Beschluss mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP, aber keine Zwei-Drittel-Mehrheit für
One-Stop-Shop
Wien (pk) - SPÖ und ÖVP gelang es nun doch noch, die Novelle der Gewerbeordnung in der laufenden
Legislaturperiode gemeinsam über die parlamentarische Bühne zu heben. Möglich wurde dies durch in
der Nationalratssitzung vom 29.06. eingebrachte Abänderungsanträge, die eine "Single License"
für alle freien Gewerbe vorsehen und die Zahl der reglementierten Gewerbe nunmehr auf 75 reduzieren. Die für
das One-Stop-Shop im Betriebsanlagenrecht erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit konnte allerdings nicht erzielt werden,
zumal die Opposition bei ihren Bedenken blieb und zusätzliche Liberalisierungsschritte vermisste. NEOS und
Grüne forderten die Freigabe einer Reihe weiterer Gewerbe, die Grünen befürchten zudem auch Einbußen
in den Nachbarschafts- und Umweltrechten im Zuge des Betriebsanlagenrechts. In Kraft treten wird die neue Gewerbeordnung
mit 1.5.2018.
75 reglementierte Gewerbe, "Single License" für alle freien Gewerbe
Liberalisierung und Deregulierung sind die Hauptstoßrichtungen der Novelle. Nach dem Wegfall des Hufschmiedegewerbes
werden nun auch Arbeitsvermittlung und die Erzeugung von kosmetischen Artikeln zu freien Gewerben, einige Textilgewerbe
wiederum werden zusammengelegt. Somit reduziert sich die Zahl der regulierten Gewerbe von zuletzt 80 auf nunmehr
75, die Teilgewerbe entfallen. Mit einer einheitlichen Gewerbeberechtigung, der so genannten Single License, kann
in Zukunft jedes der rund 440 freien Gewerbe ausgeübt werden. Wenn die zusätzliche Tätigkeit in
einem anderen freien Gewerbe allerdings 30% des Jahresumsatzes übersteigt, muss dies beim Gewerbeinformationssystem
GISA angezeigt werden – eine elektronische Mitteilung ist hier möglich -, wobei dann auch eine Grundumlage
für die Wirtschaftskammer fällig wird. Bei reglementierten Gewerben können bis zu 15% der Auftragssumme
in einem anderen reglementierten Gewerbe ohne Erfordernis einer zusätzlichen Gewerbeberechtigung erwirtschaftet
werden. Die Anmeldung eines Gewerbes ist gebührenfrei. Im Betriebsanlagenverfahren kommt es zu einer Entbürokratisierung,
insgesamt gilt hier der Grundsatz "Beraten vor Strafen".
Erleichterungen bringt die Novelle vor allem auch für den Tourismus, da nun Hotels auch Zusatzleistungen wie
Ausflüge, Schivermietung oder Wellnessdienste anbieten können.
Anpassungen bei der Sperrstundenregelung wiederum greifen bereits auf das kommende Rauchverbot und damit zusammenhängende
allfällige Lärmbelastungen durch vor den Lokalen rauchende Gäste vor. Gemeinden können nun
in Abwägung der Interessen der AnrainerInnen und der Lokalbetreiber unter Beiziehung von Sachverständigen
die Sperrstunde vorverlegen. Hier lag dem Plenum auch ein gemeinsamer mit der Regierungsvorlage miterledigter Antrag
von FPÖ, NEOS und Team Stronach vor, der in diesem Bereich auf Lösungen drängt, die Rechtssicherheit
für Gewerbetreibende und AnrainerInnen bietet.
Ausdrücklich klargestellt wird schließlich, dass Automatentankstellen als Betriebsstätten im Sinn
der Gewerbeordnung gelten. Eine entsprechende Präzisierung enthält ein von SPÖ, ÖVP und Grünen
unterstützter Antrag der Regierungsparteien.
