Aussprache mit EU-Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip im Parlament – Vorhaben der EU-Kommission
und Digitalisierungsfortschritt in Österreich als zentrale Themen
Brüssel/Wien (pk) - Mandatare des Nationalrats und des Bundesrats trafen am 01.06. im Parlament mit
dem Vizepräsidenten der Europäischen Kommission für den digitalen Binnenmarkt, Andrus Ansip, zu
einer Aussprache zusammen. Den Schwerpunkt des Gesprächs bildete das Portfolio des für den digitalen
Binnenmarkt zuständigen Vizepräsidenten. Vor allem ging es um einen Austausch zur Strategie der EU, zum
Stand der Digitalisierung und zum weiteren Fahrplan auch hinsichtlich der österreichischen Entwicklungen in
diesem Bereich.
Den Vorsitz führte der stellvertretende Ausschussvorsitzende des EU-Ausschusses des Bundesrats, Stefan Schennach
(SPÖ). Neben den Bundesräten Mario Lindner (SPÖ) und Reinhard Pisec (FPÖ) nahm Nationalratsabgeordneter
Andreas Hanger (ÖVP) an der Aussprache teil.
Strategie der EU-Kommission für den digitalen Binnenmarkt
Die Europäische Kommission hat sich seit Mai 2015 mit der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt umfangreiche
Legislativvorschläge und politische Initiativen vorgenommen. Anfang Mai 2017 wurde nun eine Halbzeitbewertung
der bisherigen Fortschritte veröffentlicht, in der die Kommission zugleich zur zügigen Annahme der wichtigsten
Vorschläge aufruft und anstehende Herausforderungen benennt. In drei Hauptbereichen seien die nächsten
Maßnahmen auf EU-Ebene erforderlich, und zwar zur Ausschöpfung des vollen Potenzials der europäischen
Datenwirtschaft, im Bereich der Cybersicherheit und zur Förderung der Online-Plattformen als verantwortungsvolle
Akteure in einem fairen Ökosystem des Internets. Außerdem befasst sich die Kommission etwa mit der Notwendigkeit
weiterer Investitionen in digitale Infrastrukturen und Technologien. Beispielsweise Hochleistungsrechnersysteme
würden die Möglichkeiten einzelner Mitgliedsstaaten bei weitem überstiegen, so die Kommission.
Ansip: Digitaler Binnenmarkt für Europas Zukunft
All diese Maßnahmen seien für Europas Zukunft von zentraler Bedeutung, unterstrich der für den
digitalen Binnenmarkt zuständige EU-Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip. Ein reibungslos funktionierender
digitaler Binnenmarkt würde dazu beitragen, dass in ganz Europa neue Arbeitsplätze entstehen und die
Wirtschaft und Innovation in Gang kommen. Ansip verwies auf eine Reihe auf EU-Ebene bereits umgesetzter Erfolge,
wie etwa die Abschaffung der Roaminggebühren ab 15. Juni 2017. Zum Thema Datenschutz gebe es unterschiedliche
gesetzliche Rahmen in den Mitgliedsstaaten, so der EU-Kommissions-Vizepräsident für Digitalisierung.
Die Wirtschaft der Zukunft sei aber auch eine der Datenwirtschaft. Einerseits gelte es, Daten zu schützen,
andererseits sei beispielsweise für E-Health-Anwendungen der freie Datenfluss wichtig. Er hofft auf Unterstützung
der Mitgliedsstaaten, in Richtung freier Datenfluss weiterzugehen.
Bundesrat Schennach unterstrich zwar die Bedeutung und Chancen betreffend den Digitalen Binnenmarkt, äußerte
aber auch Bedenken hinsichtlich zukünftiger Jobsituationen und sozialer Absicherung, wenn es infolge der Digitalisierung
immer weniger Arbeitsplätze und SteuerzahlerInnen gibt. Er glaube jedenfalls fest an den Fortschritt, unterstrich
Andrus Ansip dazu, und dieser erzeuge immer mehr Jobs, als er zerstöre. Neue Entwicklungen, ebenso wie digitale
Kompetenzen, müssten entsprechend unterstützt werden. Die Geschwindigkeit sei hoch, der Wettbewerb sei
global, aber Österreich sei in einer guten Position, zeigte sich Ansip überzeugt.
Nationalratsabgeordneter Andreas Hanger bekannte sich seinerseits zu Europa, dem Binnenmarkt und dem freien Handel,
sieht aber die Entwicklung der marktbeherrschenden Stellung der großen Plattformen kritisch. Während
die Wertschöpfung in den Nationalstaaten erfolge, laufen die Gewinne und Steuern dieser Unternehmen in Niedrigsteuerländer.
