Der Bundeskanzler formulierte sieben Schwerpunkte für eine Neuordnung der Europäischen
Union
Wien (bka) - Bundeskanzler Christian Kern hat im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung der Österreichischen
Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) im Kuppelsaal der TU Wien am Abend des 03.07. seine Sicht auf die
notwendige Neuordnung Europas dargelegt. Die Veranstaltung war Teil einer Reihe von Debatten zur Nationalratswahl
2017 und widmete sich der Frage: "Wie halten Sie es mit Europa?"
Die Europa-Rede des Bundeskanzlers im O-Ton:
"Vor zwei Tagen war ich in Straßburg, um gemeinsam mit Staats- und Regierungschefs aus Europa
und der ganzen Welt das Vermächtnis eines der größten Europäer zu ehren: Helmut Kohl. Wir
haben in den letzten Wochen oft ein Bild mit großem Symbolwert gesehen. Ein Bild, das vor fast 35 Jahren
um die Welt ging und eine zutiefst europäische Geste zweier großer Staatsmänner zeigte. Kohl stand
da gemeinsam mit Francois Mitterand, Hand in Hand am Erinnerungstag an die Schlachten von Verdun, bei denen sich
Deutsche und Franzosen im Ersten Weltkrieg bewaffnet bis an die Zähne gegenüber standen. Dieses Bild
des Miteinander zweier großer Staatsmänner erinnert uns an den Grundgedanken dieses Einigungswerks:
Die Lehre aus dem schmerzlichen Gegeneinander ist - Menschen und Nationen zusammenführen, um gemeinsam stärker
zu sein und mehr zu erreichen.
Kohl hat damals wie auch später den "Zipfel vom Mantel der Geschichte" erwischt, wie er formulierte.
Das hat auch Franz Vranitzky getan. Er hat die Chance ergriffen, den Lauf unserer Geschichte zu verändern,
als Kanzler, der Österreich in die Europäische Union geführt hat.
Franz Vranitzky hat – wie auch Außenminister Alois Mock - Verantwortung gezeigt und in einem historischen
politischen Kraftakt die Menschen in Österreich überzeugt.
Er hat nicht versucht, das Populäre ins rechte Licht zu rücken. Er hat es geschafft, das Richtige populär
zu machen, die Österreicherinnen und Österreicher wurden mit einer Botschaft des Miteinanders in einem
größeren Ganzen gewonnen. "Gemeinsam statt einsam" stand damals groß auf Plakaten.
Zu dieser Form der Debatte müssen wir wieder zurück. In der jüngeren Vergangenheit haben wir in
Österreich einen übergroßen Schluck aus der Populismusflasche genommen. Die Schlagzeile am heimischen
Boulevard wog schwerer als der Versuch eine ernstzunehmende Rolle am europäischen Parkett zu spielen.
Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel hat Politiker wie Helmut Kohl "Leidenschaftseuropäer"
genannt. Dieser Begriff beschreibt auch Dich, lieber Franz, und Alois Mock ganz gut. Auch meine Generation, die
mit Dir für den Beitritt gekämpft hat, auch wir sind Leidenschaftseuropäer. Weil Europa eben nicht
nur ein Konstrukt der Vernunft ist, sondern ein Gefühl, eine Idee, für die wir uns einsetzen.
Leidenschaft braucht Hoffnung, eine große Perspektive. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die
Europäische Union wieder zu dem machen können, was sie ursprünglich war: ein Projekt der Hoffnung,
ein Projekt, das bei den Bürgerinnen und Bürgern wieder an Vertrauen gewinnt.
Dafür müssen wir aber das Versprechen Europas von Sicherheit und Wohlstand erneuern. Wir müssen
ein aktives, schützendes Europa bauen, damit Europa ein Projekt des Friedens und der Sicherheit, aber auch
des gemeinsamen Wohlstands und der Gerechtigkeit ist.
Dieser Herausforderung müssen wir uns in einer Zeit großer Veränderungen stellen. Unsere Welt befindet
sich in einem tiefen Umbruch, ja einer Zeitenwende: Politisch, wirtschaftlich und technologisch. Wir erleben den
Übergang zu einer multipolaren Welt, in der die absolute Dominanz der USA von einem Geflecht von konkurrierenden
und kooperierenden Machtzentren abgelöst wird. China, Indien, Russland und die USA werden solche Zentren sein.
Aus meiner Sicht muss die EU zu einem dieser Machtzentren werden. Die künftige Weltordnung soll einen europäischen
Stempel tragen.
