ForscherInnen entdecken erstmals schwimmende Chlamydien im Meer
Wien (universität) - Chlamydien sind als bakterielle Krankheitserreger bekannt und verursachen jedes
Jahr weltweit mehr als 100 Millionen Infektionen. Für den Menschen harmlose Arten sind jedoch auch in der
Umwelt weit verbreitet. Bei der Untersuchung dieser Spezies haben MikrobiologInnen der Universität Wien um
Astrid Collingro und Matthias Horn eine überraschende Entdeckung gemacht: Bestimmte marine Arten können
mithilfe eines molekularen "Motors" schwimmen. Alle bislang bekannten Chlamydien galten als völlig
unbeweglich.
Chlamydien sind ungewöhnliche Bakterien. Um sich zu vermehren, sind sie auf die Infektion tierischer oder
menschlicher Zellen beziehungsweise auf Einzeller (Protisten) angewiesen. Dieser Lebensstil ist uralt und vermutlich
bereits im Präkambrium entstanden. Im Verlauf der Evolution haben Chlamydien dabei ihr Erbgut stark verkleinert
und an die ressourcenreiche Umgebung angepasst. So haben sie eine Vielzahl an Genen verloren, die für freilebende
Bakterien lebensnotwendig sind.
Unbekannte Chlamydien im Meer
Die Evolution der Chlamydien lässt sich besonders gut anhand der Umweltchlamydien studieren, die beispielsweise
in Amöben leben. Am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung an der Universität
Wien werden diese seit über zehn Jahren erforscht. Zuletzt mehrten sich die Hinweise auf eine Vielzahl unbekannter
Entwicklungslinien im Meer. Um mehr über sie zu erfahren, verwendete das internationale Team um Matthias Horn
Methoden der Einzelzellgenomik. Die ForscherInnen brachten zunächst einzelne Bakterienzellen aus Meerwasserproben
in winzige Reaktionsgefäße, in denen sie anschließend weiter untersucht werden konnten.
Die Nadel im Heuhaufen
Zehntausende Bakterienzellen haben Collingro und ihre internationalen Kooperationspartner sortiert, bevor sie
fündig wurden; darunter befanden sich am Ende drei Chlamydien, deren Genome vervielfältigt und schließlich
sequenziert werden konnten. Diese Einzelzellgenome ("single cell amplified genomes") erlaubten erstmals
Einblicke in die genetische Ausstattung und die Biologie mariner Chlamydien. Deren Analyse ergab zunächst
typische Eigenschaften bekannter Arten; dann aber stießen die WissenschafterInnen auf ein völlig unerwartetes
Merkmal.
Flagellen
Während alle bekannten Chlamydien aufgrund ihrer reduzierten Genome völlig unbeweglich sind, besitzen
die untersuchten marinen Arten Flagellen. Das sind komplexe Strukturen, die aus einem molekularen Motor bestehen,
der eine Art Geißel so antreibt, dass die Zelle sich fortbewegen kann. "Wir haben das zunächst
nicht für möglich gehalten. Erst nach einer Reihe weiterer Analysen waren wir uns sicher: Wir haben es
mit beweglichen Chlamydien zu tun", so Astrid Collingro, Erstautorin der Studie.
Weitere Untersuchungen zeigten, dass Flagellen tatsächlich eine ursprüngliche Eigenschaft der Chlamydien
sind, die allerdings im Laufe der Evolution in den meisten Entwicklungslinien, so auch den humanpathogenen Arten,
verloren gegangen ist. Im Meer aber ist Beweglichkeit möglicherweise eine Voraussetzung, um neue Wirtszellen
zu finden.
So bemerkenswert diese neuen Erkenntnisse zur Anpassungsfähigkeit von Chlamydien sind, letztendlich wird es
notwendig sein, marine Chlamydien auch im Labor untersuchen zu können. Um das zu erreichen, wollen sich die
ForscherInnen demnächst auf die Suche nach deren natürlichen Wirten begeben. "Bisher konnten wir
nur einen Bruchteil der Chlamydien untersuchen. Ich denke, diese Bakterien sind noch für einige Überraschungen
gut", meint Matthias Horn, Professor am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung, und
ergänzt: "Die Untersuchung der Umweltchlamydien wird dazu beitragen, die Herkunft und Entwicklung bakterieller
Krankheitserreger besser zu verstehen".
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