Bundesrat Reinhard Pisec sieht hier vor allem amerikanische Player und Finanzierungen im Vordergrund. Die Steuern
sollten dort eingehoben werden, wo Gewinne gemacht werden, sagte dazu Ansip, dies sei aber vielmehr eine Frage
der steuerlichen Regelungen. Es gehe ihm insgesamt um gleiche Bedingungen in der gesamten EU. Etwa bei Plattformen
gestalten sich diese insofern schwierig, weil man hier bei unterschiedlichen Typen von Plattformen vor unterschiedlichen
Herausforderungen stehe und nicht alle mit einer einzigen Regel lösen könne.
Das betreffe auch das Thema Hate-Speech. Man müsse hier die unterschiedlichen Plattformen analysieren und
step-by-step Lösungen finden, so der EU-Kommissions-Vizepräsident für Digitalisierung. Innovation
dürfe nicht verhindert werden, man müsse sich aber auch ansehen, wo es zu unfairen Wettbewerbsbedingungen
komme. In Europa wären zudem für Start-ups die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen, damit diese
wachsen können. Darum gehe es auch in der Strategie für den digitalen Binnenmarkt. Und die USA hätten
eben schon wesentlich früher wesentlich mehr investiert, sagte er in Richtung Pisec, in Europa stehen diese
Maßnahmen und Investitionen jetzt an.
Stand der Digitalisierung in Österreich
Zum Stand der Digitalisierung in Europa 2017 insgesamt liegt der Europe's Digital Progress Report (EDPR) mit allen
Länderprofilen der Mitgliedsstaaten vor. Dabei wurden quantitative Daten des Digital Economy and Society Index
(DESI) mit qualitativen Informationen zur Politik des jeweiligen Landes verknüpft. Österreich nimmt dabei
unter den 28 EU-Mitgliedstaaten wie im Vorjahr den 10. Platz ein. Die Digitalisierungsfortschritte entsprechen
etwa dem EU-Schnitt. Bei den digitalen öffentlichen Diensten (E-Government) und beim Humankapital (digitale
Kompetenzen) schneidet Österreich im Bericht besonders gut ab, dies strich auch Andrus Ansip heute positiv
hervor. Über dem EU-Durchschnitt liegt auch die Integration der Digitaltechnik durch österreichische
Unternehmen, auch wenn hier weniger Fortschritte erzielt wurden. Die Konnektivität (Netzinfrastruktur) erreicht
trotz günstiger Breitbandpreise genau den Durchschnittswert. Unterdurchschnittlich ist einzige die Nutzung
von Internetdiensten, obwohl Online-Einkäufe und Online-Banking verhältnismäßig weit verbreitet
sind. Vor allem Videoanrufe, aber auch Soziale Netzwerke werden hier weniger genutzt. An nationalen österreichischen
Strategien werden im Bericht etwa die "Digital Roadmap Austria" mit einer umfassenden Übersicht
über Herausforderungen und geplanten Maßnahmen, sowie das Regierungsprogramm 2017/18, das die Digitalisierung
als eine der wichtigsten Prioritäten beinhaltet, hervorgehoben.
Grundsätzlich seien Digitale NutzerInnen, die nicht mehr zu früheren Medien zurückgehen wollen,
nicht nur junge Menschen, sagte Andrus Ansip. Man müsse insgesamt mehr digitale Möglichkeiten für
die Vielzahl der Menschen schaffen, die mittlerweile das Internet voll in ihr Leben integriert haben, meinte er
zu konkreten Möglichkeiten der Weiterentwicklung von E-Government, etwa im Hinblick auf E-Voting.
Er sprach Österreich expliziten Dank für die bisherige Unterstützung in digitalen Fragen aus. Bundesrat
Stefan Schennach hatte zuvor auf die Digitale Agenda der österreichischen Regierung und die bisherigen Maßnahmen,
etwa um den digitalen "Gap" zwischen städtischem und ländlichem Raum zu schließen, hingewiesen.
Schennach und Pisec hoben speziell auch die hohe Bedeutung der flächendeckenden Breitbandversorgung hervor.
Hier sei die bisherige Breitbandförderung trotz der Fortschritte aber noch nicht ausreichend, so Pisec.
Abschließend regte Stefan Schennach gegenüber dem aus Estland stammenden Ansip eine Fortsetzung der
Diskussion auf breiterer Ebene an. Er schlug vor, für den kommenden EU-Ratsvorsitz Estlands mit einem Digitalisierungs-Schwerpunkt
eine interparlamentarische Konferenz zum Thema anzudenken.
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