Bericht zu aktuellen Wachstumsaussichten für die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas
und ihrer wirtschaftlichen Verflechtungen mit Österreich
Wien (wiiw) - Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) hat eine neue Prognose
des für Mittel-, Ost- und Südosteuropa erstellt. Hier sind die wichtigsten Eckpunkte im Überblick:
- Gegenüber der wiiw-Frühjahrsprognose wurden die Wachstumserwartungen
für die Länder in Mittel-, Ost- und Südosteuropa (MOSOEL) größtenteils nach oben revidiert.
- Für das laufende Jahr wird für die MOSOEL-Region mit einem BIP-Wachstum
von rund 2,4% gerechnet, mit einer Beschleunigung auf 2,6% im Jahr 2018 und 2,7% im Jahr 2019.
- Zu den wichtigsten Faktoren für die Wachstumsbeschleunigung zählen
die Erholung der Wirtschaft im Euroraum und die Stabilisierung des Ölpreises. Auch privater Konsum und Investitionen
entwickeln sich in weiten Teilen der Region vorteilhaft.
- (Geo)politische Turbulenzen schwächen das Wirtschaftswachstum in der Ukraine,
Russland und einzelnen Westbalkanländern. Politische Entwicklungen in Polen, Rumänien, Ungarn und der
Türkei zeigen noch keine negativen Effekte für die Wirtschaft - zusammen mit Brexit stellen sie aber
die mittelfristig größten Unsicherheitsfaktoren dar.
Positiver als noch im Frühjahr erwartet entwickelt sich die Wirtschaft in den EU-Ländern Mittelosteuropas
(EU-MOE) mit einem prognostizierten Wirtschaftswachstum von 3,5%. Das Wachstumsdifferenzial zum Euroraum beträgt
damit 1,8 Prozentpunkte. Auf Länderebene reichen die BIP-Wachstumsprognosen für das laufende Jahr von
2,3% für Estland bis 4,8% für Rumänien. Exporte steigen nicht zuletzt durch die wirtschaftliche
Erholung im Euroraum stark. Lohnentwicklungen sind weiter positiv - einerseits ausgelöst durch Fachkräftemangel,
andererseits durch die Anhebung von Mindestlöhnen (z.B. Lettland, Polen, Rumänien, Slowakei, Ungarn),
Sozialleistungen oder Gehältern für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Gleichzeitig bleiben
Preissteigerungen - auch aufgrund der anhaltend niedrigen Ölpreise - gering. Dieses Umfeld fördert insbesondere
den privaten Konsum als wichtigsten Wachstumsmotor der EU-MOE. Mit dem Anlaufen der Auszahlungsperiode des EU-
Finanzrahmens 2014/2020 ist auch mit einem Anstieg EU-kofinanzierter Investitionen zu rechnen.
Für die Türkei wurde die BIP-Wachstumsprognose basierend auf steigenden öffentlichen Investitionen
und der verstärkten Vergabe von Krediten um 0,7 Prozentpunkte auf 2,8% angehoben. Die schwache Lira fördert
zudem das Exportwachstum in die EU und die Erholung der Tourismusbranche. Mittelfristig jedoch steht das Vertrauen
von heimischen Unternehmen, Konsumenten und ausländischen Investoren aufgrund der politischen Entwicklungen,
anhaltend hoher Inflation und der hohen Verschuldung in US-Dollar auf wackeligen Beinen.
Rückläufige öffentliche Investitionen reduzierten die Wachstumsaussichten für die Westbalkanregion
auf rund 2,9% für 2017. In Mazedonien und Montenegro im Speziellen führten politische Turbulenzen nach
den jüngsten Wahlen praktisch zu einem Stillstand öffentlicher Investitionen. Albanien entwickelt sich
mit einer erwarteten Wachstumsrate von 3,9% am dynamischsten aufgrund positiver Exportentwicklungen und Investitionen
wie dem Bau der Trans-Adria-Pipeline oder der Devoll Hydropower-Wasserkraftwerke.
