Mikl-Leitner: Europäische Union muss bei großen Herausforderungen weg vom Einstimmigkeitsprinzip
– Kurz: Unser Europa ist auf dem Grundprinzip der Subsidiarität aufgebaut – Brandstetter: Es gibt nichts Wichtigeres
für die Bürger als die Friedenssicherung
Göttweig (nöi/bmeia/bmj/nlk) - Mit 1. Jänner 1995 traten neben Österreich auch Schweden
und Finnland der Europäischen Union bei und erhöhten damit die Anzahl der Mitgliedsstaaten von 12 auf
15. Gleichzeitig wurde in diesem Jahr das Europa-Forum Wachau ins Leben gerufen. „Persönlichkeiten wie Jean-Claude
Junker, Wolfgang Schüssel, Erwin Pröll sowie auch Alois Mock waren vor 22 Jahren Hauptredner beim Europa-Forum
und haben damals Europa entscheidend mitgestaltet“, erinnerte sich Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die das
Projekt von Beginn an mitbegleitet hat, am 10.06. bei ihrer Rede am Eröffnungstag des Europaforums. „Gerade
in diesen Tagen erinnern wir uns an den großen Europäer Alois Mock, der den Beitritt Österreichs
zur Europäischen Union stark unterstützt hat. Am heutigen Tag wäre er 83 Jahre alt geworden und
daher wollen wir ihm das diesjährige Europa-Forum widmen“, so Mikl-Leitner. Am 11.06. fand eine heilige Messe
am Göttweiger Berg in Gedenken an den ehemaligen Außenminister Alois Mock statt.
Trotz der Krisen und Umbrüche in den letzten Jahren hat der Gründungsgedanke der EU – eine Vereinigung
der europäischen Länder zur Sicherung des dauerhaften Friedens zu schaffen – immer Bestand. „Das ist
auch der Grund, warum aus ursprünglich sechs Gründungsländern mittlerweile 28 Mitgliedsstaaten wurden
und warum eine gemeinsame Währung eingeführt wurde“, hielt Mikl-Leitner fest, die in diesem Zusammenhang
auf die Wichtigkeit der Europäischen Union, trotz neuer Herausforderungen, wie zum Beispiel dem Austritt von
Großbritannien, verwies. „Wir leben in einer Zeit, in der die EU Rückschläge einstecken muss und
populistische Parteien zu fixen Größen in manchen Mitgliedstaaten werden. Es ist daher notwendig, dass
wir alle gemeinsam Europa neu positionieren und wieder ein modernes, starkes und handlungsfähiges Europa schaffen,
dem die Menschen vertrauen können“, erklärte Mikl-Leitner.
Studien würden belegen, dass regionale Politik und damit die Nähe zu den Bürgern Vertrauen schafft.
Daher stünde das diesjährige Europa-Forum unter dem Titel „A Europe closer to its Citizens“ – „Bürgernähe
in Europa“. „Jeder Regionalpolitiker kennt die Sorgen und Anliegen der Menschen in seinen Regionen. Hier spüren
die Menschen unmittelbar, dass Politik für sie gemacht wird. Diese Stärke muss auch Europa für sich
nutzen“, so Johanna Mikl-Leitner, die sich diesem Thema anhand zweier Fragen näherte: Wie geht es eigentlich
den Menschen in und mit Europa und was trägt die Art der Zusammenarbeit innerhalb Europas bei?
Die erste Frage war für die Landeshauptfrau einfach zu beantworten: Viele Menschen hätten eine Grundskepsis
gegenüber der Europäischen Union und ihren Institutionen. Dem könne mit Vertrauen und Nähe
zu den Bürgern entgegengesteuert werden. Das hieße, dass die echten Anliegen der Menschen im Mittelpunkt
stehen sollten und nicht Randthemen. Bei der zweiten Frage sprach die Landeshauptfrau unangenehme Themen an. Beispielsweise
seien während der Migrationskrise Regeln oder Verpflichtungen - wie die Dublin Verordnung - der einzelnen
Mitgliedsstaaten nicht eingehalten worden. Dadurch sei Österreich gezwungen gewesen, einen eigenen Weg - wie
die Schließung der Balkanroute - zu gehen.
