Simon Stellmervon der TU Wien wird mit einem hochdotierten ERC Starting Grant ausgezeichnet.
Er wird nun mit ultrakalten Quecksilber-Atomen fundamentale Symmetrien der Natur untersuchen.
Brüssel/Hamburg/Innsbruck/Wien (tu wien) - Warum gibt es überhaupt Materie im Universum? Die Frage
ist bis heute nicht vollständig beantwortet. Unser Verständnis vom Urknall geht davon aus, dass damals
genauso viel Antimaterie wie Materie entstanden ist. Doch Materie und Antimaterie löschen einander aus. In
einem Universum, in dem ein perfektes Gleichgewicht zwischen Teilchen und Antiteilchen herrscht, hätten sich
Materie und Antimaterie bereits vor langer Zeit gegenseitig vernichtet. Unsere Existenz ist der Beweis dafür,
dass dieses Gleichgewicht – Physiker sprechen dabei von fundamentalen Symmetrien – verletzt ist.
Simon Stellmer vom Atominstitut der TU Wien möchte nun mit einem ausgeklügelten Präzisionsexperiment
der Verletzung dieser Symmetrie auf die Spur kommen. Dazu verwendet er Quecksilber-Atome und eine Reihe von Technologien
aus der Quantenphysik. Ermöglicht wird seine Forschung durch einen ERC Starting Grant, eine der höchstdotierten
und prestigeträchtigsten Forschungsförderungen in Europa.
Symmetrien lassen sich mit Elementarteilchen studieren
Ein sehr effizienter Mechanismus, der zu einem Ungleichgewicht in der Zahl der Teilchen und Antiteilchen führen
kann, ist die sogenannte Verletzung der CP-Symmetrie. Dabei bedeutet CP Symmetrie, dass sich die Naturgesetze nicht
ändern, wenn man den Raum spiegelt und gleichzeitig positive und negative Ladungen vertauscht. Diese Symmetrie
gilt in unserem Universum jedoch nicht exakt: Sie ist ganz leicht verletzt.
„Das Ausmaß der CP-Verletzung, die das Standardmodell der Teilchenphysik vorhersagt, kann das Ungleichgewicht
zwischen Materie und Antimaterie allerdings nicht erklären“, sagt Simon Stellmer. „Es ist um mindestens sechs
bis acht Größenordnungen zu klein.“ Die Theorie des Standardmodells muss also erweitert werden. Dazu
sollte zunächst geklärt werden, wie groß das Ausmaß der CP-Verletzung im Universum nun tatsächlich
ist. Und das gelingt am besten, indem man winzige Elementarteilchen untersucht.
„Es zeigt sich, dass die CP-Verletzung zu einer Asymmetrie in der Ladungsverteilung bei kleinen Teilchen führt“,
erklärt Simon Stellmer. Die elektrische Ladung der Elementarteilchen ist dann nicht völlig symmetrisch
verteilt, sondern leicht in eine bestimmte Richtung verzerrt – man spricht dann von einem elektrischen Dipolmoment.
„Es bedeutet, dass die Elementarteilchen, etwa Elektronen, in Wahrheit nicht exakt rund sind“, sagt Simon Stellmer.
Immer wieder hat man versucht, das zu messen – bei Elektronen, Neutronen und auch bei Atomen, doch bisher ist es
nicht gelungen, eine Verletzung der Symmetrie zu erkennen, die Teilchen sehen auch bei sehr genauem Hinsehen exakt
rund aus. „Die Messgenauigkeit genügt einfach noch nicht“, sagt Simon Stellmer. „Aber wenn wir noch ein bisschen
präziser messen als bisher, sollte es bald zumindest möglich sein, all jene Theorien zu widerlegen, die
ein besonders starkes Ausmaß der CP-Verletzung vorhersagen, zum Beispiel bestimmte Supersymmetrie-Theorien.“
Ultrakalte Quecksilber-Atome
Messen möchte Simon Stellmer das nun mit Quecksilber-Atomen: „Wir brauchen Atome, die schwer sind, aber nicht
radioaktiv, und die man mit Lasern kühlen kann – dafür ist Quecksilber die beste Lösung.“ Versuche,
das elektrische Dipolmoment von Quecksilber-Atomen zu vermessen, gab es bereits, doch Stellmer will diese Experimente
nun grundlegend weiterentwickeln: „Wir bringen die Quecksilber-Atome ins Quantenlabor und kühlen sie bis knapp
über den absoluten Nullpunkt ab, so haben wir die bestmögliche Kontrolle und wollen eine deutlich bessere
Genauigkeit erzielen als es mit bisher verfügbaren Methoden möglich war.“
Hamburg, Innsbruck, Wien
Die zahlreichen technischen Tricks, die dafür nötig sind, kennt Simon Stellmer wie kaum ein anderer:
Als er an der Universität Innsbruck an seiner Dissertation arbeitete, gelang es ihm, das erste Bose-Einstein-Kondensat
aus ultrakaltem Strontium herzustellen. Studiert hatte er vorher in seiner Geburtsstadt Hamburg, nach seiner Dissertation
in Innsbruck wechselte er 2013 ans Atominstitut der TU Wien. Nun wird er mit dem ERC-Grant der Europäischen
Union, dotiert mit 2 Mio. Euro, seine eigene Forschungsgruppe aufbauen und in den nächsten fünf Jahren
versuchen, den geheimnisvollen Symmetrien des Universums auf die Spur zu kommen.
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