Länder sollen im Gegenzug 100 Mio. € pro Jahr erhalten
Wien (pk) – Der Nationalrat hat am 29.06. mit breiter Mehrheit für eine Abschaffung des Pflegeregresses
gestimmt. Ab Anfang kommenden Jahres ist es den Ländern untersagt, auf das Vermögen von Personen, die
in stationären Pflegeeinrichtungen betreut werden, zurückzugreifen. Gleiches gilt für das Vermögen
von Angehörigen und ErbInnen. Im Gegenzug erhalten die Länder jährlich 100 Mio. € zusätzlich
über den Pflegefonds. Nicht nur die Abgeordneten, auch Sozialminister Alois Stöger und Gesundheitsministerin
Pamela Rendi-Wagner zeigten sich über den Beschluss erfreut. Kritik kommt hingegen von den NEOS, Abgeordneter
Gerald Loacker vermisst ein schlüssiges Gesamtkonzept für eine Pflegereform.
Auf die Abschaffung des Pflegeregresses haben sich die Abgeordneten erst wenige Stunden vor der Debatte im Nationalrat
geeinigt. Auch weitere Punkte wie die künftige Ausstattung der E-Cards mit einem Foto und die kostenlose Hepatitis-Impfung
für Mitglieder von freiwilligen Feuerwehren mit besonderem Infektionsrisiko wurden mittels Abänderungsantrag
im parlamentarischen Schnellverfahren beschlossen. Einsparungen erwarten sich die Abgeordneten von einem geplanten
neuen Medikamentenmanagement in Pflegeheimen: Gesundheitsministerin Rendi-Wagner will dazu bis Jahresende eine
Regierungsvorlage ausarbeiten.
Eigentlich auf der Tagesordnung stand das Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz : Es soll mehr Rechtssicherheit
in der Frage der Abgrenzung zwischen selbständiger und unselbständiger Erwerbstätigkeit bringen.
Mehrheitlich abgelehnt wurden von den Abgeordneten verschiedene Initiativen der Opposition: Diese hatten die gänzliche
Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze, die Implementierung eines neuen Lehrberufs "Berater für
Menschen mit Behinderungen" sowie eine Deckelung von Pensionen zum Inhalt.
40.000 Menschen von Abschaffung des Pflegeregresses betroffen
Umgesetzt wird die Abschaffung des Pflegeregresses mit zwei Verfassungsbestimmungen im ASVG. Demnach ist es den
Ländern ab 1. Jänner 2018 untersagt, Ersatzansprüche gegenüber BewohnerInnen von Pflegeheimen
bzw. deren Angehörigen geltend zu machen. Laufende Verfahren sind einzustellen. Anderslautende landesgesetzliche
Bestimmungen werden automatisch außer Kraft gesetzt. Auch für notwendige Übergangsbestimmungen
sollen nicht die Länder, sondern der Bund zuständig sein.
Den gemeinsamen Abänderungsantrag von SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grünen und Team Stronach zum Pflegeregress
brachte Ulrike Königsberger-Ludwig (S) ein. Sie freue sich für die betroffenen Menschen, sagte sie. Es
sei nicht einzusehen, dass – zusätzlich zur Pension und zum Pflegegeld – auch auf Privatvermögen von
pflegebedürftigen Personen zurückgegriffen wird, wenn diese in Pflegeheimen betreut werden. Laut Königsberger-Ludwig
werden rund 40.000 Menschen von der Abschaffung des Eigenregresses profitieren.
Frage der Gegenfinanzierung offen
Auch SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch und sein Fraktionskollege Kai Jan Krainer äußerten sich
darüber erfreut, dass der Pflegeregress ab 2018 Geschichte ist. Der Eigenregress sei nichts anderes als eine
100%-ige Erbschaftssteuer für Personen, die Pflege brauchen, stimmt Krainer mit Sozialminister Alois Stöger
überein. Schade finden es die beiden Abgeordneten, dass das von der SPÖ vorgeschlagene Gegenfinanzierungsmodell,
die Einführung einer "moderaten" Erbschaftssteuer für Erbschaften über eine Million Euro,
keine Mehrheit gefunden hat. Er warte auf Gegenvorschläge, ist Krainer aber gesprächsbereit. Dass die
NEOS die Abschaffung des Pflegeregresses nicht mittragen, wertete Muchitsch als Zeichen sozialer Kälte.