Weitere Änderungen der Gewerbeordnung, ergeben sich aus der Umsetzung der 4. Geldwäsche-Richtlinie der
EU, wobei es bei den einzelnen Bestimmungen vor allem darum geht, das Bewusstsein der Gewerbetreibenden und der
Behörden über die Risiken von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu erhöhen. Hier erfolgte
die Zustimmung einhellig.
ÖVP sieht wesentliche Erleichterungen für Unternehmen
"Verachtet mir die Meister nicht", zitierte Peter Haubner aus Wagners Meistersingern und legte im Einklang
mit Angelika Winzig ein Bekenntnis zu Qualität und Qualifikation als Basis des Erfolgsmodells der dualen Ausbildung
ab. Die Reform bringe notwendige Modernisierungen, ist der ÖVP-Wirtschaftssprecher überzeugt. So ermögliche
die digitale Gewerbelizenz ein Hineinarbeiten in andere freie Gewerbe bis zu 30% des Jahresumsatzes. Die Novelle
bringe aber auch wesentliche Erleichterungen für Tourismusbetriebe und werde daneben durch den Wegfall aller
Bundesgebühren zu einer Ersparnis für die Unternehmen von 10 Mio. € führen.
Ein mittelständisches Hotel brauchte bisher sechs Gewerbescheine, um alle Bedürfnisse der Gäste
abzudecken, nach dem heutigen Beschluss reiche dafür ein einziger Schein, unterstrich Haubners Fraktionskollege
Gabriel Obernosterer. Wenn das keine Erleichterung sei, dann kenne er sich nicht mehr aus, merkte der ÖVP-Tourismussprecher
an. Hermann Schultes wiederum hob die Lösung bei der Pferdeeinstellung als besonders positiv hervor. Landwirtschaftliche
Betriebe, die nicht mehr als 25 Pferde halten und nicht mehr als zwei Pferde pro Hektar, können damit weiterhin
diese Pferdeeinstellung als landwirtschaftliche Tätigkeit beibehalten. Die Regierung habe bewiesen, dass sie
reformwillig und reformfähig ist, resümierte Kathrin Nachbaur aus Sicht ihrer Fraktion.
SPÖ begrüßt Novelle als Kompromiss, hätte sich aber mehr gewünscht
Christoph Matznetter (S) freute sich, dass es nun ein liberales Gewerberecht mit einer Single-License gibt, räumte
aber ein, die SPÖ hätte weitergehende Forderungen gehabt. Kritische Worte richtete der SPÖ-Wirtschaftssprecher
vor allem an die FPÖ. Wenn nun die Unternehmen kein One-Stop-Shop bei den Betriebsanlagen haben werden, dann
trage die Opposition dafür die Verantwortung. Durch die Streichung dubioser Gewerbe in der Bauwirtschaft,
wie etwa das Aufräumen einer Baustelle oder das Verspachteln von Gipsplatten, sei es gelungen, gegen Scheinselbstständigkeit
und Lohn- und Sozialdumping vorzugehen, stellte Josef Muchitsch (S) fest. Sowohl der SPÖ-Sozialsprecher als
auch Matznetter qualifizierten die Novelle letztlich als guten Kompromiss.
Mahrer: Digitale Gewerbelizenz ist Lösung auf der Höhe der Zeit
Wirtschaftsminister Harald Mahrer sieht in der Novelle einen Schritt in die richtige Richtung, ist sich aber klar
darüber, dass die Unternehmen des 21. Jahrhunderts noch mehr brauchen werden. Die neue digitale Gewerbelizenz,
die Tätigkeiten in allen 440 freien Gewerben bis zu 30% des Jahresumsatzes ermöglicht, sei jedenfalls
eine Lösung auf der Höhe der Zeit und bringe gewaltige Erleichterungen für die Betriebe.
