Wien (imba) - Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des Wiener IMBA konnte erstmals die erstaunlich
dynamische Organisation der Proteinmaschinerie ESCRT-III visualisieren, die an eine molekulare Sprungfeder erinnert
und Membranen effizient abschnürt, wie das Fachmagazin Nature Cell Biology aktuell berichtet.
Die Gewebe unseres Körpers werden kontinuierlich umgebaut und erneuert. Jeden Tag sterben Milliarden von Zellen
ab und müssen durch neue, sich teilende Zellen, ersetzt werden. Für eine reibungslose Zellteilung ist
eine Vielzahl von Prozessen notwendig, die genau aufeinander abgestimmt werden müssen.
Finale Abnabelung zweier Zellen dank „Protein-Sprungfeder“
So wie Skelett und Muskeln das Gerüst unseres Körpers ausmachen, bilden faserartige Proteine, die
durch Verkettung einzelner Moleküle entstehen – sogenannte Filamente – das Gerüst unserer Zellen. Sie
gestalten die Form der Zelloberfläche und ermöglichen wichtige Funktionen wie Zellbewegung, intrazellulären
Transport und sind essentiell für die Zellteilung. Dieser Prozess erstreckt sich über mehrere Phasen,
bis im letzten Schritt ein dünner Membranschlauch, der die entstehenden Tochterzellen verbindet, durchtrennt
wird. Verantwortlich für diese finale Abnabelung zweier Zellen ist ein Protein-Gefüge namens ESCRT-III.
ESCRT-III besteht aus vielen kleinen Untereinheiten, die sich zu spiralförmigen Strukturen zusammensetzen.
Die Spiralstrukturen verengen sich, bis die Zellmembran endgültig abgeschnürt wird. Mit dieser Funktion
in der Membranabschnürung ist ESCRT-III auch für viele weitere Prozesse in der Zelle zuständig.
So hilft es der Zelle, Löcher in Membranen abzudichten und verschiedene Moleküle innerhalb der Zelle
zu transportieren. Auch einige Viren verwenden ESCRT-III, um sich von der Wirtszelle abzuschnüren.
ESCRT-III- Ein dynamisches Protein, das sich ständig selbst erneuert
Ein internationales ForscherInnenteam rund um Daniel Gerlich am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) und Aurélien Roux der Universität Genf,
gewann mit ihrer aktuellen Forschung, die im Fachmagazin Nature Cell Biology veröffentlicht wurde, erstmals
Einblicke, wie sich die spiralförmigen Strukturen organisieren, um all diese wichtigen Zellprozesse zu ermöglichen.
Bisher wurde angenommen, dass die einzelnen Proteinbausteine in den Spiralstrukturen stabil eingebaut sind und
die Membran durch eine Änderung der Spiralform eingeschnürt wird. „Tatsächlich ist ESCRT-III ein
sehr dynamisches Protein. Wir konnten herausfinden, dass die einzelnen Untereinheiten 50 bis 100-mal schneller
ausgetauscht werden, als die Struktur wächst und sich räumlich umorganisiert. ESCRT-III erneuert sich
also praktisch ständig. Ein Enzym namens VPS4 hilft bei dieser ständigen Umschichtung von Baublöcken“,
erklärt Beata Mierzwa, die sich Rahmen ihrer Doktorarbeit und ihrer anschließenden Forschung am IMBA
intensiv mit den Eigenheiten von ESCRT-III beschäftigt hat. Ursprünglich dachten die Forscher, dass VPS4
die einzelnen Baublöcke ausschließlich entfernt, doch zu ihrer Überraschung scheint es den ständigen
Austausch der einzelnen Bestandteile und somit das Wachstum von ESCRT-III zu stimulieren.
Um diesen Membran-Abschnürungsprozess im Labor nachzustellen, isolierten die ForscherInnen die ESCRT-Proteine
und brachten sie auf eine künstliche Membran. Dank innovativer Methoden wie High-Speed Atomic Force Mikroskopie
konnten sie die Dynamik von ESCRT live beobachten und erstmals wachsende und schrumpfende Spiral-Strukturen visualisieren.