August Wöginger begründete die Zustimmung der ÖVP zur Abschaffung des Pflegeregresses damit, dass
dieser eigentumsfeindlich ist. Er setzt, was die Gegenfinanzierung betrifft, nicht zuletzt auf die Ausstattung
der E-Cards mit einem Foto, die seiner Meinung nach Einsparungen zur Folge haben wird. Außerdem erwartet
er sich eine Kostenreduktion durch ein besseres Medikamentenmanagement in Pflegeheimen.
FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein führte die Abschaffung des Pflegeregresses nicht zuletzt
auf die Beharrlichkeit der FPÖ über viele Jahre zurück. Österreich werde dadurch ein Stück
gerechter, ist sie überzeugt. Auch die "Ur-Uralt-Forderung" ihrer Fraktion nach einem Foto auf der
E-Card werde endlich umgesetzt. Sie sieht in der Maßnahme eine Hemmschwelle für Missbrauch.
Zufrieden sind auch die Grünen. Es sei nicht gerecht, dass auf bis zu 100% des Vermögens pflegebedürftiger
Personen zurückgegriffen werden kann, sagte Judith Schwentner. Allerdings sieht sie mangels einer entsprechenden
Einigung der Regierungsparteien die Frage der Finanzierung ungelöst. Damit gebe man der nächsten Regierung
"einen ganz schön großen Brocken mit".
Dass durch ein Foto auf der E-Card Einsparungen erzielt werden können, glaubt Schwentner ebenso wenig wie
NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker, dessen Fraktion als einzige gegen die Abschaffung des Pflegeregresses stimmte.
Für Loacker ist der Pflegeregress in seiner derzeitigen Form zwar inakzeptabel, vor allem weil es unterschiedliche
Regelungen in den Ländern gibt, seiner Meinung nach braucht es aber substanzielle Lösungen im Pflegebereich.
Konkret drängte Loacker auf einen Ausbau der mobilen Pflege, Pflege in kleinen Einheiten und bundeseinheitliche
Qualitätsstandards, er konnte sich mit einem diesbezüglichen Entschließungsantrag aber nicht durchsetzen.
Einigen anderen Punkten des Gesetzespakets stimmten die NEOS in Zweiter Lesung zu.
Team Stronach und FPÖ pochen auf Abschaffung von "Luxuspensionen"
"Mit von der Partie" bei der Abschaffung des Pflegeregresses war hingegen die kleinste Fraktion im Nationalrat,
das Team Stronach. Waltraud Dietrich wies darauf hin, dass dieser nicht nur ältere Menschen betrifft. Was
die Frage der Gegenfinanzierung anlangt, ortet Dietrich, anders als die Grünen und die NEOS, sehr wohl Einsparungspotential
durch die Verhinderung von Missbrauch durch Anbringung eines Fotos auf der E-Card. Zudem forderte sie in Anlehnung
an einen mit zur Diskussion stehen Antrag erneut die Abschaffung von "Luxuspensionen". Mit hohen Pensionen
für AltpolitikerInnen und anderen Personengruppen müsse endlich aufgeräumt werden.
Dieser Forderung schloss sich auch FPÖ-Abgeordneter Peter Wurm an. Er plädierte dafür, die 1 Mrd.
€, die ihm zufolge für 40.000 LuxuspensionistInnen ausgegeben werden, auf die MindestpensionistInnen aufzuteilen.