„Dies war ein notwendiger und wichtiger Schritt zum Schutz der Österreicherinnen und Österreicher – wenn
es auch nur der zweitbeste Weg war. Eine gemeinsame Lösung der EU hätte allen Europäerinnen und
Europäern gezeigt, dass wir innerhalb der Europäischen Union an einem Strang ziehen“, erklärt Mikl-Leitner
und zeigte sich überzeugt, dass vor allem mit einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Außenpolitik
wieder für mehr Vertrauen in die Europäische Union geschaffen werden kann.
Dazu brauche es einen europäisch organisierten Grenz- und Küstenschutz sowie eine enge Verzahnung der
nationalen Streitkräfte. Dabei benötige Europa vor allem mehrheitlich gefasste Beschlüsse, um möglichst
rasch und effektiv handeln zu können.
Ein weiterer Schwerpunkt in der Rede der Landeshauptfrau war der Einsatz von EU-Mitteln. Dabei war für Mikl-Leitner
klar, dass es in Zukunft trotz großer Herausforderungen weniger Geld zu verteilen gäbe. Das bedeute,
dass alle Ebenen mit weniger Budget mehr leisten müssten. Entscheidend ist dabei, wo und wie die Mittel eingesetzt
würden. „Ich plädiere dafür, dass auch in der nächsten Finanzperiode EU-Regionalfördermittel
punktgenau eingesetzt werden. Gerade über die Regionalfördermittel und die dadurch initiierten Projekte
wird die Europäische Union für die Menschen spürbar und sichtbar, die regionale Wirtschaft wird
gestärkt und regionale Arbeitsplätze werden gesichert. Damit wird Vertrauen in die Europäische Union
gewonnen“, so die Landeshauptfrau.
Auch der Bereich Wissenschaft und Forschung sei für den Einsatz der EU Mittel ein zentrales Thema. In diesem
Bereich habe die Europäische Union vielen Regionen - auch Niederösterreich - zu einer dynamischen Entwicklung
verholfen und das soll auch zukünftig so bleiben.
Abschließend betonte Mikl-Leitner: „Für die nächste Generation soll es selbstverständlich
sein, dass sie ein Teil der EU ist. Sie sollen jene Werte erhalten und weitergeben, von denen wir bereits profitiert
haben und noch profitieren werden“.
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„Fülle an Maßnahmen und Impulsen“
Am 11.06.ging das Europa-Forum Wachau im Stift Göttweig mit dem zweiten Veranstaltungstag zu Ende. Gestartet
wurde mit einer Heiligen Messe in der Stiftskirche im Gedenken an den ehemaligen Vizekanzler und Außenminister
der Republik Österreich Dr. Alois Mock. Nach den einleitenden Worten von Landeshauptfrau Mag. Johanna Mikl-Leitner
sprachen auch Univ.-Prof. Dr. Ulrike Guérot, Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung
an der Donau-Universität Krems, Fiona Hyslop, Mitglied der Schottischen Regierung, zuständig für
Kultur, Tourismus und auswärtige Angelegenheiten, Ekaterina Zaharieva, Vizepremierministerin für Justizreform
und Außenministerin der Republik Bulgarien, sowie Vizekanzler und Justizminister Dr. Wolfgang Brandstetter
zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Man habe sich am 10.06. intensiv damit auseinandergesetzt, wie Europa bürgernäher werden könne,
betonte Landeshauptfrau Mikl-Leitner, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Europa-Forums Wachau „mit großem
Elan“ und „mit großer Motivation“ dabei seien. Es sei „spürbar und fühlbar, dass man von Europa
begeistert ist und willens, andere für die europäische Idee zu entfachen“, so Mikl-Leitner. Es habe in
der Europäischen Union Fehlentwicklungen gegeben und man müsse nun vertrauensbildende Maßnahmen
setzen, „um das Vertrauen zu stärken“. Für ein besseres, starkes und gemeinsames Europa müsse man
das Prinzip der Subsidiarität leben. Man sei sich am 10.06. einig gewesen, dass es wichtig sei, „dass sich
Europa auf die großen Herausforderungen konzentriert und sich nicht mit Randthemen beschäftigt“. Die
Europäische Union müsse bei großen Herausforderungen „weg vom Einstimmigkeitsprinzip und hin zu
mehrheitlichen Beschlüssen“, so Mikl-Leitner.
