Einigkeit über einzelne Fortschritte, Opposition erkennt Weiterentwicklungspotential
Wien (pk) - Nach langem Ringen beschloss der Nationalrat am 28.06. die Bildungsreform mit der erforderlichen
Zweidrittelmehrheit. SPÖ, ÖVP und Grüne waren sich einig. Für Bildungsministerin Sonja Hammerschmid
steht die pädagogische Freiheit im Mittelpunkt der gelungenen Reform. Empörung gab es seitens der Oppositionsparteien,
insbesondere für die Kompetenzlage bei der Bestellung von BildungsdirektorInnen. NEOS, FPÖ und Team Stronach
brachten zahlreiche Entschließungsanträge ein, die allesamt in der Minderheit blieben. Ebenso ging es
einem Abänderungsantrag der NEOS, der den Landeshauptleuten weniger Mitbestimmungsrecht einräumen wollte.
Auch die von den Freiheitlichen gewünschte Namentliche Abstimmung änderte nichts an dem Ausgang der Abstimmung.
SPÖ: Großer Schritt für Weiterentwicklung des österreichischen Bildungssystems
Im Zentrum der Bildungsreform 2017 steht die Möglichkeit, dass sich bis zu acht Schulen zu Clustern zusammenzuschließen.
Außerdem wird nicht nur die Behördenstruktur verbessert, sondern auch die Schulautonomie gestärkt
und die Besetzung von leitenden Funktionen objektiviert. Mehr Flexibilität gibt es bei Klassengrößen,
Öffnungszeiten und Lehrerauswahl, hob Bildungsministerin Sonja Hammerschmid hervor. Bildungsdirektionen lösen
die Landesschulräte ab und übernehmen sowohl Bundes- als auch Landesagenden. Statt den bisherigen amtsführenden
PräsidentInnen leiten künftig BildungsdirektorInnen die Direktionen. Durchsetzen konnten sich die Grünen
mit ihrer Forderung nach Ausweitung der Modellregionen. Zur Erprobung der Gesamtschule können künftig
alle in einer Region wohnhaften schulpflichtigen Kinder in einer gemeinsamen Schule zusammengefasst werden. Es
gibt jedoch eine Beschränkung auf 15 Prozent aller Schulen der fünften bis achten Schulstufe, die die
Gesamtschule erproben dürfen. Pro Modellregion dürfen höchstens 5.000 AHS-UnterstufenschülerInnen
betroffen sein. LehrerInnen und Eltern müssen dafür stimmen.
Die österreichischen SchülerInnen hätten das beste Bildungssystem verdient, unterstrich Elisabeth
Grossmann (S). Die Bildungsreform 2017 bringe eine Revolution im Denken. Hervorzuheben seien die Entscheidungsmöglichkeiten
bei der Ressourcenverwendung und mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Schulen. Der Chancenindex nehme
erstmals auf die individuellen Bedürfnisse von Schulen bedacht. Verlustängste auf Seiten der Opposition
wies Grossmann zurück. Es werde niemandem etwas weggenommen, vielmehr handle es sich dabei um ein Effizienzsteigerungspaket
auf Seiten der Verwaltung.
Fraktionskollegin Marianne Gusenbauer-Jäger zeigte sich überzeugt, dass engagierte LehrerInnen die Reform
mit Leben erfüllen werden. Zu den Vorteilen zählt ihr zufolge, dass DirektorInnen künftig auf die
regionalen Anforderungen eingehen können. Schulcluster würden vor Standortschließungen schützen,
meinte sie.
ÖVP erwartet lebendige neue Schulstruktur
Mehr Transparenz gibt es durch die Abrechnung der LandeslehrerInnen durch das Bundesrechenzentrum, betonte Brigitte
Jank (V). Durch die Ermöglichung von Schulclustern, werden Kleinschulen am Land erhalten, was zu mehr Lebensqualität
in den Regionen führe. In Richtung FPÖ unterstrich Jank, dass das Gymnasium nicht abgeschafft werde.
