IV-Vize-GS Koren: Breiter und robuster Aufschwung – Standortentwicklungsgesetz könnte
Rahmenbedingungen weiter verbessern – IV-Chefökonom Helmenstein: Breiter Konjunkturaufschwung erreicht seinen
Zenit – Fachkräftemangel als Wachstumsbremse
Wien (pdi) - „Ob geopolitische Konflikte, unsichere europapolitische Perspektiven oder unkonventionelle
wirtschaftspolitische Ansagen – nichts scheint den derzeitigen Aufschwung bremsen zu können. Wir können
uns über einen Konjunktursommer freuen“, erklärte der Vize-Generalsekretär der Industriellenvereinigung
(IV), Mag. Peter Koren, am 18.07. in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit IV-Chefökonom Dr. Christian Helmenstein
anlässlich der Vorstellung der Resultate des aktuellen IV-Konjunkturbarometers aus dem 2. Quartal 2017. So
würden momentan eine große Zahl von Wachstumszentren – angefangen von Indien und China über Australien
bis zum wieder erstarkenden europäischen Wirtschaftsraum – das Geschehen dominieren. „Wachstumsausfälle
wie in Brasilien, Russland oder der Türkei werden sogar überkompensiert, was wiederum die Robustheit
des Aufschwungs unterstreicht“, so Koren, der diesen Aufschwung nun abgesichert und dazu die Rahmenbedingungen
weiter positiv gestaltet sehen will: „Die Basis dafür könnte ein Standortentwicklungsgesetz (StEG) sein,
das die Festschreibung von Zielen und Grundsätzen zur integrierten Standortentwicklung enthält. Dabei
geht es um Energieversorgungssicherheit, den Ausbau der Dateninfrastruktur, die Qualität der Verkehrsinfrastruktur
– aber auch um die Erleichterung und Beschleunigung von Genehmigungen und damit die Realisierung wesentlicher Infrastruktur-Investitionen.“
Ein „Nationales Standortkomitee“ unter Federführung und Vorsitz durch Infrastruktur- (BMVIT) und Wirtschaftsministerium
(BMWFW) könne dann im Zuge eines jährlichen Standortentwicklungsrahmenplans die Umsetzung administrieren
und überwachen.
Für Österreich stellt die vergangene Halbdekade einen wirtschaftshistorischen Ausreißer dar. Zum
einen ist der Vier-Jahres-Zeitraum von 2012 bis 2015 als die längste Quasi-Stagnationsphase seit Gründung
der Zweiten Republik in die Annalen eingegangen. Zum anderen wurde selbige erst im Vorjahr durch eine großvolumige
Steuertarifreform im Tandem mit einer vertrauensstabilisierenden Wirtschaftspolitik überwunden. „Das bisherige
Muster einer zunächst von der Binnennachfrage getragenen Erholung fiel dementsprechend untypisch aus“, so
Helmenstein, der ergänzte: „Nun aber stellt sich das klassische konjunkturelle Déjà-vu ein.
Nachdem das erste Quartal 2017 den Beginn einer solchen Normalisierung mit erstmals seit dem zweiten Halbjahr 2014
wieder positiven Nettoexporten markierte, verzeichnet die österreichische Wirtschaft im zweiten Quartal 2017
heuer ihren ersten Konjunktursommer seit sechs Jahren.“
Dementsprechend steige das IV-Konjunkturbarometer, welches als Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen
Geschäftslage und der Geschäftslage in sechs Monaten bestimmt wird, nochmals von +34 Punkten auf +39
Punkte. „Damit übertrifft das IV-Konjunkturbarometer nunmehr die Ergebnisse der vorherigen Hochphase in den
Jahren 2010 und 2011 und erreicht seinen besten Wert seit neuneinhalb Jahren. Dennoch bleibt ein beträchtlicher
Abstand zu seinen historischen Höchstständen erhalten“, so der IV-Chefökonom.
