Redox-empfindlicher, zersetzbarer Stomatocyten-Nanomotor bringt Arzneistoffe in die Zelle
Frankfurt (idw) - Nanomediziner forschen nach Systemen, die sich ihr Ziel selbst suchen, und Arzneien genau
dort freigesetzt werden, wo sie wirken sollen. Ein Team von niederländischen Wissenschaften hat jetzt einen
Nanomotor entwickelt, der diese Funktionen erfüllt: Ein Antitumor-Wirkstoff wird in speziellen Vesikeln verpackt
durch die Zellmembran transportiert und im Zellinneren durch ein chemisches Signal, das die Zersetzung der Vesikelmembran
auslöst, freigesetzt. Dieses nanomedizinische Liefer- und Auspacksystem stellen sie in der Zeitschrift "Angewandte
Chemie" vor.
Nanovesikel mit Eigenantrieb sind als Transportmöglichkeiten für Wirkstoffe attraktiv. Angetrieben zum
Beispiel durch einen Gradienten von Wasserstoffperoxid, können sie sich sogar gerichtet vorwärtsbewegen.
Daniela A. Wilson und ihr Team an der Radboud-Universität in den Niederlanden kombinierten verschiedene Ideen,
den Nanomotor mit Eigenantrieb, die Wirkstoffverkapselung und die signalabhängige Zersetzung des Nanotransportmittels
und entwickelten ein sich autonom vorwärts bewegendes Vesikel mit Polymermembran. Trifft das Vesikel auf erhöhte
Konzentrationen von Glutathion, einem zelleigenen chemischen Signalmolekül, öffnet es sich und entlädt
seinen eingeschlossenen Wirkstoff in die Zelle.
Glutathion ist ein sogenanntes Redox-Molekül, ein Antioxidans. In der Zelle fängt das kleine Peptid reaktive
Sauerstoffspezies ab, und außerdem liefert es die Aminosäure Cystein für den Proteinaufbau. In
Tumorgeweben gibt es vielerorts charakteristisch erhöhte Glutathionspiegel. Auf der Suche nach einer "Türklinke"
für ihre künstlichen Vesikelmotoren mit Wirkstoffladung stießen Wilson und ihr Team auf Glutathion:
"Das kleine Glutathion kann in die PEG-Hülle des Nanomotors endringen und dann die Redox-empfindlichen
Disulfidbrücken brechen [...], was zur Spaltung der PEG-Außenhülle führt", schreiben
sie. Somit löst die Spaltung der Disulfidbindungen eine Zersetzung der Membran aus, und der Inhalt des Vesikels,
ein Wirkstoff, verteilt sich in der Zelle.
Das Material der Vesikelmembran ist ein Block-Copolymer aus Polyethylenglykol (PEG) und Polystyrol, die durch eine
Disulfid-Bindung miteinander verknüpft sind. Während der Selbstorganisation zu einer Membran kann ein
Antikrebs-Wirkstoff eingeschlossen werden. Dann wird der Motor zugefügt: Platin-Nanopartikel, die das künstliche
Vesikel in tassenförmige Stomatozyten umformen, das heißt Vesikel mit einer charakteristischen Einbuchtung
für den Nanomotor. Der Nanopartikel-Katalysator zersetzt Wasserstoffperoxid, das Tumorzellen mit ihrem erhöhten
Stoffwechsel vermehrt produzieren. Durch die Treibstoffzersetzung bewegen sich die Stomatozyten geradlinig in eine
Richtung, zum Beispiel durch eine Zellmembran hindurch. Im Zellinneren betätigt Glutathion gewissermaßen
die Türklinke, öffnet das Vesikel und beendet die Bewegung durch Vergiftung des Katalysator-Motors.
Für menschliche Zellkulturen haben die Autoren bereits zeigen können, wie die Motor-getriebenen Stomatozyten
in die Zelle eingeschleust werden, sich dort zersetzen und den Wirkstoff freigeben. Nach Meinung der Wissenschaftler
bietet dieses Nano-U-Boot für künftige zielgerichtete Wirkstoffanwendungen ein attraktives Konzept.
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