Modellregionen wird es nur dort geben, wo sie aktiv gewählt werden. In Summe erhalten die Schulen mehr Eigenverantwortlichkeit,
wodurch Jank eine lebendige neue Schulstruktur erwartet. Der Unterricht soll spannender und projektbezogener werden.
Die Vereinbarkeit von Schule und Beruf wird durch längere Öffnungszeiten verbessert, so Jank.
Manfred Hofinger (ebenso V) will die Pädagogik mehr in den Vordergrund stellen. In diesem Sinne bringen die
Cluster Vorteile für den ländlichen Bereich. Das Autonomiepaket ermögliche mehr Mitbestimmung, so
der ÖVP-Mandatar. Die Reform sei ein Schritt in die richtige Richtung, betonte auch Norbert Sieber (V) und
erkannte Weiterentwicklungspotentiale.
Die Möglichkeit, Sonderschulen und Regelschulen gemeinsam zu clustern, bringt laut Franz-Joseph Huainigg (V)
nicht nur eine bessere Nutzung der Ressourcen, sondern auch andere Vorteile für Sonderschulen. Huainigg trat
dafür ein, die Menschenwürde in der Verfassung zu verankern und machte sich für bilinguale Klassen,
die von gehörlosen LehrerInnen unterrichtet werden, stark.
Grüne nehmen Südtirol als Vorbild
Harald Walser (G) nahm sich ein Beispiel an Südtirol. Dort gibt es mehr SpitzenschülerInnen und weniger
RisikoschülerInnen, räumte er Ängste vor der gemeinsamen Schule aus. Walser wies aber darauf hin,
dass Südtirol nicht nur mehr LehrerInnen zur Verfügung hat, auch insgesamt sei das Schulbudget höher
als in Österreich. Seitens der FPÖ entgegnete Gerald Hauser, dass Südtirol 20 bis 25% des Landesbudgets
in Bildung investiere und daher andere Möglichkeiten habe als Österreich.
In den Verhandlungen hätten die Grünen zahlreiche Erfolge erzielt, freute sich Sigrid Maurer. Dazu gehören
neben den Modellregionen die Entparteipolitisierung der Schulleitung durch Einführung von Hearings, mehr Transparenz
durch Bildungsdirektionen, Mischcluster, der Chancenindex mit der Sprachförderung, das Antragsrecht der Eltern
zum sonderpädagogischen Förderbedarf sowie die Einrichtung einer Ombudsstelle beim Bildungsministerium,
die Probleme mit Schulen sofort aufgreift.
NEOS: Reform bringt Licht und Schatten
Die Kritik der NEOS zielt auf die Bestellung der BildungsdirektorInnen ab. Diese sieht folgendermaßen
aus: Die Bildungsministerin bestellt im Einvernehmen mit den Landeshauptleuten die jeweiligen BildungsdirektorInnen.
Vorschlagsrecht kommt den Landeshauptleuten zu. Gibt es keine Einigung, so können die Landeshauptleute vorläufig
eine Person mit den Agenden betrauen.
Ganz nach dem Motto Parteipolitik raus aus der Schule, unterstreichen die NEOS ihre Kritik mittels Abänderungsantrag.
Geht es nach Strolz, so soll bei Uneinigkeit die Bildungsministerin anstelle des Landeshauptmanns die Personalentscheidung
treffen können. Außerdem wollen die NEOS die Kompetenzen der Länder weiter eingeschränkt wissen.
Die Möglichkeit der Landeshauptleute, sich selbst zu PräsidentInnen der Bildungsdirektion zu ernennen,
lehnt Strolz entschieden ab und sieht in der Neugestaltung der Behördenstruktur den größten Schwachpunkt
der Novelle. Ansonsten begrüßt der Bildungssprecher der NEOS sowohl die Stärkung der Schulautonomie
als auch den zusätzlichen Gestaltungsfreiraum für DirektorInnen.