Die Ergebnisse im Detail
„Die Aufwärtsdynamik hat inzwischen sämtliche Wirtschaftszweige erfasst und erfolgt daher breit abgestützt“,
wie Helmenstein erläuterte. „Allerdings wird sie während der Sommermonate ihren Zenit durchschreiten.“
Denn anders als in den beiden vorhergehenden Quartalen verbessert sich der Indikator für die aktuelle Geschäftslage
(+60 Punkte nach +48 Punkten) zwar nochmals kräftig, hingegen bilden sich die Geschäftserwartungen (+17
Punkte nach +21 Punkten) auf Sicht von sechs Monaten bereits leicht auf das zur Jahreswende vorherrschende Niveau
zurück. Für eine sich verbreitende Jubelstimmung, die auf ein konjunkturelles Überschießen
hindeuten könnte, fehlen alle Anzeichen. Der Anteil der Optimisten, die eine abermalige Verbesserung ihres
Geschäftsganges erwarten, bildet sich auf ein Fünftel aller Respondenten zurück, während der
Anteil der Pessimisten von tiefstem Niveau aus geringfügig zu steigen beginnt. Dieses Ergebnis lässt
trotz der latenten Unsicherheiten eine fortgesetzte konjunkturelle Expansion in Österreich auch im weiteren
Jahresverlauf erwarten, dessen Robustheit frühestens im Herbst auf die Probe gestellt werden könnte.
Abseits allfälliger geopolitischer Extremereignisse ist vor diesem Hintergrund für die österreichische
Wirtschaft mit einem Wachstum in Höhe von gut zwei Prozent im heurigen Jahr zu rechnen. Zugleich sollte es
der österreichischen Volkswirtschaft damit gelingen, im Jahresdurchschnitt zum Wachstumstempo der Eurozone
mindestens aufzuschließen. Weiterhin dazu beitragen wird die dynamische Entwicklung bei den meisten zentral-
und osteuropäischen Handelspartnern, deren reale BIP-Zuwächse im Jahresauftaktquartal 2017 zwischen 2,9
Prozent für Tschechien über 4,2 Prozent für Polen bis zu 5,6 Prozent für Rumänien reichten.
Zum nunmehr vierten Mal in Folge nach zuvor fünf Quartalen mit konsekutiven Rückgängen nehmen die
Gesamtauftragsbestände von +52 Punkten auf +60 Punkte zu. Diese Entwicklung unterstreicht die Erwartung einer
bis in den Herbst hinein reichenden kräftigen Expansion in Österreich. Etwas schwächer präsentiert
sich allerdings die Dynamik bei den Auslandsaufträgen, die von +48 Punkten auf +52 Punkte zulegen. Das aktuelle
Konjunkturmomentum ist trotz der anziehenden Exporte mithin nach wie vor zu einem guten Teil auf einen zurückgestauten
Nachholbedarf im Inland zurückzuführen, welcher derzeit abgebaut wird. Sofern sich die politischen Risken
nicht verschärfen und die Ertragsperspektiven intakt bleiben, lässt diese Konstellation in Verbindung
mit der verbesserten Auftragsreichweite anhaltende Impulse aus verstärkt vorzunehmenden Erweiterungsinvestitionen
erwarten.
Im Einklang mit der Expansion ihrer Auftragsbestände planen die Unternehmen eine abermalige Ausweitung ihrer
Produktionstätigkeit. Der saisonbereinigte Wert auf Sicht eines Quartals legt von +20 Punkten auf +24 Punkte
zu. Die Aufhellung des Stimmungsbildes hat sich im Vorquartal bei der Einstellungsneigung der Unternehmen mit einem
sprunghaften Anstieg des Saldos für den Beschäftigtenstand am stärksten positiv ausgewirkt. Aktuell
jedoch bildet er sich deutlich von +25 Punkten auf +17 Punkte zurück. Die Beschäftigungsexpansion in
der Industrie setzt sich somit fort, doch ist das zuvor intendierte Tempo offensichtlich nicht zu halten. Zurückzuführen
ist dies auf die sich verschärfende Knappheit an Fachkräften, insbesondere in den am stärksten industriell
geprägten Regionen Österreichs, sodass nur noch ein Viertel der Unternehmen erwartet, einen höheren
Beschäftigtenstand auch tatsächlich erreichen zu können. Abseits statistischer Effekte im Kontext
der Flüchtlingsmigration sollte vor diesem Hintergrund nicht nur die Beschäftigung in Österreich
in den kommenden Monaten weiter zunehmen, sondern auch die Arbeitslosigkeit spürbar zurückgehen.
