Volksanwaltschaft: 83% Beanstandungen
 bei präventiver Menschenrechtskontrolle

 

erstellt am
19. 06. 17
13:00 MEZ

Gravierende Missstände in der Pflege; Beschwerdeplus bei der Verwaltung
Wien (pk) - 83% der Menschenrechtskontrollen, die 2016 von der Volksanwaltschaft als Nationaler Präventionsmechanismus (NPT) österreichweit in Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern, Psychiatrien, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung oder Polizeianhaltezentren durchgeführt wurden, haben Defizite aufgedeckt. Gravierende Missstände gibt es in den Pflegeheimen. Wie ein roter Faden zieht sich im jüngsten Tätigkeitsbericht der Volksanwaltschaft ( III 354 d.B.) dabei ein grober Personal- und Ärztemangel in vielen dieser Einrichtungen. Insbesondere beklagt sie außerdem eine unzureichende Sensibilität für psychisch kranke Menschen.

In Punkto Kontrolle der öffentlichen Verwaltung wandten sich voriges Jahr rund 18.500 Menschen an die Volksanwaltschaft. Einen Grund für das Beschwerdeplus von rund 1200 Fällen gegenüber 2015 sehen die VolksanwältInnen Günther Kräuter, Gertrude Brinek und Peter Fichtenbauer in den durch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen immer komplexer werdenden Anforderungen an die staatliche Verwaltung, wie sie im Bericht erklären. Durchschnittlich langten 2016 pro Arbeitstag 74 Beschwerden bei der Volksanwaltschaft ein. Bei jeder fünften Beschwerde wurde ein Missstand in der heimischen Verwaltung festgestellt.

Inneres auf Platz eins
Bei knapp der Hälfte der Beschwerden, nämlich in 9.268 Fällen, wurde seitens der Volkanwaltschaft ein Prüfverfahren eingeleitet, davon betrafen 6.121 die Bundesbehörden, was wiederum eine Steigerung von 13% bedeutet. Wie in den vergangenen Jahren nimmt 2016 der Bereich Inneres (2.130) den ersten Platz im Ranking der Beschwerdeaufkommen ein. Rund ein Drittel aller Verfahren betreffen diesen Bereich. Angestiegen sind vor allem asylrechtliche Beschwerden gegenüber dem BFA und dem BVwG. Dahinter reihen sich im Beschwerdeaufkommen wie in den Jahren davor die Bereiche Soziales (1.453) und Justiz (927). Amtswegige Prüfverfahren wurden 124 von der Volksanwaltschaft eingeleitet.

In der präventiven Menschenrechtskontrolle waren die sechs Kommissionen der Volksanwaltschaft letztes Jahr insgesamt 522 Mal im Einsatz.

Pflegeheime leiden an Personalnot
Alarm schlägt die Volksanwaltschaft im Pflegebereich. Für die Pflege und Betreuung von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, Demenz oder Behinderung gibt es laut Bericht zu wenig Personal. Die Folgen sind eklatante Defizite in der Versorgungsqualität, wie die Ombudsstelle darlegt. In konkreten Fällen kam es u.a. zu Ruhigstellungen durch gemörserte Psychopharmaka in Nahrungsmitteln wie Nutella oder zu teils unrichtigen Medikamentenausgaben. Häufig sei es zudem dazu gekommen, dass älteren Menschen in der Nacht Inkontinenzprodukte angelegt wurden, ohne dass sie diese gebraucht hätten. Essens- und Schlafenszeiten erfolgten laut Volksanwaltschaft oftmals zur "Unzeit", dem Personal fehle außerdem vielfach die Zeit, um mit BewohnerInnen ins Freie zu gehen. Die Ombudsstelle verlangt neben mehr Personal auch die Vereinheitlichung von pflegerischen Leistungen, von bundesweiten Mindeststandards könne nämlich keine Rede sein.

Psychiatrien: Regionen noch immer unterversorgt
Bedenken hegt die Volksanwaltschaft außerdem darüber, dass periphere Regionen in Österreich psychiatrisch noch immer unterversorgt sind, insbesondere in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Laut Bettenrichtwert stehen einem Bedarf von 670 bis 1.089 Behandlungsbetten bundesweit rund 370 Plätze gegenüber. Absolutes Schlusslicht ist dabei die Steiermark, die Volksanwaltschaft spricht hier von einer "eklatanten Unterversorgung". Höchst problematisch ist für die Ombudsstelle u.a., dass dadurch Jugendliche immer wieder auf Erwachsenenpsychiatrien untergebracht werden. Neben Bettenkapazitäten fehlt es dem Nationalen Präventionsmechanismus zufolge zudem an FachärztInnen.