Wir haben gemeinsam viel erreicht. Oft vergessen wir die einmalige politische und zivilisatorische Leistung, die
zum europäischen Einigungsprozess geführt hat. Keine andere Region hat es geschafft, Demokratie, wirtschaftliche
Dynamik und soziale Gerechtigkeit so erfolgreich zu kombinieren, wie Europa. Dieses einmalige Gesellschaftsmodell
unter veränderten globalen Bedingungen auszubauen und weiterzuentwickeln ist die große Herausforderung
unserer Generation.
Entgegen den Vorhersagen Francis Fukuyamas, der vor 25 Jahren das Ende der Geschichte ausrief, gibt es heftige
Konkurrenz am Feld der Gesellschaftsentwürfe. Der amerikanische Traum verbindet Demokratie und Marktwirtschaft.
Die Schwächeren werden aber sich selbst überlassen. Der recht frische chinesische Traum verspricht den
wirtschaftlichen Aufstieg im Einparteienstaat. Verschiedene Spielarten der autoritären Marktwirtschaft nehmen
es weder mit Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit noch mit sozialem Ausgleich sehr ernst.
Europa ist stark, weil es eine solidarische Gemeinschaft ist, in der ein Grundprinzip gilt: Wahrhaft Großes
gelingt nur gemeinsam. Wir reden nicht zufällig von der "europäischen Familie".
Damit können wir auch gleichzeitig die größte Bedrohung nennen:
Den politischen Egoismus, der das Recht des Stärkeren zur politischen Methode erhebt – im europäischen
und globalen Maßstab. Der die Konfrontation sucht statt der Kooperation.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ja zu Europa zu sagen, ist leicht. Als Leidenschaftseuropäer müssen wir uns aber eine entscheidende Frage
stellen: Welches Europa wünschen wir uns? In welchem Europa wollen wir unsere Zukunft gestalten?
Jaques Delors hat treffend formuliert: "Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt."
Genau das ist aber der Eindruck, den das europäische Projekt heute bietet. Jahrzehntelang stand die Frage
im Mittelpunkt, wie die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, Märkte dereguliert, Banken gerettet werden
können.
Permanent wurden die Bedingungen für Konzerne und Finanzwirtschaft verbessert, europäisiert und globalisiert.
Für die Arbeitnehmer sind Bedingungen und Regeln national und fragmentiert geblieben – logisch, dass da die
Balance zwischen den Interessen weltumspannender Konzerne und den Europäerinnen kippt. Diese Balance müssen
wir wieder herstellen.
Nach Jahrzehnten der Dominanz der Märkte muss Europa wieder zu einem Projekt der Menschen werden, und nicht
zu einem Projekt, das von Gewinn- und Verlustrechnungen und Bilanzen geprägt ist.
Unser Europa, wie es sich heute darstellt, ist ja nicht wie Manna vom Himmel gefallen. Es ist das Ergebnis ganz
konkreter politischer Entscheidungen. Deshalb können wir es auch mit konkreten politischen Entscheidungen
verändern.
Über Jahrzehnte war Europa auf ein Wohlstandsversprechen gebaut, das heute nicht mehr gilt. Die Menschen
auf unserem Kontinent haben das Gefühl, dass dieses Versprechen, dass es den Kindern eines Tages besser gehen
wird als ihren Eltern, gebrochen ist. Dieses Versprechen müssen wir erneuern.
Wir müssen auch in Europa dafür sorgen, dass alle am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben können, dass
wir gemeinsam prosperieren. Für mich ist die soziale Säule der EU nicht nur eine Frage der wirtschaftlichen
Effizienz.
Es geht darum, welche Art von europäischer Gesellschaft wir wollen. Eine egoistische Ellenbogengesellschaft,
die den ohnehin Erfolgreichen zusätzliche Möglichkeiten bietet? Oder doch eine Gesellschaft, die allen
Chancen bietet, die auch schützt und in unsicheren Zeiten unseren Bürgern Halt und Sicherheit bietet.
Lassen sie mich in 7 Thesen und Schwerpunkten erläutern, wie meine Sicht auf diese nötige Neuordnung
ist. Wie ist eine proeuropäische Haltung gestaltet?
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1. Es ist proeuropäisch, die Wirtschafts- und Währungsunion zu vollenden
Wir haben in der Eurozone mit der EZB eine einheitliche Geld- und Währungspolitik geschaffen. Gegenwärtig
ist das das einzige Instrument zur Konjunktursteuerung auf Unionsebene. Die Geldpolitik hat aber eine ganz klare
Zielsetzung in der Wahrung der Preisstabilität.
