EU-Zollunion spielt Schlüsselrolle im Kampf gegen Fälschungen
Brüssel (eesc) - Die Produktfälschung ist auf dem Vormarsch. Obwohl die Herstellung gefälschter
Produkte nach wie vor als Phänomen gilt, das überwiegend Drittstaaten betrifft, ist sie auch in den EU-Mitgliedstaaten
im Steigen begriffen. Kriminelle Netze, die bereits Erfahrung im Bereich Betrug, Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung
oder Menschenhandel haben, sehen Produktfälschung als profitables Geschäftsfeld mit weniger Risiken und
dem Vorteil geringerer Transportkosten und einer Umgehung von Zollkontrollen. Zwar beruhen die Daten über
illegale Aktivitäten überwiegend auf Schätzungen und Näherungswerten, aber die Zahlen sind
ohne jeden Zweifel alarmierend: Der geschätzte Wert der weltweit gehandelten gefälschten Produkte liegt
zwischen 600 Milliarden Euro (laut Vereinten Nationen) und knapp 1 Billion Euro (laut anderer internationaler Statistiken).
Die OECD geht davon aus, dass Produktfälschung und -piraterie bis zu fünf Prozent der Warenimporte in
die Europäische Union mit einem Gegenwert von 85 Milliarden Euro ausmacht, was den Verlust von ca. 800 000
Arbeitsplätzen und einen jährlichen Ausfall von Steuereinnahmen in Höhe von etwa 14,3 Milliarden
(einschließlich Mehrwert- und Verbrauchssteuern) zur Folge hat.
Angesichts der Tatsache, dass etwa 39 % des BIP der EU und 26 % der Beschäftigung auf Wirtschaftszweige entfallen,
in denen Rechte des geistigen Eigentums eine wichtige Rolle spielen, vertritt der Europäische Wirtschafts-
und Sozialausschuss (EWSA) die Ansicht, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten dieses Phänomen nicht mehr ignorieren
dürfen, und fordert sie auf, betroffene KMU und Industrieunternehmen durch eine Aktualisierung, Harmonisierung
und Stärkung des derzeitigen Rechtsrahmens zu unterstützen. „Wenn wir jetzt keine Maßnahmen ergreifen,
drohen uns in vielfacher Hinsicht Probleme, etwa Rückschläge in den Bereichen Forschung, Innovation und
Investitionen, ein Imageschaden und Qualitätseinbußen, Risiken für Gesundheit, Sicherheit und Umwelt,
der Ausfall von Einnahmen bei Steuern und Abgaben sowie ein Scheitern bei der Bekämpfung der organisierten
Kriminalität“, erläutert Antonello Pezzini einige der Folgen eines Nichthandelns. Antonello Pezzini ist
Berichterstatter für die Stellungnahme des EWSA zum Thema „Produktfälschung und -piraterie“, die auf
der EWSA-Plenartagung im Juli verabschiedet wurde und in der konkrete Vorschläge zur Bekämpfung von Produktfälschung
und -piraterie unterbreitet werden.
Uneinheitliche Bestimmungen in der EU spielen Kriminellen in die Hände
„Sowohl die unkoordinierte und unterschiedliche Umsetzung der Vorschriften und Normen der EU auf der Ebene der
Mitgliedstaaten als auch die Unterschiede bei der Wirksamkeit der Zollkontrollen spielen den Fälschern in
die Hände und erleichtern die Verbringung gefälschter Produkte in die EU. Dies ist nicht nur eine Bedrohung
für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, sondern oftmals auch für die Gesundheit der Verbraucher
und die öffentliche Sicherheit“, betont Pezzini, der die EU und die Mitgliedstaaten auffordert, sich dafür
einzusetzen, dass möglichst rasch ein einheitliches europäisches Zollwesen mit gemeinsamen Verfahren
und Instrumenten sowie zusammengeführten, direkt nutzbaren Datenbanken geschaffen wird.