Er wertete es außerdem als sozial ungerecht, dass die höhere Ausgleichszulage von 1.000 € bei zumindest
30 Arbeitsjahren nicht ausgezahlt werde, wenn jemand privat vorgesorgt hat.
Das Thema Pensionen schnitt auch FPÖ-Seniorensprecher Werner Neubauer an. Ein von ihm eingebrachter Entschließungsantrag
blieb allerdings in der Minderheit. Zum von der FPÖ geforderten Maßnahmenbündel gehörten unter
anderem die Anpassung der Pensionen auf Basis des Verbraucherindex für PensionistInnen, die Gewährung
einer Steuergutschrift für AusgleichszulagenbezieherInnen, die Einführung einer Mindestpension von 1.200
€ und die Abschaffung des Pensionssicherungsbeitrags bis zur ASVG-Höchstgrenze.
Doppler: Vorwahlkampf kann auch etwas Gutes haben
Ausdrücklich begrüßt wurde die Abschaffung des Pflegeregresses auch vom fraktionslosen Abgeordneten
Rupert Doppler. So ein Vorwahlkampf könne auch etwas Gutes haben, quittierte er den Gesetzesbeschluss.
Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner wies darauf hin, dass es vor allem Frauen sind, die Pflegearbeit leisten.
Niemand, der pflegebedürftig wird, müsse in Zukunft Angst haben, dass er alles verliere, was er während
seines Lebens gespart hat, hob sie hervor. Ähnlich argumentierte Sozialminister Alois Stöger. Die kostenlose
Hepatitis-Impfung für Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr mit hohem Infektionsrisiko sieht Rendi-Wagner
als Maßnahme zur Risikominimierung.
Sowohl ÖVP-Sozialsprecher Wöginger als auch SPÖ-Abgeordneter Dietmar Keck brachten vorgesehene Verbesserungen
für Schwerarbeiter zur Sprache. Diese könnten sich künftig schon zehn Jahre vor Pensionsantritt,
also mit 50, erkundigen, ob sie die Voraussetzungen zur Inanspruchnahme der Schwerarbeitspension erfüllen
werden, erläuterten sie. Bisher ist das erst drei Jahre vor Pensionsantritt und bei 444 erworbenen Versicherungsmonaten
möglich gewesen.
Wöginger wertete es außerdem als erfreulich, dass die angerechneten Präsenzdienstzeiten für
die Inanspruchnahme der Langzeitversichertenregelung künftig nicht mehr mit 30 Monaten gedeckelt sind. Es
gebe Zeitsoldaten, die zehn bis fünfzehn Jahre beim Bundesheer waren, hielt er fest.
E-Cards sollen spätestens 2023 mit Fotos ausgestattet sein
Die Ausgabe von E-Cards mit Foto soll ab 1. Jänner 2019 erfolgen. Vorgesehen ist, bestehende Karten sukzessive
auszutauschen und das Vorhaben bis 31. Dezember 2023 abzuschließen. Betroffen sind allerdings nur KarteninhaberInnen
ab Vollendung des 14. Lebensjahrs. Die Fotos sollen, wenn möglich, aus behördlichen Beständen stammen,
ansonsten sind sie vom Karteninhaber beizubringen. Ausdrücklich wird in den Erläuterungen festgehalten,
dass die Maßnahme keinerlei Einfluss auf das Bestehen des Versicherungsschutzes hat.
Die Gratis-Impfung gegen Hepatitis A und B für Feuerwehrleute soll jenen Mitgliedern der freiwilligen Feuerwehren
zugutekommen, die einem besonderen Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Außerdem sehen die beiden heute eingebrachten
S-V-F-G-T-Abänderungsanträge verschiedene weitere Maßnahmen vor. Das betrifft etwa die bessere
Anrechnung von Pensionszeiten für ehemalige Zeitsoldaten, die Feststellung von Schwerarbeitszeiten sowie die
künftige Möglichkeit für Pflegeheime, Medikamente über den Großhandel zu beziehen. Zudem
soll Angehörigen, die behinderte Kinder pflegen, auch dann die Möglichkeit eröffnet werden, sich
nachträglich beitragsfrei in der Pensionsversicherung zu versichern, wenn sie teilzeitbeschäftigt waren.