Bei der Entwicklung der Verkaufspreise halten einander widerstreitende Einflüsse die Waage. Zwar schlagen
sich die international vorhandenen Überkapazitäten weiterhin in einem hohen Preisdruck bei industriell
erzeugten Produkten nieder, doch steigende Marktnotierungen für Industrierohstoffe erzwingen eine Kostenüberwälzung,
sodass ein Saldo von exakt 0 Punkten resultiert. Der Saldo der Ertragslage verharrt bei +28 Punkten nach zuvor
+27 Punkten und damit auf einem Niveau, das schon seit einem Jahr nahezu unverändert vorherrscht. Positive
Entwicklungen bei den Absatzmengen einerseits werden durch negative Entwicklungen bei den nicht zur Gänze
überwälzbaren Kostensteigerungen bei Vorprodukten andererseits kompensiert, während hohe administrative
Belastungen fortbestehen. Hingegen legen die Ertragserwartungen infolge der anhaltend guten Mengenkonjunktur innerhalb
des schon seit acht Jahren bestehenden Schwankungskorridors von +5 auf nunmehr +11 Punkte zu.
Strukturell betrachtet fällt Österreich im jüngsten IMD-Wettbewerbsfähigkeits-Ranking wieder
vom 24. auf den 25. Rang zurück. So wenig wie die Verbesserung im Vorjahr auf eigene Leistung zurückzuführen
war, so wenig gilt dies für die diesjährige Verschlechterung. China hat Österreich nach einem temporären
Rücksetzer im Vorjahr wieder überholt. Die österreichische Wettbewerbsfähigkeit liegt bei 83,3
Prozent des Wertes für den Bestplatzierten, heuer ist das wie im Vorjahr Hongkong, gefolgt von der Schweiz
und Singapur. Die jahrelange Erosion der österreichischen Wettbewerbsfähigkeit wurde also gestoppt, aber
aufgrund nach wie vor fehlender Strukturreformen tritt Österreich weiterhin im Mittelfeld auf der Stelle.
Im Ranking direkt vor Österreich liegen Malaysia und Belgien, schon mit Abstand weiter vorn auch Israel und
Australien. Unmittelbar hinter Österreich rangieren Japan und Thailand, gefolgt von Tschechien und Süd-Korea.
Die Position Österreichs ist nach unten recht gut abgesichert, aber eine Top-20-Platzierung wird kaum zu Beginn
der nächsten Legislaturperiode gelingen können. Dieser Befund ist ein Auftrag, der Standortqualität
Österreichs durch umfassende Strukturreformen politische Priorität zu geben.
Von zentraler Bedeutung, um die wirtschaftlichen Perspektiven Österreichs weiter zu verbessern, sind Fortschritte
in drei Handlungsfeldern: (a) die Wiedergewinnung des Vertrauens in die Planbarkeit der Standortbedingungen, (b)
der Abbau von Bürokratie und Überregulierung einschließlich der Arbeitszeitflexibilisierung sowie
(c) die Senkung der Steuer- und Abgabenlast.
Die IV-Konjunkturumfrage: Zur Befragungsmethode
An der jüngsten Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung beteiligten sich 403 Unternehmen mit rund 252.600
Beschäftigten. Bei der Konjunkturumfrage der IV kommt die folgende Methode zur Anwendung: den Unternehmen
werden drei Antwortmöglichkeiten vorgelegt: positiv, neutral und negativ. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten)
Prozentanteile dieser Antwortkategorien, sodann wird der konjunktursensible „Saldo“ aus den Prozentanteilen positiver
und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.
|