Zürich/Wien (universität) - WissenschafterInnen um Martin Pilhofer von der ETH Zürich und Matthias
Horn von der Universität Wien haben bei einer Bakterienart winzige Dolche entdeckt, mit denen diese sich gegen
ihre Fressfeinde, die Amöben, wehren können. Dabei konnten die ForscherInnen auch die dreidimensionale
Struktur der Vorrichtung zum schnellen Ausfahren dieser Mikro-Dolche entschlüsseln. Die Ergebnisse dazu erscheinen
aktuell im Fachmagazin "Science".
Bakterien müssen sich vor Amöben in Acht nehmen, denn für hungrige Amöben gelten sie als beliebte
Beute. Sie fangen sie mit ihren Scheinfüsschen und verdauen sie. Vor kurzem aber haben WissenschafterInnen
um Matthias Horn vom Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien mit
Amoebophilus ein Bakterium entdeckt, das im Inneren von Amöben überleben kann. Gemeinsam mit ForscherInnen
der ETH Zürich haben sie einen Mechanismus gefunden, von dem sie annehmen, dass er für das Überleben
von Amoebophilus zentral ist. Das Bakterium besitzt Mikro-Dolche und geeignete Ausfahrvorrichtungen für diese.
Mit den Dolchen kann es im Inneren der Amöben dem Verdautwerden entkommen.
Befreiung aus dem Amöbenmagen
Aufgenommene Bakterien befinden sich in den Amöben in einem spezialisierten und von einer Membran umgebenen
Verdauungskompartiment. Die Ausfahrvorrichtung besteht aus einem Mantelrohr, das über eine Grundplatte und
eine Verankerung innen an der Membran des Bakteriums befestigt ist. Das Mantelrohr steht unter Federspannung, und
in dessen Inneren liegt der Mikro-Dolch. Zieht sich das Mantelrohr zusammen, wird der Dolch durch die Bakterienmembran
extrem schnell nach aussen gedrückt.
"Unsere Forschungsresultate legen nahe, dass die Bakterien in der Lage sind, die Dolche in diese Membran zu
stoßen", sagt Désirée Böck von der ETH-Zürich, Doktorandin und Erstautorin der
Studie. Dies führt dazu, dass das für die Bakterien unwirtliche Kompartiment zerfällt und die Bakterien
freigibt. Ausserhalb des Verdauungskomplexes, aber immer noch im Innern der Amöben, können die Bakterien
überleben und sich sogar vermehren.
Wie genau das Verdauungskompartiment zerstört wird, ist noch nicht bekannt. Möglicherweise reißt
die Hülle aus mechanischen Gründen von alleine. "Denkbar ist aber auch, dass die Dolche der Amoebophilus-Bakterien
mit einer Art Pfeilgift – mit membranabbauenden Enzymen – imprägniert sind. Im Erbgut der Bakterien sind die
Bauanleitungen für solche Enzyme vorhanden", so Han-Fei Tsao, Doktorand im Team um Matthias Horn.
Präzisionsfräsen
Mit einer ganz neuen Methode, die erst von einer Handvoll Forschungslabors weltweit angewandt wird, konnten
die WissenschafterInnen die dreidimensionale Struktur der Dolche hochauflösend darstellen. Mittels eines fein
fokussierten Ionenstrahls haben die ForscherInnen die Amöbe und einen Großteil des Bakteriums weggefräst
und so die molekularen Dolche und ihre Abschussvorrichtungen freigelegt, um davon schliesslich ein dreidimensionales
Elektronentomogramm zu erstellen.
Erstes Bild der Gesamtstruktur
Mit einer Dolch-Ausstoßvorrichtung verwandte Systeme gibt es auch andernorts in der Biologie: Manche
auf die Infektion von Bakterien spezialisierte Viren (Bakteriophagen) injizieren mit solchen Systemen ihr Erbgut
in Mikroorganismen. Es gibt sogar Bakterien, die solche Mikroapparate in die Umgebung absondern können, wo
sie konkurrierende Mikroorganismen bekämpfen. In ihrer Arbeit ist es den WissenschafterInnen erstmals gelungen,
die gesamte räumliche Struktur einer Ausstoßvorrichtung im natürlichen Kontext sowie die Grundplatte
ihrer Verankerung darzustellen.
Bisher bekannte Mikro-Injektionsapparate treten einzeln auf. Das Forschungsteam aus Zürich und Wien hat in
Amoebophilus nun erstmals Apparate gefunden, die in Bündeln bis zu rund 30 solcher Apparate vorkommen, ähnlich
mehrläufigen Gewehren. "Die entsprechenden Gene haben grosse Ähnlichkeit mit jenen der Injektionssysteme
von Bakteriophagen", ergänzt Horn. "Wir gehen davon aus, dass sich die Gene von Vorläufern
heutiger Bakteriophagen vor langer Zeit ins Erbgut der Bakterien eingenistet haben und als Verteidigungssystem
gegen Amöben umfunktioniert haben."
Bei weiteren Bakterien ebenfalls vorhanden
Die Erbgutvergleiche legen nahe, dass die neuentdeckten Mikro-Dolche nicht nur bei Amoebophilus vorkommen,
sondern darüber hinaus bei zahlreichen weiteren Bakterienarten aus mindestens neun der wichtigsten Bakteriengruppen.
Ob diese Bakterien ihre Dolche ebenfalls ausfahren können, um nicht von Amöben verdaut zu werden, oder
ob die Dolche noch ganz anderen Zwecken dienen, ist nun Ziel der weiteren Forschungsarbeit.
Publikation in Science
Böck D, Medeiros JM, Tsao HF, Penz T, Weiss GL, Aistleitner K, Horn
M, Pilhofer M: In situ architecture, function, and evolution of a contractile injection system. Science
DOI: 10.1126/science.aan7904
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