Maximal können nachträglich – für die Zeit ab dem 1. Jänner 1998 – 120 Versicherungsmonate
erworben werden.
Gesetz bringt mehr Rechtssicherheit für selbständig Erwerbstätige
Eingebaut wurden die Bestimmungen zum Pflegeregress und die weiteren ASVG-Änderungen in ein Gesetzespaket,
das mehr Rechtssicherheit in Bezug auf die Abgrenzung von selbständiger und unselbständiger Erwerbsarbeit
bringt. Bei bestimmten Personengruppen wird demnach künftig schon vorab geprüft, ob eine Pflichtversicherung
nach dem ASVG oder nach dem GSVG bzw. BSVG vorliegt. Bereits Erwerbstätige können eine nachträgliche
Prüfung beantragen. An das Ergebnis sind nicht nur die betroffenen Versicherungsträger, sondern auch
die Finanzämter gebunden. Ziel ist es, böse Überraschungen durch nachträgliche Zwangszuordnungen
zu vermeiden.
Es habe in der Vergangenheit immer wieder Fälle gegeben, wo es zu enormen Nachzahlungen durch eine nachträgliche
Umqualifizierung gekommen sei, hob Werner Groiß (V) die Notwendigkeit der Schaffung von Rechtssicherheit
hervor. Zum Teil hätten Auftraggeber sogar Insolvenz anmelden müssen. Was das Recht auf Letztentscheidung
durch die zuständige Gebietskrankenkasse betrifft, meinte Groiß, er würde sich ein neutrales Schiedsverfahren
wünschen.
Grundsätzliche Kritik an Zwangszuordnungen kam von NEOS-Abgeordnetem Gerald Loacker. Er hält es für
unzumutbar, dass über die Köpfe der Betroffenen hinweg beschlossen werden kann, wer unselbständig
und wer selbständig arbeitet. Ab einem gewissen Jahreseinkommen solle eine zwangsweise Zuordnung gegen den
Willen der Beteiligten nicht möglich sein, forderte er.
Judith Schwentner nutzte die Debatte dazu, um ein einheitliches Sozialversicherungssystem für alle Beschäftigten
zu fordern. Gäbe es ein solches, wäre das vorliegende Gesetzespaket überflüssig, machte sie
geltend.
Grüne fordern Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze
Grün-Abgeordnete Birgit Schatz machte auf negative Auswirkungen der Abschaffung der täglichen Geringfügigkeitsgrenze
aufmerksam. Dieser Schritt habe dazu geführt, dass man erst ab einem Tagesverdienst von 425,70 € vollen Versicherungsschutz
genieße, kritisierte sie. Das sei vor allem in der Filmbranche, wo es häufig Ein-Tages-Verträge
gebe, ein großes Problem. Geht es nach Schatz, wäre es am sinnvollsten, die Geringfügigkeitsgrenze
gänzlich zu entsorgen. Jede Art von Erwerbseinkommen sollte der vollen Beitragspflicht in der Sozialversicherung
unterliegen. Damit würde man prekäre Arbeitsverhältnisse vermeiden. ÖVP-Abgeordneter Groiß
hält davon allerdings nicht viel. Er lehnte einen entsprechenden Antrag der Grünen – wie die Mehrheit
der Abgeordneten – ab.
Auch mit einem Abänderungsantrag zum Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz konnte sich Schatz nicht durchsetzen.
Sie wollte Unternehmen damit ermöglichen, geringfügig erwerbstätige DienstnehmerInnen freiwillig
voll zu versichern. Vermisst wird von Schatz der angekündigte Mindestlohn von 1.500 €.
Keinen Bedarf sieht die Mehrheit des Nationalrats auch für die Forderung der FPÖ nach einem neuen Lehrberuf
"Berater für Menschen mit Behinderungen". Es gebe genügend Beratungsangebote und Serviceeinrichtungen
hielt SPÖ-Abgeordneter Johann Hell fest.
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