Brigitte Jank (V) konterte, dass Landeshauptleute keine böswilligen Menschen, sondern demokratisch gewählte
Personen seien. Auch die Grünen zeigten kein Verständnis für die NEOS und waren von der ablehnenden
Haltung enttäuscht. Die Zustimmung an ein Szenario zu knüpfen, das in 99,9% der Fälle nicht eintrete,
da immer Einigkeit erzielt werde, empfand Walser als nicht zielführend.
Hammerschmid: Reform ermöglicht Freiheit in pädagogischer Gestaltung
Bildungsministerin Sonja Hammerschmid nutzte die Plenardebatte dazu, einige weniger prominente Aspekte der Reform
hervorzuheben. So beispielsweise die Einführung eines freiwilligen 10. Schuljahrs für außerordentliche
SchülerInnen einer Hauptschule, Neuen Mittelschule oder Polytechnischen Schule. Eine ähnliche Verlängerung
gibt es auch für SchülerInnen der Sonderschule, die künftig nicht nur an Sonderschulen, sondern
auch an den regulären Schulen ein freiwilliges 11. und 12. Schuljahr absolvieren können.
Die Ressourcen werden den Schulen künftig anhand eines Chancenindex zugewiesen, führte Hammerschmid aus.
Sechs Faktoren fließen in die Berechnung ein: SchülerInnenanzahl, Förderbedarf, sozioökonomische
Hintergründe, Sprachstand sowie regionale und schulinterne Bedürfnisse der Schulstandorte. Die Modellregionen
ermöglichen eine gemeinsame Schule nach internationalem Vorbild, lobte sie. Außerdem wird die Parteipolitik
durch neue Behördenstrukturen Geschichte. Mischcluster bereinigen Schnittstellenproblematiken, zeigte sich
Hammerschmid überdies erfreut. In diesem Sinn will die Bildungsministerin das Reformpaket bestmöglich
umsetzen.
Im Einklang mit Franz-Joseph Huainigg (V) freute sie sich darüber, dass LehrerInnen künftig einfache
medizinische Tätigkeiten, die auch Laien zugemutet werden können, erbracht werden können. Darunter
fällt zum Beispiel das Erinnern an die Medikamenteneinnahme, das Überwachen von deren selbständiger
Einnahme oder das Wechseln einfacher Verbände. Die LehrerInnen sind dabei mit der Amtshaftung abgesichert.
Huainigg wollte darüber hinaus auch SchulassistentInnen für diese Tätigkeiten zulassen.
FPÖ hat eigene Pläne
Da die FPÖ wenig Gutes an der Bildungsreform findet, brachten die Abgeordneten eigene Vorschläge ein.
Allen voran steht die Beibehaltung der Klassenschülerhöhstzahl. Gerald Hauser ortet darin ein Sparpaket
durch die Hintertür. Laut Hauser liefert die Schulpolitik von SPÖ und ÖVP immer schlechtere Ergebnisse.
Die Zustimmung verwehrte die FPÖ hauptsächlich aufgrund der geplanten Modellregionen Gesamtschule. In
Hermagor (Kärnten) sei eine Gesamtschule geplant, so Wendelin Mölzer, die von der Bevölkerung nicht
erwünscht sei. In Anlehnung an eine Bürgerinitiative wollte er daher, dass ein Unterstufenrealgymnasium
am Bundesoberstufengymnasium Hermagor eingerichtet wird. Mölzer kritisierte neben der Abschaffung der Schülerhöchstzahlen
auch das fehlende Begutachtungsverfahren im Zuge des parlamentarischen Prozesses.
Des Weiteren wollen die Freiheitlichen islamischen Bildungseinrichtungen das Öffentlichkeitsrecht entziehen.
