handeln könnte.
„Wir waren von unseren Ergebnissen selbst über-rascht, denn bislang waren Vormenschen ausschließlich
aus Afrika südlich der Sahara be-kannt“, erklärt Jochen Fuss, Doktorand an der Universität Tübingen,
der die Untersuchung durchführte.
Zudem scheint Graecopithecus mehrere hunderttausend Jahre älter zu sein als der bisher früheste potenzielle
Vormensch Afrikas, der sechs bis sieben Millionen Jahre alte Sa-helanthropus aus dem Tschad: Das Forscherteam konnte
die sedimentären Abfolgen der Fundstellen in Griechenland und Bulgarien mit physikalischen Methoden auf ein
nahezu übereinstimmendes Alter beider Fossilien von 7,24 bzw. 7,175 Millionen Jahre vor heute datieren. „Dies
war der Beginn des sogenannten Messinium, an dessen Ende es zur Aus-trocknung des Mittelmeeres kam“, erklärt
Böhme. David Begun, ein Ko-Author der Studie von der Universität Toronto ergänzt: „Mit dieser Datierung
lässt sich die Trennung der Vor-menschen- und der Schimpansen-Linie in den östlichen Mittelmeerraum verlegen.“
Umweltveränderung als Motor der Abspaltung
Ähnlich wie bei der Theorie, nach der die ersten Vormenschen in Ostafrika entstanden sind, geht auch das Team
um Madelaine Böhme davon aus, dass eine dramatische Umweltver-änderung zur Entstehung des Vormenschen
geführt hat: Die Forscherinnen und Forscher erläutern in ihrer Studie, dass die Sahara in Nordafrika
bereits vor mehr als sieben Millionen Jahren entstanden ist. Dies folgern sie aus geologischen Untersuchungen an
Sedimenten, aus denen beide Vormenschen-Reste geborgen wurden: Obwohl weit voneinander entfernt gelegen, wiesen
beide rote feinkörnige Schluffe auf, wie sie für Wüstenstaub typisch ist. Die physikalische Altersbestimmung
anhand der Isotope von Uran, Thorium und Blei einzelner Staubkörner ergaben ein Alter zwischen 600 Millionen
und drei Milliarden Jahren und lassen auf eine Herkunft aus Nordafrika schließen.
Auch sei im staubigen Sediment ein hoher Gehalt an unterschiedlichen Salzen nachzuwei-sen. „Diese Daten könnten
erstmalig eine Sahara belegen, die sich vor 7,2 Millionen Jahren ausbreitete und deren Wüstenstürme rote,
salzhaltige Stäube bis an die Nordküste des damaligen Mittelmeeres bliesen“, erklärt die Tübinger
Forscherin. Dieser Prozess lasse sich zwar noch heute beobachten. Allerdings berechneten die Forscher für
die damalige Zeit Staubmengen von bis zu 250 Gramm pro Quadratmeter und Jahr. Dies entspricht der zehn-fachen Menge
der Staubbelastung im heutigen Südeuropa und ist vergleichbar mit der heutigen Situation in der Sahel-Zone.
Von Feuer, Gras und Wasserstress
Die Forscherinnen und Forscher können in der Studie zudem zeigen, dass sich – parallel zur Entstehung der
Sahara in Nordafrika – eine Savannenlandschaft in Europa ausgebildet haben muss. Mit einer Kombination neuer Methoden
untersuchten sie im Sediment enthal-tene mikroskopisch kleine Holzkohle-Reste sowie Kieselsäure-Partikel von
Pflanzen, soge-nannte Phytolithe. Die Mehrzahl stammte von Süßgräsern, die den Stoffwechselweg
der C4-Photosynthese nutzen und heute in tropischen Grasländern oder Savannen vorkommen. Die weltweite Ausbreitung
dieser C4-Gräser begann vor circa acht Millionen Jahren auf dem indischen Subkontinent – doch ihre Präsenz
in Europa war bisher unbekannt. „Die Phytolithe zeigten Spuren starker Trockenheit, die Holzkohle-Untersuchungen
weisen auf wiederkehrende Brände hin“, sagt Böhme. „Zusammengenommen lässt sich das Bild einer Savanne
zeichnen. Dazu passt, dass gemeinsam mit Graecopithecus Fossilien von Vorfahren der heutigen Giraffen, Gazellen,
Antilopen und Nashörner gefunden wurden“, ergänzt Spassov.
Die Entstehung einer ersten Wüste in Nordafrika vor mehr als sieben Millionen Jahren und die zeitgleiche Ausbreitung
von Savannen in Südeuropa könnten eine zentrale Rolle für die Trennung der menschlichen Stammlinie
von der Abstammungslinie der Schimpansen gespielt haben, sagt Böhme. Sie nennt ihre Hypothese eine „North
Side Story“ – in Analogie zu Yves Coppens These, die als „East Side Story“ bekannt ist.
Publikationen:
Jochen Fuss, Nikolai Spassov, David Begun, Madelaine Böhme: Potential
hominin affinities of Graecopithecus from the late Miocene of Europe. PLOS ONE,
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0177127
Madelaine Böhme, Nikolai Spassov, Martin Ebner, Denis Geraads, Latinka Hristova, Uwe Kirscher, Sabine Kötter,
Ulf Linnemann, Jerome Prieto, Socrates Roussiakis, George The-odorou, Gregor Uhlig, Michael Winklhofer: Messinian
age and savannah environment of the possible hominin Graecopithecus from Europe. PLOS ONE,
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0177347
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