Für eine wahre Wirtschafts- und Währungsunion müssen wir nun den nächsten Schritt setzen und
die Fiskalpolitik besser koordinieren.
Wenn wir heute von fiskalpolitischer Koordinierung sprechen, meinen wir damit die Überwachung der nationalen
Haushalte im Rahmen des Stabilitätspakts.
Wir setzen heute Sanktionen für Verstöße gegen die Haushaltsdisziplin, aber wenn die Arbeitslosigkeit
massiv steigt, wenn Sozialsysteme zerbrechen oder es keine Ausbildung für Jugendliche gibt, hat das keine
Konsequenzen. Die EU braucht daher nicht nur verbindliche Ziele für die Staatsverschuldung und die Inflation,
sondern auch für Arbeitslosigkeit, Investitionen und soziale Mindeststandards. Diese Regeln müssen dann
aber auch von allen eingehalten werden.
2. Es ist proeuropäisch, für Steuergerechtigkeit zu kämpfen
Wir können nicht hinnehmen, dass große Konzerne ihre Steuern nicht bezahlen und ihre Gewinne in
Steueroasen verschieben. Heute zahlt ein globaler Konzern in Österreich weniger Steuern als ein Würstelstand.
Das untergräbt unsere politischen Spielräume, weil uns Einnahmen verloren gehen. Es unterminiert auch
die Akzeptanz für unser Wirtschaftsmodell, weil sich die Bürger zu Recht ausgenutzt fühlen, wenn
Steuerbehörden sich weigern, die Steuern multinationaler Konzerne einzutreiben, weil dadurch das business
model als Steuerschlupfloch gefährdet würde.
Die Strategie des Steuerverschiebens ist ein klarer Missbrauch der europäischen Solidarität und muss
abgestellt werden. Da gibt es erste Schritte, aber wir müssen schneller vorankommen.
Um dem unfairen Steuerwettbewerb zu bekämpfen und den europäischen Grundgedanken gleicher Bedingungen
zu wahren, sollten wir endlich die gemeinsame Bemessungsgrundlage für Unternehmenssteuern einführen.
Wir sollten aber auch überlegen, die Steuersätze ebenso zu harmonisieren. Nur so kann einem schädlichen
Wettlauf nach unten begegnet werden.
3. Es ist proeuropäisch, konsequent Lohn- und Sozialdumping zu bekämpfen
Heute werden in Europa immer noch Menschen mit Hungerlöhnen ausgenutzt. Das können wir nicht hinnehmen
– es muss der Grundsatz gelten: gleicher Lohn für gleiche Arbeit an einem Ort.
Wenn etwa der Binnenmarkt und die Dienstleistungsfreiheit zu Sozial- und Lohndumping führen, erleben die
Bürger Europas das als Bedrohung. Die jetzt diskutierten Änderungen der Entsende-Richtlinie müssen
endlich umgesetzt werden, sie sind ein erster Schritt. Aber wir müssen auch die Zusammenarbeit von nationalen
Behörden verbessern, wenn es um die grenzüberschreitende Verfolgung von Verstößen geht. Auch
das wäre eine klassische Aufgabe für die EU im sozialen Interesse der Bürgerinnen und Bürger.
4. Es ist proeuropäisch, die Konvergenz zu fördern
Konvergenz ist für viele ein Synonym für das Wohlstandsversprechen der EU, sie ist eines der wichtigsten
Ziele unserer wirtschaftlichen Kooperation. Seit der Finanzkrise kam die Konvergenz in der EU aber zum Erliegen.
Das Lohngefälle zwischen einzelnen Mitgliedstaaten verharrt auf hohem Niveau und führt zu innereuropäischen
Migrationsbewegungen, die in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar waren, als wir die Arbeitnehmerfreizügigkeit
gewährt haben.
Wir müssen ein ähnliches Wohlstandsniveau erreichen, sonst bleiben Verzerrungen bestehen, die weitere
Wanderung von Arbeitnehmern innerhalb der EU provozieren – auch zum Nachteil der Herkunftsländer.
Für uns in Österreich hat das einen Anstieg der Arbeitslosigkeit bedeutet, obwohl wir die Beschäftigung
schneller steigern konnten als etwa Deutschland.
Aber dieses Beschäftigungsplus ging zu 100 Prozent an Zuwanderer aus den neuen Mitgliedstaaten. Wenn nationale
Arbeitsmärkte überfordert sind, muss es möglich sein, politische Maßnahmen zum Schutz der
Arbeitnehmer zu setzen.