Es habe am 10.06. „eine Fülle an Maßnahmen und Impulsen gegeben“, von denen sie denke, wenn diese eingehalten
werden, „dass wir zu schnelleren Entscheidungen kommen“, so die Landeshauptfrau. Die Themen seien in den Arbeitsgruppen
aufgenommen und diskutiert worden, diese seien mit hochkarätigen Experten besetzt und die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer seien mit Begeisterung dabei gewesen, hielt Mikl-Leitner fest, dass die Schülerinnen und Schüler
des BG/BRG Klosterneuburg ein Vorzeigebeispiel dafür seien, dass sich junge Menschen erfreuen, mitzudiskutieren
und mitgestalten zu können.
„Mir ist es wichtig, dass wir uns nicht allein mit den Inhalten der Festrede und der Arbeitskreise begnügen,
sondern, dass wir diese wissenschaftlich aufarbeiten lassen“, informierte die Landeshauptfrau über eine der
Neuerungen des Europa-Forums Wachau. Es solle ein Dokument erarbeitet werden, das man Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker überreichen werde und dieses solle in die Zukunftsentwicklung der Europäischen Union
eingehen. Eine zweite Neuerung sei, dass man die Bürger mitnehmen wolle und auch beim Europa-Forum Wachau
Bürgerbeteiligung erreichen wolle. Mit Diskussionsplattformen wolle man die Bürger „von außen hereinholen“.
„Das ist dann auch gelebte Bürgernähe“, so Mikl-Leitner.
Die Landeshauptfrau bedankte sich bei allen Verantwortungsträgern des Europa-Forums Wachau: „Wir gehören
zu jenen, die die Zukunft mitgestalten wollen.“ Mikl-Leitner sagte auch „Danke“ an Prof. Paul Lendvai, „dass du
zum 22. Mal dabei bist“: „Du bist einfach ein fixer Bestandteil des Europa-Forums Wachau“. Die Landeshauptfrau
bedankte sich weiters bei der Präsidentin des Europa-Forums Wachau, Landesrätin Mag. Barbara Schwarz,
für die Koordination und „für deine Initiative, die jungen Menschen ins Europa-Forum Wachau hereinzuholen.“
Es sei „eine Ehre und Bürde zugleich“ die Querdenkerrede am Europa-Forum Wachau zu halten – eine Ehre, weil
schon so viele namhafte Persönlichkeiten vor ihr gesprochen hätten, eine Bürde, weil die Querdenkerrolle
eine kritische Stimme sei, sagte Univ.-Prof. Dr. Ulrike Guérot, Leiterin des Departments für Europapolitik
und Demokratieforschung der Donau-Universität Krems. Die EU müsse „vom Kopf auf die Füße gestellt
werden“, nahm Guérot auf die Vulkanskulptur „Europa umstülpen“ – das Kunstprojekt „Die Botschaft von
Amikejo“ – Bezug. Ständig werde in der EU etwas entschieden, was alle betreffe, aber keiner sei dafür
verantwortlich, betonte Guérot, dass man die europäischen Bürger wieder in politische Entscheidungsgewalt
bringen müsse. „Die EU muss umgestülpt werden, um wieder ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt
zu werden, nämlich den Menschen zu dienen“, meinte Guérot, dass eine Europäische Republik der
erste Schritt zu mehr Bürgernähe in Europa sei.
