PhysikerInnen messen physikalische Eigenschaften von Vitaminen
Wien (universität) - In der Quantenphysik breiten sich unbeobachtete Teilchen wie ausgedehnte Wellen
im Raum aus. Dieses Phänomen ist philosophisch spannend und von technologischer Relevanz: Ein Forschungsteam
der Universität Wien um Markus Arndt konnte an einer Reihe von Vitaminen zeigen, dass die Kombination von
experimenteller Quanteninterferometrie und Quantenchemie erlaubt, Informationen über die optischen und elektronischen
Eigenschaften von Biomolekülen zu gewinnen – mittels eines "Quantenlineals". Die Ergebnisse wurden
im renommierten Journal "Angewandte Chemie International Edition" publiziert.
Obwohl Vitamine eine zentrale Rolle in der Biologie spielen, sind ihre physikalischen Eigenschaften in der Gasphase
noch wenig untersucht. Lukas Mairhofer, Sandra Eibenberger und KollegInnen in der Forschungsgruppe um Markus Arndt
zeigen das Potenzial quantenbasierter Methoden zur Untersuchung von Biomolekülen. Sie erzeugten dafür
Molekülstrahlen aus den (Pro)Vitaminen A, E und K1 – also ß-Carotin, a-Tocopherol und Phyllochinon.
Diese Moleküle fliegen im Hochvakuum durch eine Anordnung von drei Nanogittern. Das erste Gitter zwingt jedes
Molekül durch einen von tausenden Spalten, die nur 110 Nanometer breit sind. Die Einengung der Position des
Moleküls sorgt nach Heisenbergs Unschärferelation für eine große Unbestimmtheit seiner Ausbreitungsrichtung
– das Molekül wird räumlich "delokalisiert". Der Bewegungszustand jedes einzelnen Moleküls
wird so präpariert, dass es prinzipiell nicht mehr möglich ist, seinen Weg durch das Experiment zu verfolgen.
Das zweite Gitter ist der Strahl eines grünen Hochleistungslasers, der von einem Spiegel in sich selbst reflektiert
wird. Dadurch bildet sich eine stehende Lichtwelle, bei der sich periodisch Regionen hoher Lichtintensität
mit Dunkelheit abwechseln. Jedes Molekül ist am zweiten Gitter schon so weit delokalisiert, dass seine Wellenfunktion
mehrere Hell- und Dunkelzonen überstreicht, obwohl diese hundert Mal weiter auseinanderliegen als das Molekül
groß ist. In den Zonen mit mehr und weniger Licht wird das Molekül mehr oder weniger abgelenkt und die
ausgedehnte quantenmechanische Wellenfront wird moduliert. Da das Molekül nicht nur einen Pfad nimmt, sondern
in einer Überlagerung von möglichen Wegen durch die Apparatur läuft, entsteht ein Interferenzmuster,
d.h. eine periodische Verteilung der Wahrscheinlichkeit, das Molekül an einem bestimmten Ort anzutreffen.
Dieses wird mit dem dritten Gitter verglichen, das wie das erste aus Silizium-Nitrid gefertigt ist.
Quanten-Lineal für Biomoleküle
Die ultra-feine Struktur des Interferenzmusters wird als eine Art Quantenlineal verwendet, das es erlaubt,
winzige Ablenkungen von wenigen Nanometern auszulesen. Die Modulation und Position des Interferenzmusters lässt
Schlüsse auf die Wechselwirkung der Biomoleküle mit äußeren Feldern zu. Das gilt für
die Wechselwirkung sowohl mit dem beugenden Laserstrahl als auch mit einem kontrollierten elektrischen Feld, welches
das molekulare Dichtemuster verschiebt. Die WissenschafterInnen nutzen das Quantenlineal zur Bestimmung elektronischer
und optischer Eigenschaften biologisch relevanter Moleküle der (Pro)Vitamine A, E und K1. Pro-Vitamin A spielt
beispielsweise eine wichtige Rolle in der Photosynthese. "Wir haben hiermit ein universelles Werkzeug, das
uns hilft, die Eigenschaften von Biomolekülen besser zu vermessen", so der Erstautor der Studie, Lukas
Mairhofer.
Vergleich mit Molekülsimulationen
Die experimentellen Ergebnisse wurden mit Berechnungen elektronischer Moleküleigenschaften verglichen.
Dafür wurde klassische Moleküldynamik, in der die zeitliche Entwicklung der Molekülstruktur verfolgt
wird, mit Dichtefunktionaltheorie kombiniert, in der die elektronischen Eigenschaften berechnet werden. Dieses
Vorgehen ergibt eine gute Übereinstimmung von Experiment und Theorie. Die Kombination von Molekülinterferometrie
und Quantenchemie ist somit ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit an der Schnittstelle zwischen
Quantenoptik und Physikalischer Chemie.
Zur animierten Version des Experiments:
http://www.quantumnano.at/popular-science/
Sie können Teile des Experiments auch online selber nachspielen:
http://www.quantumnano.at/popular-science/quantum-games-training/
Das Projekt wurde gefördert von: European Research Council FP 7 Ideas im Adv. Grant: PROBIOTIQUS No 320694
FWF Doctoral Program Complex Quantum Systems W12-03-N25
Publikation in "Angewandte Chemie International Edition": Lukas Mairhofer, Sandra Eibenberger, Joseph P. Cotter, Marion Romirer, Armin Shayeghi,
und Markus Arndt: "Quantum-assisted metrology of neutral vitamins in the gas-phase", Angew. Chem. Int.
Ed. 2017, 56 (2017); DOI: 10.1002/anie.201704916
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