Schellhorn: Eines der ältesten Bauernhäuser in Salzburg wird vor Übersiedelung
ins Freilichtmuseum auf Fundstücke bis ins 15. Jahrhundert untersucht
Salzburg (lk) - Unter der Leitung des Salzburger Freilichtmuseums in Kooperation mit dem Institut für
Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit sowie der Universität Salzburg findet aktuell ein
für Salzburg und darüber hinaus höchst innovatives Projekt statt: Erstmals wird bei der Übertragung
eines Bauernhauses in das Freilichtmuseum die Bau- und Nutzungsgeschichte auf breiter wissenschaftlicher Basis
und mit modernsten Dokumentationsmethoden erarbeitet.
"Ich bin fasziniert, welche Schätze in diesem alten Bauernhaus aus dem Jahr 1482 bereits gefunden wurden.
Bevor dieses Haus ins Freilichtmuseum übersiedelt, wird eine sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Dokumentation
erstellt. Die Fundstücke, aber auch die Archivrecherche, geben Rückschlüsse auf das Leben der Menschen
in diesem Haus und ihre Geschichten. Und genau diese Geschichten gilt es jetzt festzuhalten, damit die Besucherinnen
und Besucher dann später im Freilichtmuseum einen besseren Einblick in das Leben und die damaligen Verhältnisse
bekommen", so Kulturlandesrat Heinrich Schellhorn am 9. Oktober.
Insgesamt fünf Archäologen graben bereits seit zwei Wochen im Inneren eines alten Bauernhauses in Ramingstein,
der sogenannten "Rainerkeusche", in der Hoffnung, auf noch mehr historische Fundstücke zu stoßen.
Alte Ofenkacheln aus dem 17. Jahrhundert, ein Nürnberger Rechenpfennig oder etwa ein Schlüssel für
eine Taschenuhr aus dem 18. Jahrhundert konnten bereits sichergestellt werden.
Eines der ältesten Bauernhäuser in Salzburg
Die "Rainerkeusche" bildet als vergleichsweise kleines Wohnhaus in Holzbauweise zwar auf den ersten
Blick ein Kontrastprogramm zu den großen Höfen, die im Freilichtmuseum zu bewundern sind, besticht aber
durch sein hohes Alter: Mittels dendrochronologischer Altersbestimmung, die über charakteristische Jahresringabfolgen
im Bauholz das Fälldatum der Hölzer zu bestimmen vermag, konnte die Errichtung des Hauses um 1482 datiert
werden. Damit ist die "Rainerkeusche" eines der ältesten datierten bäuerlichen Wohngebäude
auf dem Gebiet des Bundeslands Salzburg, welches noch in seiner ursprünglichen Dimension erhalten ist.
Mit seiner mehr als 500-jährigen Geschichte bietet es hervorragende Möglichkeiten, die Nutzungen eines
derartigen kleinbäuerlichen Anwesens und damit die Lebensumstände seiner Bewohnerinnen und Bewohner vom
Spätmittelalter bis in die jüngste Zeit nachzuzeichnen. Um diesem Ziel gerecht zu werden, arbeiten in
enger wechselseitiger Abstimmung die Fachleute des Freilichtmuseums mit Spezialistinnen und Spezialisten aus den
Bereichen Restaurierung und der Archäologie zusammen. Die wissenschaftlichen Voruntersuchungen werden vom
Bundesdenkmalamt, Abteilung für Archäologie, sowie mit Geldern des Freilichtmuseums finanziert.
Während die restauratorischen Befundungen bereits Ende September abgeschlossen wurden, laufen seit 25. September
bis einschließlich 13. Oktober die archäologischen Untersuchungen im Inneren des Hauses. Schicht für
Schicht werden die Fußböden sowie die im Boden erhaltenen Reste älterer Einbauten abgetragen und
mit den Erkenntnissen aus der bauhistorisch-restauratorischen Analyse in Beziehung gesetzt.
"Dass hier erstmals die bauhistorischen Untersuchungen im Vorfeld und als Begleitung der Abtragung dieses
Bauernhauses vom Salzburger Freilichtmuseum gemeinsam mit Archäologinnen, Restauratoren und dem Bundesdenkmalamt
durchgeführt werden, führt den Erkenntnisgewinn zu einer völlig neuen Qualität. Diese Analysen
lassen uns nun noch tiefer in die Lebensgeschichten vergangener Jahrhunderte blicken, werfen aber gleichzeitig
auch neue Fragen auf", so Museumsdirektor Michael Weese.
Überraschende Ergebnisse
Auch wenn derzeit die Grabungen voll im Gang sind, zeichnen sich schon erste überraschende Ergebnisse ab,
was die jüngere Nutzungsgeschichte betrifft: Während die Bezeichnung "Rainerkeusche" sowie
die archivalische Überlieferung eher auf eine Behausung für Personen aus den unteren sozialen Schichten
auf dem Land, wie einfachen Land- oder Waldarbeitern, schließen lässt, zeigt die Ausstattung der Stube
mit mehrphasigen farbigen Schablonenmalereien, dass zumindest in der Wohnkultur versucht wurde, an die Standards
höherer Bevölkerungsschichten anzuschließen. Darauf lassen auch entsprechende Funde, wie Fragmente
von Mineral- oder Heilwasserflaschen des 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts oder ein Schlüssel für
eine Taschenuhr schließen. Auch für das 17. Jahrhundert liegen Fundobjekte vor, die diesen Eindruck
auch für diesen Zeitraum verstärken: Während Fragmente von Ofenkacheln mit Hirschdarstellung auf
entsprechende Beheizbarkeit eines Stubenofens mit repräsentativer Ausstattung schließen lassen, gibt
der Fund eines sogenannten "Rechenpfennigs" aus Nürnberg Auskunft darüber, dass zumindest ein
Bewohner über komplexere rechnerische Fähigkeiten verfügte, die mittels dieser geprägten, münzartigen
Stücke auf linierten Tüchern, Brettern oder Tischplatten durchgeführt wurden.
Mehrfaches Versetzen von Zwischenwänden, Erneuerungen von Heiz- und Kocheinrichtungen sowie Adaptierungen
von Räumen für Wohn- und Stallzwecke zeugen von der wechselhaften Geschichte der "Rainerkeusche"
und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner, deren Erforschung gerade in der "heißen Phase" ist und jeden
Tag neue Erkenntnisse zu Tage fördert.
Abtragung und Übersiedelung ins Freilichtmuseum
Nach Beendigung der Ausgrabungen wird mit der Abtragung des Gebäudes begonnen, die ebenfalls wissenschaftlich
begleitet wird. Nach Übertragung und Sicherung der baulichen Bestandteile im Salzburger Freilichtmuseum in
Großgmain wird 2018 im Bereich "Lungau" die "Rainerkeusche" wieder errichtet und im Herbst
als neue Attraktion wieder eröffnet. Damit in Verbindung werden auch die derzeit erarbeiteten Erkenntnisse
zur Geschichte der "Rainerkeusche" und der mit ihr verbundenen Menschen der interessierten Öffentlichkeit
in entsprechender musealer Präsentation und mit einer eigenen Publikation zugänglich gemacht.
Das Projekt "Rainerkeusche" schafft nicht zuletzt durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem Museum und
der Universität Salzburg unter Einbeziehung verschiedener Fachdisziplinen neue Standards für die Zusammenarbeit
von Freilichtmuseen, universitärer Forschung und Denkmalpflege und ist somit wegweisend für den zukünftigen
Umgang mit den letzten baulichen Zeugen einer vergangenen bäuerlichen Welt.
|