Kritik äußert die Volksanwaltschaft ferner in Zusammenhang mit freiheitsbeschränkenden Maßnahmen. Beispielsweise kam es zu Fixierungen in Gangbetten, Ein-Punkt-Fixierungen wiederum, etwa in Form eines Bauchgurts, wie sie in Psychiatrien immer wieder zur Anwendung kommen, sind aus Sicht des Nationalen Präventionsmechanismus lebensgefährlich. Er spricht sich dafür aus, Krankenanstalten gesetzlich zu verpflichten, ein anonymisiertes, zentrales Register zur Erfassung freiheitsbeschränkender Maßnahmen (Einzelraumbeschränkungen, Medikamente, Fixierungen) einzuführen. Grundsätzlich seien Gangbetten aus menschenrechtlicher Sicht zudem abzulehnen.

Die Volksanwaltschaft verweist in ihrem Bericht außerdem auf Probleme in der allgemeinen medizinischen Versorgung in ländlichen Gegenden. Probleme gibt es etwa bei der Besetzung von Kassenplanstellen. Um dem entgegenzusteuern, sollten Anreize für ÄrztInnen geschaffen werden, damit diese einen Kassenvertrag auch in abgelegeneren Regionen annehmen.

Unzumutbare Wartezeiten bei MRT- und CT-Untersuchungen
Eine unbefriedigende Versorgungssituation bemängelt die Volksanwaltschaft zudem bei MRT- und CT-Untersuchungen, für die die PatientInnen unzumutbare Wartezeiten auf sich nehmen müssten. Erste Maßnahmen von Seiten der Krankenversicherungsträger wurden zwar in einem Bundesland bereits gesetzt – demnach soll Personen, bei denen nach Voruntersuchungen Krebs diagnostiziert wurde und die zur weiteren notwendigen Therapieplanung eine Computertomografie benötigen, aber keinen zeitnahen Termin bekommen, in Niederösterreich durch ein spezielles Kontingent geholfen werden. Sollten entsprechende Vorhaben aber nicht bundesweit erarbeitet werden und keine Wartezeitverkürzungen mit sich bringen, urgiert die Volksanwaltschaft, die bestehende Reglementierung der Honorarsumme für MRT- und CT-Untersuchungen kritisch zu hinterfragen.

Personalengpässe auch in Kinder- und Jugendheimen
Personalengpässe beklagt die Volksanwaltschaft ebenso in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Das Angebot an speziellen Betreuungsplätzen für Jugendliche mit psychiatrischen Diagnosen und posttraumatischen Belastungsstörungen sei weiterhin zu gering. Vermisst wird auch eine Gleichstellung in der Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen mit anderen in Österreich untergebrachten Kindern und Jugendlichen. Vor allem für schwer traumatisierte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gebe es noch sehr wenige spezielle Einrichtungen, österreichweit sind es dem Bericht zufolge 16 Plätze. Massenquartiere erachtet die Volksanwaltschaft jedenfalls als ungeeignet, unbegleitete minderjährige Jugendliche sollten aus ihrer Sicht ausschließlich in Wohnheimen untergebracht werden. Bemängelt wird außerdem, dass es nicht genügend Sprachkurse für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gibt.

Versorgungsdefizite in Österreichs Gefängnissen
In den heimischen Gefängnissen stellte der Nationale Präventionsmechanismus nach wie vor Versorgungsdefizite fest, insbesondere aber bei der Gesundheit. Auch in den Justizanstalten fehlt es nämlich an psychiatrischen FachärztInnen und AllgemeinmedizinerInnen. Durch Personalengpässe in den Justizwachen kommt es laut Bericht außerdem immer wieder dazu, dass Häftlinge bis zu 23 Stunden am Tag in ihren Hafträumen eingesperrt werden.

In Polizeiinspektionen sieht die Situation nicht besser aus. Auch hier fehlen AmtsärztInnen. Besonders problematisch erachten die Menschenrechtskommissionen dabei die langen Wartezeiten auf Untersuchungen von angehaltenen Personen, die letztendlich über eine Haftfähigkeit oder die Verbringung in eine psychiatrische Abteilung entscheiden. Vorarlberg ist hier hingegen Vorbild. Mit einer Kombination aus einem Rufbereitschaftsmodell und einer Poolärzte-Lösung kann das Bundesland eine flächendeckende Versorgung sicherstellen. Aus Sicht des Nationalen Präventionsmechanismus sollte dieses Modell in ganz Österreich übernommen werden.

