Innsbruck (universität) - Sie ist eine der größten Braunalgen der Welt und hat ein „winziges“
Problem: Der so genannte bull kelp wird von einem Parasiten befallen, der handtellergroße gelbe Gallen verursacht.
Dieses unübersehbare Phänomen betrifft etwa 10 Prozent des Bestandes und ist seit mehr als 40 Jahren
bekannt, wurde aber bisher nicht beschrieben. Die Mikrobiologin Dr. Sigrid Neuhauser konnte nun den Verursacher
ausmachen: Ein bislang unbekannter Einzeller aus der Gattung der so genannten Phytomyxea.
Der bis zu zehn Meter lange bull kelp, eine Seetangart aus der Gattung der Braunalgen (Durvillea antarctica), bildet
vor allem in der südlichen Hemisphäre riesige Tangwälder, auch bekannt als die „Wälder der
Meere“. Der Vergleich mit einem Wald macht auch ihre wirtschaftliche und ökologische Bedeutung deutlich. Als
Lebensmittel, in Medizin und Kosmetik oder sogar als Treibstoff der Zukunft: Algen haben sich gerade in den letzten
Jahren immer mehr zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. Noch wichtiger ist aber ihre Funktion im Ökosystem:
Tangwälder nehmen Einfluss auf Meeresströmungen und sind ein wichtiger Lebensraum für zahlreiche
Meeresbewohner. Umso wichtiger ist ein Verständnis der Probleme dieser vielfältigen Lebewesen. „Vergleichbar
mit Pflanzen haben auch Algen mit Parasitenbefall zu kämpfen, allerdings ist bei Algen die Forschung im Hinblick
auf die Identifikation und Bekämpfung noch am Anfang“, erklärt Sigrid Neuhauser vom Institut für
Mikrobiologie der Uni Innsbruck. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutsamkeit rücken Algen nun auch in dieser
Hinsicht immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses.
Alltägliches Phänomen in Chile
„Befallene Teile des riesigen Tangs sind mit handtellergroßen, dunkelgelben und sehr harten Gallen überzogen“,
erzählt Sigrid Neuhauser. In Chile beispielsweise werden derartige Stücke immer wieder an die Strände
angespült und sind vor allem Fischern bestens bekannt. Vor Ort ist der Seetang ein wichtiges Nahrungsmittel
und wird stark befischt. Fischer kennen also dieses Problem schon seit Jahrzehnten und werfen befallene Teile wieder
zurück ins Meer. „Die harten Wucherungen führen zu einer Destabilisierung des Tangs, er reißt viel
leichter ab und ist natürlich ungenießbar. Was es aber genau ist, das diese auffälligen Merkmale
entstehen lässt, war bislang nicht klar“, erzählt Neuhauser. Kollegen aus Chile wollten dieser Ungewissheit
ein Ende bereiten und wandten sich mit dem Verdacht, dass es sich beim Befall der Alge um jene Art von Parasiten
handeln könnte, für die Sigrid Neuhauser als Expertin gilt, an das Institut für Mikrobiologie. Der
Verdacht bestätigte sich, in Innsbruck konnte die Mikrobiologin den Verursacher der Gattung der so genannten
Phytomyxea zuordnen.
Winzige Schädlinge
„Phytomyxea sind einzellige Organismen, die sich in der Evolutionsgeschichte als eigenständige Gruppe völlig
unabhängig von Tieren, Pflanzen, Algen oder Pilzen entwickelten und somit mit keiner bekannten Gruppe verwandt
sind. Sie kommen von Böden bis zum Meer überall vor, sind bisher aber wenig erforscht, obwohl sie großen
Schaden anrichten können“, sagt Sigrid Neuhauser. Die Beschreibung, die die Wissenschaftlerin für die
einzelligen Parasiten wählt, lautet „kleine Aliens“. Durchaus passend, wenn man einen Blick auf ihr Vorgehen
bei einem Befall wirft: Sobald die Einzeller ihren Wirt gefunden haben, beginnt der Infektionsprozess: Im Fall
des bull kelp heften sie sich an die Oberfläche an, bilden einen Stachel bzw. ein Rohr und injizieren sie
sich selbst in die Zellen, vergleichbar mit einer Spritze. „Ist das geschafft, beginnt die Zellteilung und die
Infektion des Gewebes, die sich bei der Braunalge in der Ausbildung der gelben Gallen äußert. Der wenige
tausendstel Millimeter große Parasit ist also in der Lage, eine der größten Algen der Erde zu
befallen und massiv zu schädigen“, so Neuhauser. Innerhalb der Phytomyxea ist die beschriebene Art außerdem
eine bisher unbekannte. Sigrid Neuhauser einigte sich mit ihren internationalen Kolleginnen und Kollegen auf die
Bezeichnung Maullinia braseltonii.
