Das Volkstheater trauert um sein Ehrenmitglied Hilde Sochor. Die vielfach ausgezeichnete Schauspielerin,
die mehr als ein halbes Jahrhundert das Wiener Theater geprägt und das Publikum fasziniert hat, starb am 31.
Mai 2017 im Alter von 93 Jahren in Wien.
Wien (volkstheater) - Hilde Sochor, geboren am 5. Februar 1924 in Wien, nahm nach der Matura neben ihrem Studium
der Germanistik und Theaterwissenschaft Schauspielunterricht bei Leopold Rudolf. 1948 promovierte sie an der Universität
Wien und legte im gleichen Jahr die Schauspielprüfung ab. Von 1949 bis 1996 war Hilde Sochor Ensemblemitglied
des Volkstheaters und stand in 60 Jahren in über 300 Rollen auf der Bühne dieses Theaters. Sie spielte
in Stücken von Bertolt Brecht (Yvette in Mutter Courage und ihre Kinder in der Vorstellung, die 1962 in Wien
den Brecht-Boykott brach und Grusche in Der kaukasische Kreidekreis 1964, Herr Puntila und sein Knecht Matti 1987
mit Karl Paryla, aber auch klassische Rollen wie die Amme in Romeo und Julia von William Shakespeare oder Marthe
Schwerdtlein in Goethes Faust I und 1971 Marthe Rull in Kleists Der zerbrochne Krug mit Helmut Qualtinger. Neben
Karl Merkatz war sie 1980 die Frau Bockerer in der Wiederentdeckung des Stückes am Volkstheater und später
auch in Berlin. Bei den Salzburger Festspielen war sie 1992 unter der Regie von Andrzej Wajda in Wesele zu sehen.
Als Höhepunkt ihrer Alterszeit trat Hilde Sochor im Wiener Rabenhof-Theater auf, als Mörderin Elfriede
Blauensteiner und in Werner Schwabs Seele brennt! mit Dirk Stermann und Christoph Grissemann.
Keine Schauspielerin des Wiener Theaters aber hat in ihrem Leben in so vielen österreichischen Volksstücken
gespielt wie Hilde Sochor. Sie war in über 50 Rollen in Stücken von Johann Nestroy, Ferdinand Raimund
und Ludwig Anzengruber zu sehen, zumeist unter der Regie von Gustav Manker, dessen berühmtem Nestroy-Ensemble
sie jahrzehntelang angehörte, darunter in Der Talisman mit Helmut Qualtinger (1969) und schon 1952 mit Fritz
Kortner in Der Alpenkönig und der Menschenfeind unter Regie von Gustaf Gründgens in Düsseldorf.
Den Begriff „Volkstheater“ wollte Hilde Sochor jedoch nicht zu eng gefasst haben, denn: „Shakespeare ist auch Volkstheater,
er hat für das Volk geschrieben, und Brecht genauso.“
In Joshua Sobols Weiningers Nacht stand Sochor 1988 gemeinsam mit ihrem Sohn Paulus Manker (der auch Regie führte
und das Stück später verfilmte) auf der Bühne des Volkstheaters; zuvor spielte sie mit ihrer Tochter
Katharina Bertolt Brechts Mutter Courage und ihre Kinder.
Ihre letzten Auftritte am Volkstheater waren die Großmutter in Geschichten aus dem Wiener Wald und das Fräulein
Schneider in Cabaret. Sochor führte auch Regie, war in zahlreichen Film- und Fernsehrollen zu sehen und erlangte
durch Fernsehserien wie Hallo – Hotel Sacher … Portier!, Familie Merian oder Kaisermühlen-Blues weitere Popularität.
1956 heiratete sie den Regisseur, Bühnenbildner und Theaterdirektor Gustav Manker (1913–1988), unter dessen
Leitung sie 73 Rollen, darunter viele wichtige Rollen ihrer Karriere spielte und das legendäre Nestroy-Ensemble
des Volkstheaters wesentlich mitprägte. Sie hatte mit ihm drei Kinder: Die Schauspielerin Katharina Scholz-Manker,
den Schauspieler und Regisseur Paulus Manker und die Ärztin Magdalena Manker.
Zum 80. Geburtstag drehte Hilde Sochors Sohn Paulus Manker 2004 für den ORF eine sehr liebevolle Dokumentation
über seine Mutter: Das Leben brennt heut’ wieder sehr.
Hilde Sochor erhielt 1978 das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien, 1989 den Johann-Nestroy-Ring der Stadt
Wien, 1991 den Karl-Skraup-Preis (heute: Dorothea-Neff-Preis) des Volkstheaters, 2000 die Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt
Wien in Gold, 2004 das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien, 2007 den Nestroy-Preis für
ihr Lebenswerk und 2014 das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich.
1983 wurde ihr der Berufstitel Professor verliehen, 1989 wurde sie zur Kammerschauspielerin ernannt.
„Mit Hilde Sochor verliert das Volkstheater eine der größten Persönlichkeiten des Wiener Theaters“,
sagt Volkstheater-Intendantin Anna Badora. „Wie keine andere hat sie es verstanden, mit Herzenswärme, Witz
und Klugheit in die Seelen ihrer Figuren einzutauchen. In der wechselvollen Geschichte des Volkstheaters nach dem
Krieg hat wohl niemand den Ausdruck Volksschauspielerin so sehr verdient und so sehr zu einer Auszeichnung gemacht
wie Hilde Sochor. Wien lag ihr zu Füßen und feierte sie bis ins hohe Alter. Ihre schauspielerischen
Glanzleistungen waren stets begleitet von gesellschaftspolitischem Engagement. Mit ihrem ganzen Charme und ihrem
einnehmenden Wesen diente sie auf der Bühne immer auch der Aufklärung und dem gegenseitigen Verstehen
Ich bin sehr dankbar, dass ich durch die Freundschaft mit ihren Kindern die Gelegenheit hatte, diese große
Schauspielerin auch privat etwas näher kennen lernen zu dürfen. Sie wird mir und uns allen fehlen. Hilde
Sochors Kolleg/innen und Weggefährt/innen trauern um eine Ikone.“
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