Die Volksanwaltschaft kritisiert außerdem, dass es in Erstaufnahmezentren und Polizeiinspektionen zu erniedrigenden Anhaltungen gekommen ist. Konkret sind etwa im Sommer 2015 zehn Jugendliche in einer Erstaufnahmestelle über mehrere Stunden lang auf 10 m2 zusammengepfercht worden. Große Bedenken äußert die Volksanwaltschaft im Bericht außerdem gegenüber Kellerhafträumen.

In Alarmbereitschaft versetzte die Ombudsstelle zudem ein Fall in einer Wiener Justizanstalt, bei dem an Inhaftierten ärztliche Experimente durchgeführt wurden. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wurde Häftlingen Augentropfen auf die Pupille geträufelt, um dann Reaktionen auf bestimmte Verhaltensmuster feststellen zu können. Obwohl die Augentropfen rezeptpflichtig sind, fand davor keine fachärztliche Untersuchung der Probanden statt. Grundsätzlich sind ärztliche Experimente in Gefängnissen verboten.

   

Gleichberechtigte Teilhabe an Gesellschaft: Defizite für Menschen mit Behinderung
Geht es um Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, bemängelt der Nationale Präventionsmechanismus eine veraltete Behindertenpädagogik, einen hohen Einsatz von Neuroleptika zur Reduzierung "störender" Verhaltensweisen und Eingriffe in die Intimsphäre. In einem konkreten Fall etwa wurde ein Bewohner zum Duschen geschickt, während im Bad eine Bewohnerin nackt auf der Toilette saß. Die Volksanwaltschaft spricht hier von einer "massiven menschenrechtswidrigen Grenzverletzung".

Ein gestecktes Ziel bleibt, alle medizinischen Einrichtungen und Arztpraxen so weit wie möglich für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Dazu regt die Volksanwaltschaft an, Barrierefreiheit als Ausschreibungskriterium für Vertragsordinationen zu normieren.

Sensibilisieren will die Ombudsstelle außerdem, wenn es um die mediale Darstellung von Menschen mit Behinderung geht. Diese sei nicht zeitgemäß und voll von Klischees. Eine bereits gestartete Kampagne zielt darauf ab, die Art der Darstellung nachhaltig zu verändern. Dafür nötig sei die konsequente Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen in die Medienwelt und ein breiter medienpolitischer Konsens zur Umsetzung inklusiver Maßnahmen.

Großer Anstieg asylrechtlicher Beschwerden
Alltägliche Probleme, die die BürgerInnen mit den Behörden haben, sind laut Volksanwaltschaft u.a. unzumutbar lange Verfahrensdauer oder Sozialleistungen wie die Mindestsicherung, das Pflegegeld oder die Pension, die nicht oder zu spät ausbezahlt werden. Die meisten Beschwerden betreffen allerdings wie in den drei Jahren zuvor auch asylrechtliche Verfahren. Genau genommen sind es 1.445 Beschwerden über zu lange Asylverfahren beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), voriges Jahr waren es noch 745. Darunter sind auch Fälle unbegleiteter Minderjähriger, also Kinder unter 14 Jahren, etwa 80% der BeschwerdeführerInnen sind Männer.

Die Volksanwaltschaft hat zwar Verständnis, dass durch den starken Migrationsanstieg ein Rückstau bei den Verfahren zu erwarten gewesen sei, merkt in ihrem Bericht aber ebenfalls an, dass das Personal im BFA um mehrere hundert Personen aufgestockt wurde und die bisherige sechsmonatige Entscheidungsfrist ab Juni 2016 auf 15 Monate verlängert wurde. Im Bereich Asyl moniert die sie zudem, dass von Seiten des BFA Verfahren zur Familienzusammenführung verschleppt sowie bei Aufenthaltstitelverfahren verzögert wurden.

Unter die Lupe hat die Volksanwaltschaft außerdem die Unterbringung und Betreuung von AsylwerberInnen genommen. Demnach erhielten zwischen September 2015 und März 2016 insgesamt 12.405 Menschen nach der Asylantragstellung keine Unterkunft in Betreuungseinrichtungen des Bundes. Den AsylwerberInnen standen laut Bericht kurzfristig oft nur Transitquartiere zur Verfügung, Private und das Rote Kreuz seien für den Staat eingesprungen. Durch die Aufstockung der Grundversorgungsplätze konnten der Volksanwaltschaft zufolge ab März 2016 allen AsylwerberInnen ein Quartier zugewiesen werden.