Fiona Hyslop, Mitglied der Schottischen Regierung, zuständig für Kultur, Tourismus und auswärtige
Angelegenheiten, führte aus, dass bei der Wahl in Großbritannien eine Million junge Menschen wählen
gegangen sei, das seien jene Menschen gewesen, die für den Verbleib in der EU gestimmt hätten, die aber
bei der Brexit-Entscheidung zu wenige gewesen seien. Die heutige Generation sei in die EU hineingeboren, sie würde
diese als ihr Recht ansehen, man könne viel von dieser Perspektive lernen. Viele hätten gesagt, dass
der Brexit ein Warnruf für die EU sei, dass sie bürgernäher werden müsse. Großbritannien
habe sich entschieden, die EU zu verlassen, 62 Prozent der Schotten hingegen wollten in der EU bleiben, betonte
Hyslop, dass Schottland immer ein pro-europäisches Land gewesen und immer noch für den Verbleib in der
EU sei. Sie sagte, dass man einen großen Fokus auf die zukünftige Generation legen müsse.
Das Europa-Forum Wachau sei eine Diskussionsplattform, von der bereits viele Anreize ausgegangen seien, betonte
Ekaterina Zaharieva, Vizepremierministerin für Justizreformen und Außenministerin der Republik Bulgarien.
Man könne stolz auf die Errungenschaften der Europäischen Union sein, stellte sie zugleich fest, dass
es aber auch große Veränderungen in der Zukunft brauche. Man müsse sich mehr mit den Besorgnissen
der Bürger beschäftigen. Die Welt befinde sich in einer Krise, führte Zaharieva aus, dass es zu
einer Enttäuschung mit der Mainstream-Politik innerhalb und außerhalb der EU gekommen sei und viele
Studien gezeigt hätten, dass das Vertrauen zurückgegangen sei. Es sei entscheidend, mehr Bürgernähe
zu schaffen, wenn man die bisherigen Errungenschaften der EU aufrecht erhalten wolle. Es brauche einen Abbau der
Bürokratie und damit verbunden einfachere Verfahren. Man müsse die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
stärken.
Dr. Wolfgang Brandstetter, Vizekanzler und Bundesminister für Justiz der Republik Österreich, sagte einleitend,
dass er „in die Fußstapfen meines großen Vorbildes“ als Vizekanzler getreten sei. Es sei daher für
ihn „ein wichtiger Moment heute hier sein zu dürfen“, hier beim Europa-Forum Wachau, das Alois Mock mitgeprägt
habe. „Das gemeinsame Haus Europa ist in der Krise“, führte Brandstetter aus, dass das Thema Bürgernähe
daher aktueller nicht sein könne. Die Europäische Union setze falsche Prioritäten, man beginne das
jetzt zu erkennen, auch dank Veranstaltungen wie der heutigen. Man müsse sich dessen bewusst sein, was sich
der Bürger an Regelwerken erwarte und was er wirklich brauche. „Dieses Projekt, diese EU ist es wert, dass
man sie reformiert“, betonte der Vizekanzler, dass das Friedensprojekt so wichtig sei, „dass man es unbedingt dort
sanieren muss, wo es notwendig ist“.
Das diesjährige Europa-Forum Wachau, das auch heuer wieder von Prof. Paul Lendvai moderiert wurde, stand ganz
im Zeichen des Themas „Bürgernähe in Europa“. Im Zuge der heutigen abschließenden Plenarveranstaltung
wurden auch die Résumées der Arbeitskreise unter Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler
des BG/BRG Klosterneuburg präsentiert. Getagt wurde zu den Themen „Die EU Globalstrategie: wie kann sie der
EU helfen, für ihre Sicherheit zu sorgen?“, „Europa der Vielfalt und Subsidiarität: Entscheidungsfindungen
effizient und bürgernah!“, „Zwischen Asien und USA: wie kann Europa wettbewerbsfähig bleiben?“ und „Alles
Kultur? Migration, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Spannungsverhältnis“.
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