Wie aber können wir die Konvergenz fördern, damit solche Maßnahmen nicht notwendig sind? Wir müssen
die Ausgaben des EU-Budgets stärker auf wachstumsfördernde Investitionen konzentrieren. Mehr Investitionen
sorgen für mehr nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung, für mehr Konvergenz und Kohäsion.
Wir brauchen eine Verschiebung der budgetären Schwerpunkte hin zu Zukunftsinvestitionen – Bildung, Forschung,
Infrastruktur. Wir brauchen dafür neue Instrumente.
Zum Juncker-Plan mit seinem EFSI sollten wir auch einen Europäischen Fonds für öffentliche Investitionen
gründen, in dem wir gemeinsam entscheiden, wo Investitionen erforderlich sind.
5. Es ist proeuropäisch, eine faire Handelspolitik einzufordern
Wir haben Interesse an möglichst ungehindertem Handel und offenen Märkten, das kann ich als österreichischer
Bundeskanzler nur unterschreiben. Österreich ist eine offene Volkswirtschaft, wir profitieren vom freien Handel
genauso wie von der europäischen Integration.
Der offene Protektionismus, wie ihn die Trump-Administration nun betreibt, ist sicher kein sinnvolles Rezept
für die EU.
Wirtschaftlich schreitet die Globalisierung mit all ihren positiven und negativen Folgen voran. Dieser Prozess
wird auch weiter unsere Art zu leben verändern.
Europa muss das Regelwerk der globalen Wirtschaft mitbestimmen, unsere hohen Sozial- und Umweltstandards globalisieren,
sonst werden andere uns ihre Regeln aufzwingen. Wir müssen darauf bestehen, dass unsere hohen Umwelt- und
Sozialstandards nicht ausgehebelt werden. Die EU muss hier aktiv die europäischen Interessen schützen,
dazu ist sie da.
Wir Europäerinnen und Europäer dürfen aber bei unserer Handelspolitik nicht naiv sein. Wenn wir
uns nicht gegen die unfaire Konkurrenz wehren, die uns entgegenschlägt, dann werden wir in ein paar Jahren
keine Grundstoffindustrie mehr in Europa haben. Und wir drohen den Anschluss zu verlieren in strategischen Schlüsselindustrien
wie Robotik und Mikroelektronik.
Ich teile auch das Unbehagen vieler ÖsterreicherInnen hinsichtlich der Sonderklagsrechte für Investoren.
Solche privilegierten Zugänge zum Recht sollten zumindest zwischen voll entwickelten Rechtsstaaten keinen
Platz haben. Wir haben bereits bei der Diskussion über CETA und TTIP die problematischen Punkte dieser neuen
umfassenden Abkommen herausgearbeitet. Solange es hier keine befriedigende Lösung gibt, werden wir solche
Handelsabkommen wie CETA auch nicht ratifizieren. Damit kommt zwar der handelspolitische Teil von CETA vorläufig
zur Anwendung, jedoch nicht die Investitionsgerichte. Damit unterliegen das Handelsabkommen und alle seine Regelungen
der österreichischen Gerichtsbarkeit und den österreichischen Gesetzen.
Die Europäische Kommission sollte beim nun in Verhandlung stehenden Abkommen mit Japan nicht dieselben Fehler
wiederholen und eine Trennung des handelspolitischen Teils und des Investorenschutzes vornehmen.
6. Es ist proeuropäisch, die Wertegemeinschaft konsequent zu verteidigen
Wir erleben politischen, nationalen Egoismus auch innerhalb unserer Gemeinschaft. Ich meine die Idee von der
sogenannten "illiberalen Demokratie".
Die gesamte europäische Idee ist dem Wertekanon des Westens verpflichtet, der Freiheit und Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit hochhält. "Illiberale Demokratie" ist diesem Wertekanon der Natur nach fremd,
ist ein Widerspruch in sich. Liberalität und Demokratie gehören untrennbar zusammen. Demokratie kann
nicht illiberal sein.
Das Eintreten für unsere Werte, auf denen das europäische Einigungswerk beruht, ist nicht mehr selbstverständlich.
Doch diese Werte sind der Daseinszweck der Europäischen Union.