Frauenhäuser: Gleicher Schutz für Asylwerberinnen und deren Kinder
Nach Medienberichten im Frühjahr 2016, wonach Asylwerberinnen und deren Kinder nach Gewalterfahrungen in mehreren Bundesländern nicht in Frauenhäuser aufgenommen wurden, leitete die Volksanwaltschaft von Amts wegen ein österreichweites Prüfverfahren ein. Laut Stellungnahmen aus den einzelnen Bundesländern kommt es auch in Grundversorgungseinrichtungen zu Gewalt gegenüber Asylwerberinnen.

Die Ergebnisse der Volksanwaltschaft ergeben, dass je nach Schweregrad des Vorfalls Täter an einem anderen Ort untergebracht und über den Verlust der Grundversorgung ermahnt werden. Vereinzelt finden auch Polizeieinsätze mit Wegweisung und Betretungsverbot statt. Betroffene Frauen und deren Kinder werden in besonders geschützten Unterkünften bzw. in Frauenhäusern untergebracht, wenn sie das wünschen. Ermöglicht werden laut Volksanwaltschaft auch Therapie- und Betreuungsmaßnahmen. Die Aufnahme von Asylwerberinnen und deren Kindern in Frauenhäusern bei akuten Gefahrensituationen bzw. in einer Krisensituation nach familiärer Gewalt sei in mehreren Bundesländern ungeachtet des aufenthaltsrechtlichen Status möglich. In einigen Bundesländern dürften Asylwerberinnen aber nur kurzfristig in einem Frauenhaus untergebracht werden.

Aus Gründen des Menschenrechtsschutzes ist für die Volksanwaltschaft evident, dass für Asylwerberinnen und deren Kinder der gleiche Schutz vor familiärer Gewalt sichergestellt sein muss wie für alle anderen in Österreich lebenden Frauen auch.

Langes Warten auf Familienleistungen bei Auslandsbezug
Die Volksanwaltschaft bemängelt außerdem, dass in Österreich lebende Eltern oder AlleinerzieherInnen bei Auslandsbezug viele Monate oder sogar mehrere Jahre keine Familienleistungen, sprich Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld, erhalten. Ist im Vorhinein nicht klar, welches Land zuständig ist, garantiert das EU-Recht eine vorläufige Zahlung innerhalb von zwei Monaten grundsätzlich von jenem EU-Staat, in dem die Eltern arbeiten. In Österreich gibt es laut Ombudsstelle massive Probleme bei der Umsetzung dieser gesetzlichen Bestimmung, was immer wieder zu existenzbedrohenden Situationen führe.

Lange Verfahrensdauer moniert die Volksanwaltschaft zudem beim Bundesverwaltungsgericht. Die gesetzliche Bearbeitungs- bzw. Entscheidungsfrist über eingereichte Bürger-Beschwerden liegt bei 6 Monaten, die tatsächliche Verfahrensdauer beträgt mitunter mehr als zwei Jahre.

Abschaffung der dauernden Anbindehaltung von Rindern
Die Volksanwaltschaft bedauert zudem, dass die dauernde Anbindehaltung von Rindern mit dem erst heuer verabschiedeten neuen Tierschutzgesetz nicht verboten wurde. Sie sieht in der Novelle keine nachhaltigen Verbesserungen des Tierschutzes im Bereich der Rinderhaltung. Wenn es den Tierhaltern aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar erscheint, muss Rindern nämlich keine ausreichende Bewegungsmöglichkeit gegeben werden.

Volksanwaltschaft drängt weiterhin auf Ausweitung ihrer Prüfkompetenz
Einmal mehr fordert die Volksanwaltschaft vom Parlament in ihrem Bericht schließlich, ihre Prüfkompetenzen auf ausgegliederte Rechtsträger auszuweiten. Auch 2016 habe es zahlreiche Beschwerden gegeben, aufgrund ihrer fehlenden Prüferlaubnis konnte die Ombudsstelle aber nicht immer helfen. Aus ihrer Sicht ist es nicht nachvollziehbar, warum die Prüfzuständigkeit der Volksanwaltschaft nicht an jene des Rechnungshofs angeglichen wird.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at

 

 

 

 

 

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