Selbst wenn es Hauptaufgabe der Privatwirtschaft und der am stärksten betroffenen Wirtschaftszweige der EU
ist, Produktfälschung zu bekämpfen, dürfen diese nicht allein gelassen werden: Auch die Europäische
Kommission und die Mitgliedstaaten müssen ihren Beitrag leisten, indem sie den Regelungsrahmen für Rechte
des geistigen Eigentums möglichst rasch aktualisieren und die strafrechtlichen Sanktionen in den Mitgliedstaaten
harmonisieren.
Außerdem müssen die betroffenen Wirtschaftszweige und die Markeninhaber Partnerschaften mit Betreibern
von Internetportalen, Produzenten von Inhalten, Betreibern elektronischer Zahlungsdienste, Werbern und Werbenetzen
sowie Betreibern von Registern für Internetdomänen anstreben, denn nur gemeinsam können sie sich
rasch an plötzliche Marktveränderungen anpassen. „Es liegt im Interesse der gesamten Volkswirtschaft
und der Industrie in Europa, ihren guten Ruf zu erhalten und somit Betrugsdelikte ausnahmslos zu bekämpfen.
Um kriminellen Netzwerken etwas entgegensetzen zu können, bedarf es starker Allianzen zwischen den einzelnen
Unternehmen sowie der Unterstützung durch einen robusten Rechtsrahmen“, so Pezzini.
Die 300 zollfreien Gebiete in 135 Staaten, darunter das Zollfrei-Gebiet Tanger Med in Marokko, das nur 15 km von
der Grenze zur EU liegt, müssen besonders aufmerksam beobachtet werden, da diese Gebiete häufig für
den Austausch, die Dokumentierung und die Umetikettierung des Inhalts von Containern genutzt werden.
Weitere Schritte: Erarbeitung eines Aktionsplans und Einbindung der Verbraucher
Der EWSA fordert in seiner Stellungnahme einen neuen EU-Rahmen 2018-2021 mit einem umfassend finanzierten und koordinierten
Aktionsplan zur Stärkung der Rechtsvorschriften und Maßnahmen der EU im Kampf gegen die Produktfälschung.
Dazu sollten neben den bereits erwähnten u. a. folgende weitere Maßnahmen vorgesehen werden:
- verstärkter Einsatz innovativer Anwendungen für die Rückverfolgung
und Überprüfung;
- Verstärkung der nachrichtendienstlichen Tätigkeit und bilaterale Abkommen
im Bereich der Strafverfolgung entlang der gesamten Lieferkette;
- Aufnahme von Bestimmungen zur Bekämpfung von Produktfälschungen in
neue Freihandelsabkommen;
- koordiniertes Vorgehen im Bereich des elektronischen Handels sowie Erlass besonderer
Vorschriften, um den Verkauf von Arzneimitteln und anderen sensiblen Produkten im Internet zu überwachen;
- Aufstellung besonderer Vorschriften für die Überwachung der Verkäufe
von Arzneimitteln, Lebensmitteln und anderen sensiblen Produkten über das Internet (in Zusammenarbeit mit
der EMA, Europol, der EFSA und der ENISA).
„Darüber hinaus brauchen wir Sensibilisierungsmaßnahmen“, so Mitberichterstatter Hannes Leo. „Es
ist wichtig, die Menschen nicht nur über die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken eines Kaufs gefälschter
Produkte zu informieren, sondern auch über die schrecklichen Umstände, unter denen diese Waren oftmals
hergestellt werden, darunter Zwangsarbeit und umweltschädliche Bedingungen. Außerdem müssen sie
darüber aufgeklärt werden, welchen Schaden Produktfälschung für unsere Wirtschaft und unsere
Arbeitsplätze bedeutet.“
Am stärksten von Produktfälschung betroffen waren im Zeitraum 2011 bis 2013 die Volkswirtschaften der
USA mit 20 %, gefolgt von Italien mit 15 %, Frankreich und der Schweiz mit jeweils 12 % sowie Japan und Deutschland
mit je 8 %.
Mehr zu dieser Stellungnahme und den vorgeschlagenen Maßnahmen gegen Produktfälschung und -piraterie
finden Sie hier >
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