Innsbruck (universität) - Auf atomarer Ebene beobachten Innsbrucker Physiker und Chemiker um Roland Wester
im Labor komplexe chemische Reaktionen. In einer Arbeit in der Fachzeitschrift Nature Communications liefern die
Forscher nun eine Antwort auf eine alte Frage zum Wettstreit zweier wichtiger Reaktionsmechanismen der organischen
Chemie.
Viele chemische Reaktionen sind eine Abfolge von sehr komplexen Prozessen, die bis heute nicht vollständig
verstanden werden. Mit Laborexperimenten versucht Roland Wester vom Institut für Ionenphysik und Angewandte
Physik der Universität Innsbruck einen neuen Blick auf solche Reaktionen zu werfen und deren Dynamiken besser
zu erfassen. Wester baute dazu ein einzigartiges Experiment, mit dem Ionen und Moleküle zur Reaktion gebracht
und dabei beobachtet werden können. Seinem Team ist es so erstmals gelungen, die atomare Dynamik der sogenannten
nukleophilen Substitutionsreaktion exakt zu beschreiben.
In einer aktuellen Studie untersuchte ein Team der Arbeitsgruppe um den Nachwuchs- forscher Eduardo Carrascosa
nun organische Verbindungen, an deren zentralem Kohlenstoffatom mehrere Methylgruppen gebunden sind. In einer Vakuumkammer
brachten die Forscher diese Moleküle mit geladenen Teilchen aus der chemischen Gruppe der Halogene, wie Fluor,
Iod oder Chlor, zur Kollision. „Das Spannende an diesem Experiment ist, dass nicht vorhersehbar ist, welche von
zwei chemischen Reaktionen dabei stattfinden wird“, sagt Roland Wester. Entweder das Ion bindet an das Molekül
und dieses stößt das bisher gebundene Halogenatom ab (nukleophile Substitutionsreaktion) oder das Ion
schlägt ein Wasserstoffatom aus der Methylgruppe und fliegt damit davon (Eliminierungsreaktion). „Die beiden
Reaktionen sind im Wettstreit“, erklärt der Physiker. Bei der Synthese von chemischen Verbindungen kommt diese
Eigenschaft ungelegen, will man doch das Ergebnis einer Reaktion meistens sehr genau kontrollieren.
Erstmals Daten aus direkter Beobachtung
Mit der Apparatur von Roland Wester kann sehr genau beobachtet werden, welche Reaktion bei einer Kollision
abgelaufen ist. Die Physiker erfassen dazu den Winkel und die Geschwindigkeit, mit der die Ionen auf einem Detektor
auftreffen. „Wir können schon in den Rohdaten sehen, wie die beiden Reaktionstypen über eine Vielzahl
von Messungen verteilt sind“, erzählt Eduardo Carrascosa. Dabei zeigt sich, dass bei größeren Molekülen
die Eliminierungsreaktion die Überhand gewinnt und die Substitutionsreaktion irgendwann verschwindet. Während
bisher nur indirekte Antworten auf diese Fragestellung möglich waren, präsentieren die Innsbrucker Physiker
in der aktuellen Arbeit in der Fachzeitschrift Nature Communications erstmals Daten aus direkten Beobachtungen.
„Möglich war dieses Experiment, weil wir unsere Methode laufend verfeinert haben und so über viele Wochen
stabile Messungen durchführen können“, sagt die beteiligte Forscherin Jennifer Meyer.
Die Forscher um ERC-Preisträger Roland Wester können mit ihrer Methode die chemischen Beziehungsspiele
auf atomarer Ebene sehr genau verfolgen. Sie wollen als Nächstes untersuchen, ob der Wettstreit zwischen den
beiden Reaktionstypen durch die Anregung einzelner Atome am Molekül beeinflusst werden kann. „Wir wollen mögliche
Wege aufzeigen, wie dieser Prozess gezielt gesteuert werden kann“, sagt Roland Wester. „Dies könnte für
die chemische Synthese äußerst hilfreich sein.“
Die aktuelle Studie wurde vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der österreichischen Akademie
der Wissenschaften ÖAW finanziell unterstützt. Theoretische Beiträge steuert ein Team um William
L. Hase von der Texas Tech University in den USA bei.
Publikation: Imaging dynamic fingerprints
of competing E2 and SN2 reactions. Eduardo Carrascosa, Jennifer Meyer, Jiaxu Zhang, Martin Stei, Tim Michaelsen,
William L. Hase, Li Yang, and Roland Wester. Nature Communications 2017
DOI:
s41467-017-00065-x
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