Wir mussten beobachten, wie in den letzten Jahren einzelne Mitgliedsstaaten demokratische und rechtsstaatliche
Grundprinzipien Schritt für Schritt außer Kraft gesetzt haben, wie sie ihre Bürgerechte beschnitten
und die Pressefreiheit eingeschränkt haben. Diese Maßnahmen wurden unter dem Deckmantel der nationalen
Souveränität durchgeführt, in Wahrheit sind sie aber Angriffe auf unsere gemeinsame europäische
Wertebasis aus Solidarität, Freiheit und Demokratie.
Es kann nicht sein, dass man wie selbstverständlich europäische Solidarität einfordert, wenn man
Geld aus EU-Töpfen beziehen möchte.
Aber wenn es um die Einhaltung europäischer Grundprinzipien geht; oder um die gerechte Verteilung von Flüchtlingen;
oder um den Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping - plötzlich nicht mehr weiß, wie man europäische
Solidarität buchstabiert, dann geht das nicht an. Dann muss das Konsequenzen haben.
Die Verhandlungen für das nächste EU-Budget werden uns auf eine harte Probe stellen. Es wird das erste
Budget ohne den ganz erheblichen Beiträgen UKs. Mein Vorschlag geht ganz konkret dahin, Auszahlungen der EU
an die Einhaltung von rechtsstaatlichen Grundprinzipien zu knüpfen. Wenn schon Appelle nichts bewirken, dann
bewirken vielleicht die EU-Gelder als letztes Mittel ein Umdenken. Denn die EU ist kein Bankomat, die EU ist eine
Wertegemeinschaft.
7. Es ist proeuropäisch auch bei der Migration die Lasten aufzuteilen
Zu den großen Herausforderungen Europas zählt zweifellos die Flüchtlings- und Migrationskrise.
Hier muss Europa geeint und entschlossen auftreten. Mit derselben Entschlossenheit, mit der wir das Asyl als Menschenrecht
gewähren und verteidigen, müssen wir auch der illegalen Migration einen Riegel vorschieben. Dafür
brauchen wir kurz- und langfristige Antworten als EU. Denn mit nationalen Maßnahmen lösen wir das Problem
nicht, sondern schieben es nur dem Nachbarn zu.
Kurzfristig brauchen wir einen soliden Schutz der Außengrenzen, eine Kontrolle der Fluchtrouten und eine
Aufteilung der Lasten. Das Problem den Italienern, Griechen, Deutschen, Schweden und Österreichern zu überlassen,
wird nicht funktionieren.
Langfristig müssen wir die Lebensbedingungen in den Herkunfts- und Transitländern so verändern,
dass die Menschen dort wieder eine Perspektive finden. Wir brauchen daher eine Art Marshall-Plan für Afrika.
Die ersten Schritte dazu hat die Kommission bereits gesetzt. Jetzt sind die Mitgliedsländer gefordert, auch
Österreich. Das kostet Zeit und Geld, ist aber die einzig realistische Chance damit umzugehen. Einfache Lösungen
gibt es für diese Frage nicht. Die sollte man auch nicht versprechen.
Europa zeigt sich heute gut in Form. Ich bin überzeugt, dass wir in Europa eine große Zukunft haben.
In allen Ländern der EU gibt es heuer wieder Wirtschaftswachstum, in Österreich sogar bemerkenswerte
2,4 Prozent. In allen Ländern der EU geht die Arbeitslosigkeit zurück. Nach den Krisenjahren geht es
aufwärts, und wir haben alle Voraussetzungen, die Herausforderungen von Globalisierung, Digitalisierung und
Klimawandel positiv zu meistern. Das deutsch-französische Führungsduo kommt langsam wieder in Schwung.
Die Sorge, dass Nationalisten und Populisten in wichtigen europäischen Staaten das Ruder übernehmen,
hat sich nicht bewahrheitet.
Aber diese Auseinandersetzung ist noch nicht zu ende. Ich stehe dafür ein, dass sich Österreich an der
Seite jener einbringen wird, die von Europa mehr erwarten, als einen Binnenmarkt.
Wir werden gemeinsam mit jenen agieren, die ein starkes, ein gerechtes und ein solidarisches Europa bauen wollen.
Dieses Europa lebt vom Mut zum Miteinander, davon profitieren gerade wir kleinere Länder. Wir brauchen eine
große und starke Gemeinschaft, wir wollen den Weg Europas mitgestalten und seinen neuen Kurs mitbestimmen
– zurück zu einem Projekt der Hoffnung und der Menschen.
Europa ist immer nur so stark wie der Glauben der Bürgerinnen und Bürger an die Kraft der europäischen
Idee. Getragen von den jungen Europäerinnen und Europäern. Sie sind die Leidenschaftseuropäer der
Zukunft."
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