FPÖ spricht von verpasster Chance für mehr Liberalisierung
Die Möglichkeit zu wesentlich größeren Befreiungen und Entlastungen der Wirtschaft sei trotz einiger
positiver Punkte verpasst worden, urteilte hingegen FPÖ-Wirtschaftssprecher Axel Kassegger. Zu einer deutlichen
Senkung der Zahl der reglementierten Gewerbe sei es nicht gekommen, faktisch werden nur zwei weitere Gewerbe aus
der Liste gestrichen. Die 30%-Regelung bedeutet für Kassegger noch nicht den einheitlichen Gewerbeschein für
alle freien Gewerbe. Anstelle eines großen Wurfes gebe es heute nur einen Minimalkonsens, stellte Bernhard
Themessl fest, der vor allem auf die Herausnahme des Betriebsanlagenrechtes aus dem Gewerberecht drängte.
Grüne befürchten Einschränkungen bei Anrainer- und Umweltrechten
Die Single-License sei ein Schritt in die richtige Richtung, gehe aber zu wenig weit, befand Matthias Köchl.
Auch bei der Liberalisierung der Gewerbe hätte sich der Selbstständigensprecher der Grünen mehr
gewünscht. Gemeinsam mit den NEOS forderte er in einem Abänderungsantrag, der bei der Abstimmung allerdings
in der Minderheit blieb, die Freigabe weiterer 15 Gewerbe, so etwa Fremdenführer, Fußpflege, Schuhmacher
und Uhrmacher. Grünen-Umweltsprecherin Christiane Brunner wiederum befürchtete Einschränkungen der
Parteistellung für AnrainerInnen sowie eine Schwächung der Amtssachverständigen durch die Vereinfachungen
im Anlagenrecht. Das One-Stop-Shop dürfe ihrer Meinung nach nicht zulasten der Umwelt gehen. Brunner bedauerte
in diesem Zusammenhang, dass die Verhandlungen ihrer Fraktion mit den Regierungsparteien zu diesem Punkt gescheitert
waren.
NEOS: Gewerbeordnung gehört neu geschrieben
Matthias Strolz führte die Single-License und die vorgenommenen Liberalisierungen auf den Druck seiner Fraktion
zurück, qualifizierte die Novelle aber insgesamt als unzureichend. Man hätte zumindest auf 60 reglementierte
Gewerbe reduzieren können, meinte er unter Hinweis auf den gemeinsam mit den Grünen eingebrachten Abänderungsantrag.
Doch eigentlich gehöre die Gewerbeordnung nicht novelliert, sondern völlig neu geschrieben, lautete sein
Urteil. Bekräftigt wurde Strolz darin von seiner Fraktionskollegin Karin Doppelbauer, die vor allem kritisierte,
dass es die Novelle innovativen Unternehmen schwer mache, sich zukunftsfit aufzustellen und Arbeitsplätze
zu schaffen. Sie forderte unter anderem den Wegfall von Zugangshürden sowie die völlige Freigabe von
gewerbeübergreifenden Tätigkeiten.
Team Stronach fordert Eindämmung der Regulierungsflut
Unzufriedenheit signalisierte auch Leopold Steinbichler, der kritisch von nach wie vor bestehender Überbürokratisierung
sprach. Er klagte konkret über Belastungen kleinerer Betriebe durch die Registrierkassenpflicht und verlangte
eine Erhöhung des für die Registrierkassenpflicht relevanten Mindestjahresumsatzes auf 50.000 €. Ein
entsprechender Entschließungsantrag des Team Stronach-Mandatars blieb allerdings in der Minderheit. Nicht
durchsetzen konnte sich Steinbichler auch mit seiner Initiative auf Eindämmung der Regulierungsflut. Gemäß
dem Grundsatz "One in - Two out" sollten demnach für jede neue Regelung zwei alte aufgehoben werden.
Kein Gehör fand Steinbichler auch mit seinem Ruf nach einem Qualitätsgütesiegelgesetz.
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