Schulen mit mangelnder Qualität soll laut Walter Rosenkranz das Öffentlichkeitsrecht entzogen werden,
wenn diese gegen das Kopftuchverbot verstoßen, das Deutschgebot nicht einhalten, unerlaubt aus dem Ausland
finanziert werden oder ein frauenfeindliches Weltbild verbreiten. In den Schulen müsste auf Leistung, Anstrengung
und Disziplin der SchülerInnen gepocht werden, sagte Rosenkranz und stellte die Finanzierung der Reform in
Frage. Harald Walser von den Grünen konnte das nicht so im Raum stehen lassen. SchülerInnen leisten am
meisten, wenn sie mit Freude lernen, sie würden sich dann anstrengen, wenn sie interessiert sind, und Disziplin
funktioniere am besten, wenn die SchülerInnen über die Regeln Bescheid wüssten, entgegnete er.
Außerdem fordert die FPÖ seit Jahren, dass Kinder vor Eintritt in die Schule über ausreichend Kenntnisse
in der Unterrichtssprache verfügen. Diese Forderung erneuerte Peter Wurm, indem er Deutsch-Klassen für
SchülerInnen mit mangelnden Kenntnissen in eigenen Klassen unterrichten will. Wurm thematisierte auch, dass
LehrerInnen neben ihren Bildungszielen oft Erziehungsarbeit leisten müssen. Soziales Lernen sei schwierig,
das Autonomiepaket stelle ein Sparpaket dar, meinte er. Bei den SchülerInnen kämen keine Verbesserungen
an, so sein weiteres Argument. Die FPÖ kritisiert, bringt aber keine Reformvorschläge, konterte Elmar
Mayer (S). Durch die Bildungsreform werden Schulen von Verwaltungsagenden entlastet, sagte er.
NEOS und Team Stronach wollen Qualitätsstandards für Kindergärten
Laut Robert Lugar (T) ist die Schulreform unzureichend, da die Klassenschülerhöchstzahl aufgehoben wird
und die Elementarbildung unbeachtet bleibt. Schulbildung baut auf dem Können der Kinder, die in die erste
Klasse kommen, auf, daher ist eine Qualitätsoffensive für Kindergärten notwendig, so Lugar. Der
Team Stronach-Abgeordnete fordert daher ein Bundesrahmengesetz-Kindergarten, das die Betreiber von Kindergärten
dazu verpflichtet, vorgegebene Lehrinhalte zu erfüllen. Darüber hinaus will er die Werte unserer Gesellschaft
sowie die Beherrschung der deutschen Sprache gesetzlich festhalten.
Lugar erkennt zwar positive Aspekte der Reform, diese greife jedoch nicht die wahren Problemfelder – darunter 5.000
ProblemlehrerInnen, Disziplinmangel und fehlende Sprachkurse – an. Bei der Bildung blockiere die ÖVP, meinte
Lugar und ortete weitere gegenseitige Blockaden von ÖVP und SPÖ. Die Gesamtschule sei nicht der Weisheit
letzter Schluss, meinte auch Gerhard Schmid (o.F.). Hauptschulen würden in Gesamtschulen umbenannt, was lediglich
ein kosmetischer Schritt sei.
Nach der Bildungsreform ist vor der Bildungsreform, sagte Claudia Gamon von den NEOS und brachte einen Antrag ein.
Konkret geht es ihr darum, einen einheitlichen Qualitätsrahmen für Kindergärten zu ermöglichen.
Wir brauchen endlich verlässliche Qualität statt Länder-Willkür, so Gamon. Ähnlich wie
Lugar will auch sie einen bundesweit einheitlichen Qualitätsrahmen schaffen. Die Standards müssen sich
an den Bedürfnissen der Altersgruppe orientieren, fordert Gamon und will den Betreuungsschlüssel vom
Alter abhängig machen. Die Oppositionsanträge fanden keine Mehrheit.
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