"Madonna mit Kind" aus dem M-Museum in Leuven in der Kunstkammer
Leuven/Wien (khm) - Das Kunsthistorische Museum und die Flämische Regierung vereinbarten 2013 anlässlich
der Eröffnung der neugestalteten Kunstkammer, dass jeweils für die Dauer eines Jahres eine Leihgabe aus
einer flämischen Sammlung in der Kunstkammer präsentiert wird. 2017/18 ist nun als fünfte Jahresleihgabe
ein wertvolles Tafelgemälde des M - Museum in Leuven aus Flandern zu Gast. Es zeigt die Madonna mit Kind.
Die Muttergottes sitzt in einem Erker-artigen Raum, der sich zu einer weiten, lichtdurchfluteten Landschaft hin
öffnet. Behutsam hält Maria das Jesuskind und schaut es mit ernstem, aber liebevollem Blick an. Das Kind
hat in der einen Hand einen kleinen Apfel – Anspielung auf den durch seine Geburt und späteren Opfertod überwundenen
Sündenfall – und greift sich mit der anderen an die eigenen Zehen. Diese Geste wirkt sehr lebensnah. Trotz
Heiligenscheins und Kreuznimbus sollen Mutter und Kind auf diese Weise möglichst natürlich wirken und
dadurch die wunderbare Menschwerdung Gottes verdeutlichen. Die farblich fahle, harte Modellierung des Gesichts
der Mutter und des Kinderkörpers, dazu die eckigen Falten am Wickeltuch lassen das Gemälde allerdings
fast wie aus Stein gemeißelt erscheinen. Dem steht nur der weiche Brokatstoff am Kleid Mariens entgegen.
Die plastische Darstellung der Figuren verleiht ihnen den Anschein einer beinahe greifbaren physischen Präsenz.
Der in Löwen (Leuven) tätige altniederländische Maler Dieric Bouts (um 1415–1475) unterzog die lange
Tradition der halbfigurigen strengen Marienbilder im Stil byzantinischer Ikonen einer radikalen Modernisierung.
Er ersetzte in seinen Bildern den Goldgrund durch Darstellungen realer Landschaft und verlieh Mutter und Kind deutliche
Züge einer natürlichen menschlichen Innigkeit. Bouts’ Schaffen übte eine große Wirkung auf
die Kunst seiner Zeit aus und fand zahlreiche Nachahmer. Das hier vorgestellte Gemälde wird dieser Nachfolge
zugeschrieben.
Das Tafelbild wird ein Jahr lang im Saal 34 der Kunstkammer als Leihgabe präsentiert. Es befindet sich dort
in unmittelbarer Nachbarschaft zu skulpturalen Andachtsbildern des 15. Jahrhunderts aus italienischer Frührenaissance
und deutscher Spätgotik. Als Beispiel für den zeitgleichen niederländischen Realismus rundet es
das in diesem Saal vermittelte Bild von den zukunftsweisenden Neuerungen in der Kunst dieser Zeit ab. Die Madonnenreliefs
Donatellos (1386–1466) und seines Umkreises etwa bieten sich zu einem Vergleich an. Sie veränderten althergebrachte
Schemen durch einen neuen Antikenbezug. Antonio Rossellinos (1427–1479) halbfiguriges Marmorrelief von Madonna
und Kind besitzt eine außerordentlich plastische Wirkung, die verdeutlicht, worum es dem altniederländischen
Maler in seinem Medium ging. Rossellinos virtuose Marmorbehandlung lässt den harten Stein allerdings weich
erscheinen. Tilman Riemenschneiders (um 1460–1531) aus Lindenholz geschnitztes großes Standbild der Maria
mit dem Kind bleibt wiederum sehr stark mittelalterlichen Konventionen verbunden.
In diesen zahlreichen Madonnendarstellungen manifestiert sich die religiöse Verehrung Mariens, die im späten
Mittelalter und in der frühen Neuzeit einen besonders hohen Stellenwert besaß. Hierin besteht auch der
Bezug der diesjährigen flämischen Leihgabe zu Margarete von Österreich (1480–1530), der Regentin
der Niederlande, die in der Kunstkammer zwei Räume weiter in Gestalt eines Porträtmedaillons ihres Hofbildhauers
Conrat Meit (1475/80–1550/51) präsent ist. Schon frühere Leihgaben aus der Serie „Flandern zu Gast“ haben
ihre zeittypische Marienfrömmigkeit thematisiert. Aus einem Inventar ihrer Sammlung in ihrem Palast in Mecheln
geht hervor, dass die kunstsinnige Erzherzogin tatsächlich auch ein Marienbild von Bouts besaß.
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