Der anhaltendend niedrige Ölpreis sowie der Konflikt zwischen der Ukraine, Russland und den von Separatisten
kontrollierten östlichen Regionen der Ukraine bestimmen weiterhin die wirtschaftliche Entwicklung der Region.
Die negativen Folgen des Konflikts für die Ukraine werden durch eine seit Jänner anhaltende Handelsblockade
mit den Separatistengebieten verstärkt. Die resultierende Energieknappheit und der Einbruch der Stahlproduktion
führten zu einer Wachstumsrevision auf nunmehr 2%. Russlands Exporte erholten sich zwar mit dem Anstieg des
Ölpreises. Gleichzeitig wertete jedoch der Rubel auf und kurbelte das Importwachstum an, was zu einem leicht
negativen Beitrag der Nettoexporte zum russischen BIP-Wachstum führte. Für die Gemeinschaft Unabhängiger
Staaten (GUS) und die Ukraine ergibt sich unter der Annahme eines größtenteils stabilen Ölpreises
(50-55 US- Dollar pro Fass) im Aggregat ein erwartetes BIP-Wachstum von lediglich 1,5% für 2017.
Österreich zählt auch weiterhin zu den Top-Investoren in den MOSOEL. Gemessen am Anteil an den Gesamtbeständen
ausländischer Direktinvestitionen (FDI) war Österreich im Jahr 2016 der größte Investor in
Slowenien (30,7%) sowie in Bosnien und Herzegowina (20,4%) und Kroatien (19,2%). In 14 weiteren MOSOEL ist Österreich
untern den Top-10-Investoren. Aus österreichischer Sicht stehen insbesondere die Visegrád-Staaten (Polen,
Tschechische Republik, Slowakei und Ungarn) im Zentrum der Investitionsaktivitäten.
Österreichs Außenhandel wird zwar weiterhin von Deutschland dominiert, aber es findet eine zunehmende
Umorientierung Richtung Osten statt. Der Anteil der MOSOEL an den österreichischen Exporten belief sich im
Jahr 2016 auf 22%, der Anteil der Importe auf 21%. Speziell der Handel mit den EU-Ländern in Mittelosteuropa
gewinnt an Bedeutung. Zwischen 2006 und 2016 schrumpfte der Anteil der EU-28 am österreichischen Handel um
zwei Prozentpunkte, während der Anteil der MOSOEL (inkl. EU-MOE) um zwei Prozentpunkte anwuchs. Im Warenhandel
verzeichnete Österreich mit den MOSOEL zuletzt einen Handelsüberschuss von 5,4 Mrd. EUR, im Dienstleistungshandel
dagegen ein Handelsdefizit von 2,2 Mrd. EUR.
Von 2015 auf 2016 sank die Arbeitslosenquote in Österreich erstmals seit Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise
- sowohl für Österreicher als auch für Staatsangehörige der EU-Länder Mittelosteuropas.
Während die österreichische Arbeitslosenquote von 2015 auf 2016 von 8,1% auf 8,0% zurückging, fielen
die Arbeitslosenquoten für EU-Bürger im Aggregat um 0,6 Prozentpunkte auf 9,3% und für Staatsangehörige
der EU-Länder Mittelosteuropas noch stärker, um 0,9 Prozentpunkte auf 10% im Jahr 2016. Insgesamt stammten
9,3% der österreichischen Bevölkerung im Jahr 2016 aus Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Davon entfielen
48% auf die EU-Länder Mittelosteuropas.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Wirtschaft in den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas
im Durchschnitt sehr positiv entwickelt und - mit Ausnahme der Ukraine und Teilen der Westbalkanregion - den besorgniserregenden
politischen Trends (noch) sehr standhaft gegenübersteht. Durch die engen Verflechtungen mit den MOSOEL - im
Speziellen den EU-MOE - sollte Österreich jedoch zumindest kurzfristig von der aktuellen Wachstumsbeschleunigung
in der Region profitieren können.
|