Innsbruck (lk) - Bald schon wollen Physiker mit Hilfe von Quantensimulatoren Probleme lösen, an denen herkömmliche
Computer scheitern. Dafür benötigen sie aber neue Werkzeuge, um sicherzustellen, dass die Simulatoren
richtig arbeiten. Innsbrucker Forscher um Rainer Blatt und Christian Roos haben nun gemeinsam mit Forschern der
Universitäten Ulm und Strathclyde ein neues Verfahren im Labor umgesetzt, mit dem auch komplexe Quantenzustände
effizient charakterisiert werden können. Die Matrix-Produkt- Zustands-Tomographie könnte zu einem neuen
Standardwerkzeug für Quantensimulatoren werden.
Viele Phänomene der Quantenwelt lassen sich im Labor nicht direkt untersuchen, und auch Supercomputer scheitern
beim Versuch, sie zu simulieren. Wissenschaftler sind heute aber in der Lage, verschiedene Quantensysteme im Labor
sehr präzise zu kontrollieren. Diese können genutzt werden, um andere Quantensysteme nachzuahmen - zu
simulieren. Quantensimulatoren gelten deshalb als eine der ersten konkreten Anwendungen der zweiten Quantenrevolution.
Als schwierig erweist sich allerdings noch die vollständige Charakterisierung von großen und komplexen
Quantenzuständen, die für reale Simulationen notwendig ist. Der aktuelle Goldstandard für Quantenzustandsanalysen
im Labor - die Quantenzustands-Tomographie - eignet sich nur für kleine Quantensysteme, denn mit zunehmender
Größe steigt deren Aufwand exponentiell an. Nun haben Forscherinnen und Forscher um Rainer Blatt vom
Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quantenoptik und
Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erstmals ein neues Verfahren im Labor
etabliert, mit dem sich auch komplexe Quantenzustände effizient charakterisieren lassen.
Mit vereinten Kräften
In Ionenfallen werden Teilchen auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt abgekühlt und mit Hilfe von
Lasern manipuliert. Die Innsbrucker Quantenphysiker sind in diesem Bereich weltweit führend und können
heute in Ionenfallen 20 und mehr Teilchen miteinander verschränken. Um solche Quantensysteme vollständig
charakterisieren zu können, benötigen sie neue Methoden. Hier kamen ihnen Theoretiker um Martin Plenio
von der Universität Ulm, Deutschland, zu Hilfe. Sie haben 2010 ein neues Verfahren für die Charakterisierung
von komplexen Quantenzuständen vorgeschlagen. Mit der sogenannten Matrix-Produkt-Zustands-Tomographie lässt
sich der Zustand einer großen Gruppe von Quantensystemen präzise abschätzen, ohne dass der Aufwand
mit zunehmender Größe dramatisch ansteigt. Gemeinsam mit den Teams um Martin Plenio und Andrew Daley
von der University of Strathclyde in Schottland haben die Innsbrucker Experimentalphysiker um Christian Roos, Lanyon
und Christine Maier dieses Verfahren nun im Labor umgesetzt.
Effizienter messen
Als Testfall bauten die Physiker einen Quantensimulator mit bis zu 14 Quantenbits, der zunächst in einem
einfachen Ausgangszustand ohne Quantenkorrelationen präpariert wurde. In der Folge verschränkten die
Forscher mit Laserlicht jeweils benachbarte Teilchen und beobachteten die dynamische Ausbreitung der Verschränkung
im System. „Mit der Methode können wir den Quantenzustand des Gesamtsystems bestimmen, indem wir nur einen
kleinen Bruchteil der Systemeigenschaften messen“, sagt START-Preisträger Ben Lanyon. Die Charakterisierung
des globalen Quantenzustands aus den Messdaten übernahmen die Theoretiker um Martin Plenio: „Das Verfahren
basiert darauf, dass wir lokal verteilte Verschränkung theoretisch sehr gut beschreiben und nun im Labor auch
messen können.“
Als die Arbeitsgruppe von Rainer Blatt 2005 das erste Quantenbyte realisierte, waren für die Charakterisierung
des Quantenzustands über 6.000 Messungen in einen Zeitraum von zehn Stunden nötig. Mit der neuen Methode
werden dafür nur noch 27 Messungen in rund 10 Minuten gebraucht. „Wir konnten zeigen, dass mit diesem Verfahren
auch große und komplexe Quantenzustände effizient bestimmt werden können“, freut sich Christine
Maier aus dem Innsbrucker Team. Nun wollen die Wissenschaftler die Algorithmen so weiterentwickeln, dass sie auch
von anderen Forschungsgruppen flexibel eingesetzt werden kann.
Neuer Goldstandard
Das neue Verfahren erlaubt die Charakterisierung von großen Quantenvielteilchensystemen im Labor und
schafft damit auch eine Vergleichsmöglichkeit für Quantensimulationen. „Wir können mit den Messungen
Quantensimulatoren kalibrieren, indem wir sie mit analytischen Berechnungen vergleichen“, erklärt Christian
Roos. „Dann wissen wir, ob der Simulator das macht, was wir wollen.“ Die neue Methode bietet den Physikern ein
Werkzeug für viele Anwendungen und könnte ein neuer Standard für Quantensimulationen werden.
Finanziell unterstützt wurde die Arbeit unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und
der Europäischen Union.
Publikation: Efficient tomography of
a quantum many-body system. B. P. Lanyon, C. Maier, M. Holzäpfel, T. Baumgratz, C. Hempel, P. Jurcevic, I.
Dhand, A. S. Buyskikh, A. J. Daley, M. Cramer, M. B. Plenio, R. Blatt, C. F. Roos. Nature Physics 2017 DOI: 10.1038/nphys4244.
Link: http://dx.doi.org/10.1038/nphys4244
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