"Unsere Erkenntnisse bieten ein völlig neues Modell als bisher angenommen. Die von uns entdeckte dynamische
Umorganisation von ESCRT-III bringt neues Licht in die vielen Funktionen dieses zentralen Membranregulators, denn
bisher ging man von dauerhaften Spiralstrukturen aus“, sagt Daniel Gerlich, IMBA Gruppenleiter und Letztautor der
Studie. „Unsere Erkenntnisse erklären etwa, wie sich ESCRT-III an die vielfältigen Membranstrukturen
in unterschiedlichen biologischen Prozessen anpassen kann und wie Membranen über große Entfernungen
verformt und abgeschnürt werden können. Wir freuen uns, dass wir neue Einblicke in die faszinierende
Organisation der Zellen gewinnen konnten und die Vielzahl von biologischen Prozessen, an denen ESCRT-III beteiligt
ist, nun besser verstehen.“
Die junge Forscherin Beata Mierzwa, die Erstautorin der Studie, hat sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit am IMBA intensiv
mit den molekularen Maschinen der Zellteilung beschäftigt. Eine zweite Leidenschaft von Beata ist die Kunst,
die sie als Mittel sieht, komplexe Forschung einfach und kreativ zu vermitteln. Zunächst begann sie, ihre
eigenen Artikel und die Arbeiten ihrer Labor-Kollegen zu illustrieren – ihre wissenschaftlichen Kunstwerke entstanden
und fanden über ihre Arbeitsgruppe hinaus Anklang und zieren nun die Cover von wissenschaftlichen Zeitschriften
und Konferenzen. Bei einer Fachtagung präsentierte sie ihre Erkenntnisse rund um ESCRT-III in einem selbst
designten Kleid, das den komplexen molekularen Mechanismus modisch illustrierte. Beata Mierzwa zeigt sehr schön,
wie Kunst und Wissenschaft Hand in Hand gehen können und wie man Wissenschaft kreativ und unkonventionell
vermitteln kann.
Auch am IMBA selbst wird die Verbindung von Kunst und Wissenschaft hochgehalten. Mehrere Kunstwerke, die durch
eine Kooperation mit der Universität für Angewandte Kunst entstanden, sind am IMBA zu sehen. Erst kürzlich
wurde die Serie „Art and Science: Bridging two Cultures“ vom IMBA und der viennacontemporary initiiert, mit dem
Ziel, die beiden Welten Kunst und Wissenschaft einander näher zu bringen und die vielen Gemeinsamkeiten hervorzuheben,
die diese auf den ersten Blick so unterschiedlichen Disziplinen haben. Nobelpreisträger Eric Kandel erläuterte
bei der Auftaktveranstaltung der Serie, wie Wissenschaft eine Erklärung dafür geben kann, in welcher
Art und Weise wir Kunstwerke wahrnehmen und ihnen Bedeutung zumessen.
Über IMBA
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie gehört zu den führenden biomedizinischen Forschungsinstituten
in Europa. Im Fokus stehen medizinisch relevante Fragestellungen aus den Bereichen Stammzellbiologie, RNA-Biologie,
Molekulare Krankheitsmodelle und Genetik. Das Institut befindet sich am Vienna Biocenter, einem dynamischen Konglomerat
aus Universitäten, akademischer Forschung und Biotechnologie-Unternehmen. Das IMBA ist ein Tochterunternehmen
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der führenden Trägerin außeruniversitärer
Forschung in Österreich.
Originalpublikation:
"Dynamic instability in ESCRT-III assemblies" Beata E. Mierzwa, Nicolas Chiaruttini, Lorena Redondo-Morata,
Joachim Moser von Filseck, Julia König, Jorge Larios, Ina Poser, Thomas Müller-Reichert, Simon Scheuring,
Aurélien Roux, Daniel W. Gerlich
Nature Cell Biology, DOI: 10.1038/ncb3559
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