Bekämpfung?
Konkrete Strategien zur Bekämpfung dieser Parasiten gibt es im Moment noch nicht. „Wir müssen die Arten
zunächst besser verstehen lernen. Den Fischern vor Ort haben wir aber empfohlen, die befallenen Teile der
Alge zumindest nicht mehr zurück ins Meer zu werfen, da sie sich sonst natürlich weiterverbreiten. Aufgrund
der Größe und Festigkeit können auch abgerissene Teile des Tangs tausende Kilometer weit driften
und an anderen Stellen der Erde Tangwälder infizieren“. Dass das bereits geschehen ist, zeigen Meldungen über
Funde aus anderen Ländern wie die Färöer-Inseln, Neuseeland oder sogar Australien. Künftige
Bekämpfungsstrategien sieht Neuhauser vor allem in der Züchtung besonders resistenter Individuen, weniger
in der direkten Behandlung bereits befallener Algen. „Diese Strategien stehen aber alle noch am Anfang. In der
Schädlingsbekämpfung ist alles auf Pilze und Bakterien ausgerichtet, das funktioniert bei den Phytomyxea
aber leider nicht“.
Die gebürtige Tirolerin Sigrid Neuhauser wurde 2014 für ihr Projekt „Hi-Phy: Interaktionen von Phytomyxea
und ihren Wirten – Untersuchungen basierend auf Transkriptom Analysen und In-Situ Transkript Visualisierung“ mit
dem START-Preis des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) ausgezeichnet. Diese finanzielle
Starthilfe von bis zu 1,2 Mio Euro ist die höchste Auszeichnung für Nachwuchswissenschaftler in Österreich.
Die Tirolerin strebt eine Klärung grundlegender Mechanismen der Interaktion zwischen Parasiten und ihren Wirten
an und steht in engem Austausch mit Forschern aus aller Welt.
Weitere Informationen:
Publikation (open access):
Maullinia braseltonii sp. nov. (Rhizaria, Phytomyxea, Phagomyxida): A Cyst-forming Parasite of the Bull Kelp Durvillaea
spp. (Stramenopila, Phaeophyceae, Fucales). Pedro Murúa, Franz Goecke, Renato Westermeier, Pieter van West,
Frithjof C. Küpper, Sigrid Neuhauser. Protist, August 2017. DOI 10.1016/j.protis.2017.07.001.
https://authors.elsevier.com/sd/article/S1434461017300573
Der mögliche Einfluss auf ihren Wirt und mehr Information zu Phytomyxea und Algenparasiten wurde kürzlich
in der „Top 10“ Serie von Review Artikeln des renommierten Fachmagazins „Molecular Plant Pathology“ veröffentlicht.
Hier werden wichtige Parasiten von Pflanzen und Algen vorgestellt, die eine große wirtschaftliche Bedeutung
haben.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/mpp.12580/full
Sigrid Neuhauser war zu Gast in „Zeit für Wissenschaft”, dem Podcast der Uni Innsbruck. Im Gespräch erzählt
sich mehr über ihre Leidenschaft für Parasiten und gibt Einblicke in eine unvorstellbar kleine Welt:
https://www.uibk.ac.at/podcast/zeit/sendungen/zfw014.html
Sigrid Neuhauser
https://www.uibk.ac.at/microbiology/team/neuhauser_sigrid/
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