Riesen aus Krakau, Hostien und Stechwettkämpfe mitten im Grenzfluss und bayerisch-Salzburger
Volksmusikgruppen zeugen von Verbundenheit
Salzburg (lk) - Warum an bestimmten Sommertagen Tausende Menschen Salzburg zu Fuß über Hochgebirgswege
verlassen, warum turmhohe steirische Mannsbilder im Lungau Einreiseerlaubnis haben, warum Oberndorfer mit Heiligem
Brot auf dem Grenzfluss prozessieren und später ihre Laufener Nachbarn vom Boot schubsen und warum Salzburger
Volksmusikanten mit einem Bayerischen Kulturpreis geehrt wurden, verrät dieser Grenzfall.
Bräuche und Rituale folgen einer eigenen Logik. Sie verweigern sich dem Zeitgeist, erfinden sich bisweilen
neu und ignorieren Grenzen, ob traditionell oder künstlich.
Bis ins 16. Jahrhundert lässt sich die Pilgerwanderung über den Glockner, Salzburgs größte
Wallfahrt, zum Fest der beiden Apostel Petrus und Paulus Ende Juni verfolgen. Bis zu 5.000 Pilger überqueren
dabei die Alpen auf einem mehr als 30 Kilometer langen Pilgerpfad von Ferleiten bis nach Heiligenblut in Kärnten.
Gleich ins deutsche Ausland führt die Almer Wallfahrt von Maria Alm am Hochkönig über das Steinerne
Meer nach St. Bartholomä am bayerischen Königssee. Die älteste Hochgebirgswallfahrt Europas ist
seit 1635 belegt, als Salzburger Bürger zum Dank für die überstandene Pest erstmals im Namen des
Herrn über das Steinerne Meer pilgerten. Heuer wird die Staatsgrenze am 26. August pilgernd überschritten.
Lungauer Riesen mit steirischen Brüdern
Ins selbe Jahr datieren die Ursprünge des inzwischen als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannten Samson-Brauchs,
bei dem riesenhafte bis zu sieben Meter hohe und 85 Kilogramm schwere Heldenfiguren in Umzügen durch Lungauer
Dörfer zu bestaunen sind. Und wenn alle paar Jahre ein Gipfeltreffen der zehn Lungauer Samsone stattfindet,
gesellen sich zwei aus der angrenzenden steirischen – nicht polnischen - Krakau und der Gemeinde Murau dazu. Das
nächste Mal versammeln sich die Lungauer Riesen mit ihren zwei Kollegen aus dem Steirischen am 10. September
in Mauterndorf.
Turnierkämpfer und Hostien im kalten Grenzfluss
Nur fünf Jahre später als die ersten Samson-Beschreibungen wurde im Flachgauer Oberndorf erstmals ein
Turnier auf der Salzach ausgetragen. Genau genommen im heute bayerischen Laufen, Oberndorf war bis 1816 ein Stadtteil
auf der rechten Salzachseite. Beim Schifferstechen versuchen Mannschaften aus Oberndorf und Laufen auf flachen
Zillen mit Holzlanzen bewaffnet den Gegner ins kalte Wasser des Grenzflusses zu befördern. Das nächste
Spektakel dieser Art findet am 13. August statt.
Friedlicher geht es in Oberndorf beim "Himmelbrotschutzen" zu. Während der Fronleichnamsprozession
werden von einer Zille aus mit dem Ruder vier geweihte Hostien auf einem Kranz vorsichtig ins Salzachwasser gesenkt.
Bei dieser einzigartigen Wassersegnung, bei dem das "Himmelsbrot" im Wasser geschwenkt wird, steht der
Priester oberhalb segnend auf der 1903 errichteten Jugendstilbrücke exakt auf der Staatsgrenze, während
das „Landesfürstlich privilegierte Schifferschützen-Corps Oberndorf an der Salzach“, das 1278 gegründete
älteste Schützencorps des Landes, einen Ehrensalut abgibt. Die Teilnehmenden erhoffen sich dadurch Schutz
vor Wasserschäden der Schwesternstädte an der Salzach.
Grenzenloses Musizieren
Keineswegs selten, sondern im Grenzgebiet häufig anzutreffen ist die Besetzung von Gesangs- und Musikgruppen
mit Mitgliedern von "herent" und "drent". Manche wurden gleich grenzüberschreitend gegründet
wie die Göllwurzenmusi und die Wiesbach-Musikanten, andere wurden grenzüberschreitend erweitert wie die
ursprünglich urbayerische Rotofenmusi. Sie wurde 1978 gegründet und besteht aus Musikanten aus dem Berchtesgadner-
und Salzburger Land, die miteinander eine enge Musikantenfreundschaft verbindet. In selbstbewusstem Bairisch klingt
deren Selbstbeschreibung so: "Sie repräsentiert ah Weiterentwicklung in da Volksmusik und ned verwunderlich
homs dafia den Bayerischen Kulturpreis griagt."
Kurioses über Grenzen hinweg
Die Salzburger Grenzfälle
versammeln Kuriositäten rund um die Grenzen Salzburgs und bilden eine aufschlussreiche Lektüre zu Geschichte,
Landeskunde und Politik des Bundeslandes. Der Autor Stefan Mayer beschäftigt sich seit 2002 mit grenzfälligen
Besonderheiten in und um Salzburg. Er gestaltet die monatliche Serie "Grenzfälle", von der bereits
vier Bücher erschienen sind. Band 4 kann im Webshop des Landes um 6,90 Euro bestellt werden, digitale Versionen aller vier Bände stehen
dort zum kostenlosen Herunterladen zur Verfügung. Einzelne Grenzfall-Artikel können jederzeit abgerufen
werden.
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