Psychologen finden eigene Rechenregeln für die Entscheidungsfindung
Magdeburg (idw) - Unser Gehirn folgt bestimmten Rechenregeln und Bewertungen, wenn es darum geht, Entscheidungen
zu treffen. Allerdings führen diese teilweise dazu, dass nicht die jeweils objektiv beste Option des Moments
ausgewählt wird, sondern diejenige, die in früheren Situationen im Vergleich zu anderen Optionen gut
abschnitt. Das haben die Wissenschaftler Dr. Gerhard Jocham, Dr. Tilmann Klein und Prof. Dr. Markus Ullsperger
von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
Leipzig in einer Studie herausgefunden, die soeben im renommierten Journal Nature Communications veröffentlicht
wurde.
„Wenn Menschen und Tiere sich zwischen mehreren Möglichkeiten zu entscheiden haben, versuchen sie meist, diejenige
zu wählen, die den höchsten Wert hat: zum Beispiel für einen bestimmten Preis das bestmögliche
Obst im Supermarkt zu bekommen“, so Gerhard Jocham, Forschungsgruppenleiter im Center for Behavioral Brain Sciences
der Universität Magdeburg. Allerdings sei dieser „Wert“ oft nicht direkt bekannt, sondern müsse aus Erfahrungen
gelernt werden. „Überraschenderweise treffen Menschen – nicht nur beim Einkaufen - oft Entscheidungen, die
objektiv gesehen nicht optimal sind.“
Die Wissenschaftler konnten jetzt in einer Studie zeigen, dass solche suboptimalen Entscheidungen tatsächlich
systematisch dann auftreten, wenn die mögliche Auswahl in einem neuen Zusammenhang getroffen werden muss.
„So kann zum Beispiel eine mittelmäßige Obstsorte A einen hohen relativen Wert erlangen, wenn in diesem
Supermarkt ansonsten nur minderwertiges Obst verfügbar ist. Im Gegenzug kann in einem anderen Supermarkt für
eine sehr hochwertige Obstsorte B nur ein mäßiger relativer Wert erlernt werden, wenn hier auch anderes
gutes Obst angeboten wird. Wenn jemand dann in einem anderen Geschäft plötzlich die Auswahl zwischen
Obst A und B hat, kann es also passieren, dass A gewählt wird, obwohl es objektiv gesehen die schlechtere
Wahl ist.“ Die mathematischen Modellierungen zeigten, dass diese suboptimalen Entscheidungen also keinesfalls einer
fehlerhaft ausgeführten Berechnung entspringen. Vielmehr wird die Berechnung korrekt ausgeführt, allerdings
führt die zugrundeliegende Rechenregel zu systematischen Verzerrungen, wenn Entscheidungen in einem neuen
Kontext getroffen werden. Auf Hirnebene zeigte sich außerdem, dass das Aktivitätsmuster im Striatum,
einem für Belohnungslernen sehr wichtigen Hirnareal, genau die Verrechnungsschritte dieser Rechenregel widerspiegelte.
Warum verwendet unser Gehirn überhaupt solche Rechenregeln, wenn diese doch anscheinend manchmal zu unvorteilhaften
Entscheidungen führen? „Es wäre sicher oft sinnvoll, zu erlernen, wie gut die verfügbaren Optionen
absolut gesehen sind. So könnten wir auch in einem neuen Kontext optimal und objektiv entscheiden“, so Dr.
Jocham. Er vermutet, dass unsere Gehirne evolutionär gesehen nicht auf die Art von Entscheidungen in unserer
modernen Welt mit ihren unzähligen Auswahloptionen ausgerichtet seien. „Ein Jäger in der Steinzeit hatte
beispielsweise wohl meist nicht die Auswahl zwischen einer Vielzahl von Beutetieren. Stattdessen musste er, wenn
er nach langem Marsch in der Ferne eine Gazelle erblickte, entscheiden, ob es sich lohnt, ihr nachzujagen oder
ob es in nächster Zeit noch eine bessere Beute geben könnte. Es spielte dabei keine Rolle, wie ‚gut’
die Gazelle absolut gesehen ist. Solange sie mindestens genauso gut ist, wie das, was durchschnittlich zu erwarten
wäre, lohnt sich die Jagd.“
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