Forscher entschlüsseln neuen Mechanismus der Genexpression
Wien (imba) - Forscher am Wiener IMBA –Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften – sind den molekularen Abwehrstrategien der Zelle gegen Genomparasiten auf der Spur.
Nun konnten sie einen neuen Mechanismus nachweisen, bei dem Zellen ihre eigenen Gene „hacken“ um die konventionellen
Regeln der Genexpression zu umgehen, wie das Fachmagazin Nature aktuell berichtet.
Die DNA aller Organismen – vom Hefepilz bis zum Menschen – enthält den Bauplan, sozusagen die „Gebrauchsanleitung“
des Lebens. Doch nur etwa 2% der menschlichen DNA trägt die tatsächliche Information der körpereigenen
Gene. Erstaunliche zwei Drittel unseres Genoms bestehen aus „egoistischen“ Genen und deren Relikten. Diese sogenannten
Transposons verhalten sich parasitisch und folgen ihrer eigenen Dynamik, die nicht immer im Interesse des Wirtes
ist. Um sich zu vermehren, bauen sie Kopien von sich an anderen Stellen des Genoms ein, was die Funktion eines
körpereigenen Gens stören und somit Krankheiten auslösen kann. Doch Transposons sind auch eine wichtige
Triebfeder für evolutionäre Prozesse, indem sie Mutationen verursachen und die Erbinformation durchmischen.
Vielfältige Abwehrstrategien gegen Genomparasiten
Alle Organsimen haben effektive Abwehrsysteme eingerichtet, um Genomparasiten in Schach zu halten. Bakterien
etwa verwenden CRISPR Systeme — berühmt geworden durch die Genschere Cas9 — um Viren und andere eindringende
fremde DNA zu zerstören. Die Keimzellen von Tieren verfolgen dabei einen anderen Trick, um Genparasiten lahm
zu legen. Sie legen die Stellen im Genom an denen ein Gen-Parasit sitzt einfach still. Dazu verwenden sie kleine
RNAs, die sogenannten piRNAs, die in ihrer Sequenz „deckungsgleich“ mit Transposons sind. Als Konsequenz können
Transposons ihre schädliche Wirkung nicht mehr entfalten. Ohne piRNAs würden hunderte von Transposons
reaktiviert werden, die DNA wäre massiv geschädigt, und der Organismus wäre steril.
Das System hat allerdings eine Schwachstelle: piRNAs sind selber im Genom kodiert, und zwar genau an den Stellen,
die voller Transposon-Abschnitte sind. Wie können piRNAs also hergestellt werden, obwohl sie ihren eigenen
Ursprungsort lahmlegen?
Die Forschungsgruppe rund um Julius Brennecke ist genau diesem Rätsel auf der Spur und erforscht das Wettrennen
zwischen Genomparasiten und Wirtsschutzmechanismen anhand der Fruchtfliege. Erst vor kurzem konnte das Team nachweisen,
wie und wo piRNAs in der Zelle richtig zugeschnitten werden, damit sie genau auf die Transposons passen, die es
lahmzulegen gilt. Nun haben die Forscher einen neuen Mechanismus entdeckt, bei dem Zellen ihre eigenen Gene „hacken“,
um die klassischen Regeln der Genexpression zu umgehen.
Die „Gen-Hacks“ der Zelle zum Schutz des Genoms
Der neuentdeckte Signalweg erklärt, wie Regionen im Genom für die piRNA-Produktion aber nicht für
die Transposons selber abgelesen werden kann. Beim herkömmlichen Weg der Genexpression aktivieren Proteine,
sogenannte Transkriptionsfaktoren, einen bestimmten DNA Abschnitt, der dann abgelesen wird. Dies funktioniert aber
nur, wenn es freien Zugang zur DNA gibt. Dieser jedoch wird durch die Wirkung der piRNAs in Transposonbereichen
effektiv blockiert, indem Histon-Proteine, welche DNA verpacken mit bestimmten Signalen versehen werden. Wie die
Forscher aktuell in der Zeitschrift Nature berichten, benutzt das piRNA System genau diese Histon-Signale, um die
„verpackten“ Gene abzulesen. Vor mehreren Millionen Jahren hat sich ein Protein, welches Histon-Signale zum Lahmlegen
der DNA verwendet, verdoppelt. Das neue Schwesterprotein hat sich dann darauf spezialisiert, Proteine zum DNA-Ablesen
anstatt zum DNA-Lahmlegen zu rekrutieren.
Peter Andersen, Erstautor der aktuellen Studie erklärt: „Der Signalweg, der in den Geburtsstätten der
piRNAs aktiv ist, verbindet durch diesen Trick zwei gegensätzliche Systeme, nämlich Gen-Aktivierung mit
Gen-Abschaltung. Wie manche Bastler aus vorgefertigten IKEA Bestandteilen Möbel mit völlig neuen Funktionen
bauen, genauso werden bei diesem Gen-‚Hack’ Gene aneinandergekoppelt und umfunktioniert.“
Das Forschungsteam am IMBA konnte so ein „Henne und Ei“ Problem lösen und erklären, wie die unzähligen
piRNAs, die unser Genom schützen, genau von jenen Bereichen der DNA gebildet werden, die sie eigentlich stilllegen.
„Wir konnten mit dieser Arbeit erstmals zeigen, wie Zellen selbst auf verpackte DNA zugreifen können und wie
sie so die Regeln der Genexpression neu schreiben,“ berichtet Julius Brennecke, IMBA Gruppenleiter und Letztautor
der Studie. Brennecke geht davon aus, dass ähnliche Systeme „unkonventioneller“ Genexpression im andauernden
Kampf zwischen Wirtsgenom und Genomparasiten weit verbreitet sind.
Über IMBA
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie gehört zu den führenden biomedizinischen Forschungsinstituten
in Europa. Im Fokus stehen medizinisch relevante Fragestellungen aus den Bereichen Stammzellbiologie, RNA-Biologie,
Molekulare Krankheitsmodelle und Genetik. Das Institut befindet sich am Vienna Biocenter, einem dynamischen Konglomerat
aus Universitäten, akademischer Forschung und Biotechnologie-Unternehmen. Das IMBA ist ein Tochterunternehmen
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der führenden Trägerin außeruniversitärer
Forschung in Österreich. http://www.imba.oeaw.ac.at
Über das Vienna Biocenter
Das Vienna Biocenter (VBC) ist Wiens größter Life Science-Standort und ein Zentrum molekularbiologischer
Spitzenforschung. Neben sechs Institutionen, die sich insbesondere der Grundlagenforschung widmen, befinden sich
gegenwärtig 17 Unternehmen am Standort in Neu Marx. Mehr als 1.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie
1.300 Studierende machen das VBC zu einem Hotspot innovativer Zugänge in den Lebenswissenschaften. Im wissenschaftlichen
Bereich sind das GMI, das IMBA, das IMP und die Max F. Perutz Laboratories die Aushängeschilder des Vienna
Biocenter. Die VBCF (Vienna Biocenter Support Facilites) bieten wissenschaftliche Infrastruktur auf höchstem
Niveau an.
Originalpublikation: 'A heterochromatin-dependent
transcription machinery drives piRNA expression', Andersen at al., Nature DOI: 10.1038/nature23482
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