Der sogenannte „Türkische Tempel“ in der Zirkusgasse wurde in der Pogromnacht zerstört.
Wien (rk) - In der Zirkusgasse 22 befand sich bis 1938 der Hauptsitz der sephardisch-türkischen Gemeinde
in Wien. 1885 bis 1887 ließ diese an der Stelle eine Synagoge errichten. Sie wurde während der Pogromnacht
vom 9. auf den 10. November 1938 in Brand gesteckt und zerstört. Wohnbaustadtrat Michael Ludwig, S.E. Botschafter
Mehmet Ferden Çarikçi als Vertreter der Republik Türkei, der Präsident der Israelitischen
Kulturgemeinde in Wien, Oskar Deutsch, und der ehemalige Präsident der der türkisch-jüdischen Gemeinde
in der Türkei, Silvyo Ovadya, gedachten am 13. September den Opfern dieses schrecklichen Ereignisses und enthüllten
eine neue Gedenktafel an der städtischen Wohnhausanlage.
„Mit den Verbrechen des November 1938 nimmt der systematische Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden
ihren Anfang. Mit dem Türkischen Tempel wurden insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. Jüdische
Kinder, Frauen und Männer wurden zutiefst gedemütigt und geschlagen. 27 von ihnen verloren ihr Leben.
Halten wir alle die Erinnerung an diese grausame Zeit wach!", betonte Wohnbaustadtrat Michael Ludwig. Er hob
in diesem Zusammenhang die aktive Bildungsarbeit der Stadt Wien hervor. Gleichzeitig warnte Ludwig vor weiterhin
aktiven rechtsradikalen Gruppen, die fremdenfeindlichen Hass verbreiten.
Stadtrat Ludwig dankte besonders Dr. Peter Schönthal, der die neue Erinnerungstafel initiierte.
Es ist traurig, zu sehen, dass während die von den österreichischen Juden erbaute Yüksekkaldirim
Aschkenasim Synagoge in Istanbul seit über 100 Jahren weiterhin besteht, die türkisch jüdische Synagoge
in Wien, genannt ,Türkischer Tempel‘, im Gegensatz dazu, niedergerissen und in den Tiefen der Geschichte begraben
wurde. Deswegen ist es besonders wichtig, dass der Geist des türkischen Tempels weiterhin am Leben gehalten
wird“, so S.E. Botschafter Mehmet Ferden Çarikçi .
„In der Bevölkerung ist wohl kaum noch ein Wissen um diese an Kultur so reichen sephardischen Gemeinde vorhanden.
Mit einer neuen Gedenktafel wird der Opfer des Novemberpogroms gedacht und gleichzeitig an die Blütezeit der
Wiener türkisch-jüdischen Sefardim erinnert“, betonte Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen
Kultusgemeinde.
„Ich freue mich sehr, hier an der Gedenkveranstaltung bezüglich der sephardisch-jüdischen Synagoge und
Gemeinde in Wien, deren Wurzeln bis in die Zeit des Osmanischen Reiches reichen, teilzunehmen. In diesem Zusammenhang
möchte ich auf Nahebeziehung zwischen der großen Synagoge in Edirne und der sephardischen Synagoge in
Wien hinweisen. Wir, die jüdische Gemeinde in der Türkei erfreuen uns, dass wir unsere Gebete und sonstige
Veranstaltungen in der Edirne Synagoge, die einer der drei großen Synagogen in Europa ist und der österreichischen
Synagoge in Istanbul frei durchführen können“, hielt der ehemalige Präsident der der türkisch-jüdischen
Gemeinde in der Türkei, Silvyo Ovadya, fest.
Der Türkische Tempel
In der Zirkusgasse 22 befand sich bis 1938 der Hauptsitz der sephardisch-türkischen Gemeinde in Wien. 1885
– 1887 ließ diese an der Stelle, an der heute der Gemeindebau steht, eine Synagoge er-richten, den sogenannten
Türkischen Tempel. Mit der Planung wurde der Wiener Architekt Hugo Ritter von Wiedenfeld (1852 – 1925) beauftragt.
Er hatte sich auf den neo-maurischen Baustil spezialisiert, mit orientalisch geprägten Elementen wie Bögen
und Mosaiken.
Ein gefeiertes Kunstwerk
Der Entwurf der Synagoge orientierte sich an der maurischen Architektur, vor allem an der spanischen Alhambra
– wohl eine Referenz an die ursprünglich aus Spanien stammenden sephardischen Juden. Der Tempel wurde am 18.
September 1887 im Rahmen einer festlichen Zeremonie eingeweiht. An der Straßenfront befand sich ein imposantes
Steinportal mit minarettartigen Türmchen, durch das man zunächst einen Vorhof betrat. Dahinter erhob
sich die reich verzierte Fassade des Tempels, darüber eine zwölf Meter hohe Kuppel mit sternförmigen
Fensteröffnungen. Der achteckige Betraum war in Marmor und Gold gehalten. Insgesamt bot das Gebäude über
600 Gläubigen Platz und war damit die größte türkische Synagoge in Europa. Als einer der prachtvollsten
Tempel Mitteleuropas gefeiert, diente sie als Vorbild für viele andere sephardische Tempel.
In Flammen
Die über die Grenzen hinweg gelobte Pracht des Türkischen Tempels in der Zirkusgasse kann man heute
nur mehr anhand einiger Schwarzweiß-Fotografien erahnen. Er wurde, wie 41 weitere Synagogen und Bethäuser
in Wien, während der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 in Brand gesteckt und zerstört. Das
Grundstück wurde 1952 an die Israelitische Kultusgemeinde restituiert und 1975 von der Stadt Wien erworben.
1985 – 1987, genau hundert Jahre nach dem Bau der Synagoge, errichtete sie hier ein Wohnhaus.
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