Seit 1967 bietet die "Telefonseelsorge" unter der kostenlosen Notrufnummer 142 Ansprache
und Hilfe für alle Menschen in akuten Krisen und schwierigen Lebenssituationen.
Wien (pew) - In Wien wurden in den letzten 50 Jahren von den 150 ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen (Ö:
860) mehr als 1.130.000 Gespräche geführt. Im Jahr 2016 waren es rund 35.000, in Summe 18.000 Stunden.
Die meisten Gespräche finden zwischen 17 und 24 Uhr statt, rund die Hälfte der täglichen Anrufe
erhalten die Mitarbeiter im Nachtdienst.
Die Arbeit der Telefonseelsorge war in den letzten fünf Jahrzehnten stark vom technischen Fortschritt geprägt
- vom Vierteltelefon oder der Telefonzelle bis zu kostenloser Notrufnummer (1998), Email (2012) und datenverschlüsseltem
Chat (2016) über Smartphone oder PC.
Ehrenamtlicher Dienst
Die ehrenamtlichen Mitarbeiter werden ein Jahr lang für die Aufgabe ausgebildet und sind unter laufender Supervision
von Professionisten, damit der Dienst nicht zu persönlichen Belastungen führt. Die Leiterinnen der Telefonseelsorge,
Marlies Matejka (katholische Kirche) und Carola Hochhauser (evangelische Kirche) betonen, dass das wertschätzende
Zuhören der Telefonseelsorge-Mitarbeiter eine Psychotherapie oder Lebensberatung nicht ersetzen soll. Mit
entsprechenden Einrichtungen gibt es aber gute Kooperationen.
Rund 80% der sorgfältig ausgewählten Mitarbeiter sind Frauen, alle Altersgruppen sind vertreten, auch
wenn die größte Gruppe Frauen in der Lebensmitte sind. Die MitarbeiterInnen bleiben im Schnitt 12-15
Jahre dem Dienst in der Telefonseelsorge treu, manche mehrere Jahrzehnte.
Matejka ist seit 35 Jahren in der Telefonseelsorge tätig und erklärt das Prinzip der personenzentrierten
Gesprächsführung: „Die Anrufer selbst sind die Experten für ihr Leben. Wir haben einen tiefen Respekt
vor der Biografie jedes einzelnen. Wir hören zu, bieten die Möglichkeit, sich auszusprechen, helfen,
Gedanken zu ordnen und ermutigen, neue Wege zu versuchen. Manchmal gilt es aber auch nur, eine Situation großen
Leids mit dem Anrufer auszuhalten“.
Bevor Carola Hochhauser mit der Leitung betraut wurde, hat sie 12 Jahre als Ehrenamtliche mitgearbeitet. „Es ist
schön, dass sich die Superintendentur diese Stelle leistet und rund 10% unserer MitarbeiterInnen in der Telefonseelsorge
evangelisch sind“. Sie schätzt diese „Ökumene auf Augenhöhe“, und meint, dass der Dienst am Telefon
nicht immer Spaß, wohl aber immer Freude macht. Und dass es schön ist und gut tut, wenn sich fast alle
AnruferInnen am Ende eines Telefonates fürs Zuhören bedanken.“
Anrufer und ihre Anliegen
Während die Altersverteilung der Anrufenden – im Durchschnitt Menschen zwischen 40 und 60 Jahren – und die
häufigste Lebensform „allein lebend“ weitgehend gleich geblieben ist, rufen heute mehr Männer an als
früher (1977: 24%, 2017: 34%). Grund dafür ist die gestiegene Anzahl an psychischen Erkrankungen, von
der statistisch mehr Männer als Frauen betroffen sind (44% Männer, 31% Frauen).
Psychische Störungen bilden bei den Anliegen der Anrufer einen neuen Schwerpunkt (1977: 22%, 2017: 35%), neben
Beziehungsproblemen und Einsamkeit. Weitere Themen sind Mobbing, Überforderung im Alltag, berufliche Probleme
oder aktuelle Geschehnisse in der Welt. In fast 400 Gesprächen des Jahres 2016 ging es um Suizidabsichten,
ein Thema, das auch in der Onlineberatung häufig vorkommt.
Der em. o.Univ.-Prof. Dr. Gernot Sonneck, Arzt, Psychotherapeut, Suizidologe, langjähriger Leiter des Kriseninterventionszentrums
und ehemaliger Vorstand des Instituts für Medizinische Psychologie der Medizinischen Universität Wien
schätzt die Einrichtung sehr: „Die Telefonseelsorge leistet enorm viel in der Krisenbewältigung. Die
Anonymität über das Telefon - rund um die Uhr - erleichtert vielen Betroffenen, einen Erstkontakt herzustellen
oder eine Überbrückung zu finden. Ärzte und Therapeuten könnten niemals 24 Stunden erreichbar
sein und haben oft nicht die Zeit, so lange zuzuhören, wie sie gerne würden. “
Erfreulich ist laut Sonneck der massive Rückgang der Suizide seit Mitte der 80er Jahre – in Österreich
um 40%, in Wien sogar um 60%. Selbst in der Wirtschaftskrise 2008 blieb Österreich als europaweit einziges
Land vor einem Anstieg der Suizidrate verschont, 2016 war die Selbstmordrate die niedrigste seit 1946. “Das können
wir ganz direkt dem dichten Netz an Präventionseinrichtungen zuschreiben. Die Telefonseelsorge hat daran einen
ganz großen und unersetzbaren Anteil”.
Dienst an der Allgemeinheit
Der Pressesprecher der Erzdiözese Wien, Michael Prüller, wies auf das vorbildhafte Zusammenwirken von
Staat und Kirche hin: „Die Telefonseelsorge hat einen professionellen Dienst etabliert, der der Allgemeinheit zugutekommt.
Die Zuerkennung der Notrufnummer 142 durch das damalige Verkehrsministerium im Jahr 1998 hat diesen Dienst gewürdigt
und gleichzeitig unterstützt. Das ist ein gutes Beispiel für ein Ineinandergreifen von Staat und Kirche
zum Nutzen aller.“
Für die Zukunft plant die Telefonseelsorge, den Dienst auch in anderen Sprachen anzubieten.
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