Sozialdemokratische Zeitungen im Roten Wien. Von 7. 9. 2017 - 8. 4. 2018 im Waschsalon Karl-Marx-Hof
Wien (gamuekl) - Für die junge Arbeiterbewegung ist die eigene Zeitung weit mehr als bloßes Informationsmedium,
Propagandainstrument oder Werkzeug der Organisation. Die eigene Zeitung, sie ist eine scharfe Waffe und ein hohes
Gut, ein Versprechen für die Zukunft und die Verheißung einer "besseren Welt".
Nach Inkrafttreten des liberalen "Preßgesetzes" 1848 entstehen in ganz Österreich innerhalb
kürzester Zeit mehr als 300 periodische Druckwerke, darunter 86 Tageszeitungen. Die ersten Zeitungen, die
sich mit Arbeiterfragen beschäftigen, tragen so klingende Namen wie Der Ohnehose, Der Proletarier oder Der
Radikale. Doch erst Victor Adler gelingt es, mit der ab 1889 erscheinenden Arbeiter-Zeitung ein Blatt herauszugeben,
das den Titel "Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokratie" auch verdient: "In jedem
Lande ist die Leistung eines Arbeiterblattes unausgesetzter Kampf: Kampf gegen die Ausbeuterklasse und ihre Organe,
Kampf gegen die Übergriffe einzelner Ausbeuter, Kampf gegen den Feind, den wir am tiefsten hassen, gegen den
systematisch gezüchteten, mit allen gesetzlichen und ungesetzlichen Mitteln aufrechterhaltenen Unverstand
der Massen", so Victor Adler über die politische und erzieherische Aufgabe der Arbeiterpresse. In der
Ersten Republik mausert sich die Arbeiter-Zeitung unter ihrem Chefredakteur Friedrich Austerlitz zum politisch
führenden und auch international beachteten Blatt, zum "Herz, Hirn, Zentralnervensystem der gesamten
Bewegung", so der Autor Jacques Hannak.
Daneben entsteht im neuen Vorwärts-Verlag an der Rechten Wienzeile eine Reihe weiterer Publikationen: Für
die weibliche Leserschaft gibt es die Arbeiterinnen-Zeitung, Die Frau und Die Unzufriedene mit ihrem Motto "In
der Unzufriedenheit liegt der Fortschritt der Menschheit!". Für den "kleinen Mann" erscheint
Das Kleine Blatt mit der Comicfigur Tobias Seicherl, dem Prototyp des rabiaten, antimarxistischen und zutiefst
opportunistischen Kleinbürgers, für Kinder gibt es das Kinderland. Die "Bilderzeitung" Der
Kuckuck avanciert bald zur mit Abstand modernsten Illustrierten des Landes, theoretische Aufsätze finden sich
in der Monatsschrift Der Kampf. Victor Adler definiert im ersten Heft die Ziele: "Wir haben kein Bedürfnis,
eine Arena für theoretische Turniere zu eröffnen, aber wir brauchen dringend ein Organ der Selbstverständigung,
einen Boden für unbefangene und nicht verpflichtende Meinungsäusserung, für den Austausch von Gedanken,
die noch lange nicht bindende Parolen sind, eine Werkstatt für die innere Arbeit der Partei an sich selbst."
Darüber hinaus verfügen auch die einzelnen Gewerkschaften sowie die zahlreichen der Sozialdemokratie
nahestehende Vorfeld- und Unterorganisationen - wie die Naturfreunde, die Arbeiter-Esperantisten oder die Arbeiter-Radfahrer
- über eigene Publikationen.
1930 erscheint im Kampf eine Übersicht über die Parteipresse: "Die Zusammenfassung zeigt, daß
wir 127 Blätter mit insgesamt sechstausend Millionen oder sechs Milliarden Oktavseiten in einem Jahre bedrucken,
das sind etwa 620 Eisenbahnwaggons oder 12 Züge mit Papier gefüllt. […] Wenn wir also ein Buch mit durchschnittlich
250 Seiten annehmen, drucken wir also für jeden österreichisch klassenbewußten Arbeiter als Parteipresse
40 stattliche Bücher."
"Die meisten Arbeiter wählen sich heute noch selbst Blätter zur Lektüre, die ihnen bei jeder
Gelegenheit frech ins Gesicht spucken."
(Volkstribüne, 17. Oktober 1892)
"Nicht nur die Presse, die es verdient, hat das Volk: die Presse, die es hat, will es auch."
(Friedrich Austerlitz in Der Kampf, März 1926)
"Die Arbeiter-Zeitung war im Grunde eine täglich erscheinende politisch-kulturelle Revue; sie war
vor allem der leidenschaftliche Anwalt der Arbeiterklasse, der Herold ihrer Verheißungen."
(Julius Braunthal, Auf der Suche nach dem Millennium, 1964)
"Das tägliche Wunder begibt sich, daß die Zeitung ,viereckig' wird."
(Emil Kralik, Arbeiter-Zeitung, 28. Februar 1932)
"Nicht alles, was man verstehen kann, ist banal."
(Otto Bauer)
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