Rechte von Arbeitern werden bis 2021 an jene der Angestellten angeglichen
Wien (pk) - Große Unterschiede gibt es nicht mehr, was die Rechte von Arbeitern und Angestellten betrifft,
nun sollen auch die letzten Ungleichheiten beseitigt werden. FPÖ und Grüne unterstützten am 12.
Oktober im Nationalrat ein von der SPÖ eingebrachtes Gesetzespaket und stellten damit die erforderliche Mehrheit
sicher. Insbesondere geht es um Verbesserungen beim Kündigungsschutz für ArbeiterInnen und einheitliche
Regeln für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Allerdings werden die vorgesehenen längeren Kündigungsfristen
für ArbeiterInnen gemäß einem Abänderungsantrag erst ab dem Jahr 2021 gelten. Gegen die Gesetzesnovelle
stimmten ÖVP und NEOS, sie sprachen von einer "Hauruck-Aktion" und traten für ausführliche
Beratungen über einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff ein.
Das Verschieben des Inkrafttretens von 2018 auf 2021 soll es den Betrieben ermöglichen, sich auf die verlängerten
Kündigungsfristen einzustellen, wie in der Begründung des Abänderungsantrags festgehalten wird.
Außerdem dürfen Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen, über das Jahr 2021 hinaus abweichende
Regelungen durch Kollektivvertrag festlegen. Das gilt etwa für die Baubranche und den Tourismus. Damit habe
man auf Einwände der Wirtschaft reagiert, betonte SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch. Verbesserungen
bringt der Abänderungsantrag für ArbeitnehmerInnen, deren Dienstverhältnis während eines Krankenstands
einvernehmlich beendet wird: Sie werden ab Mitte 2018, was die Entgeltfortzahlung betrifft, die gleichen Ansprüche
haben wie gekündigte MitarbeiterInnen.
Mehrheitlich vom Nationalrat angenommen wurde auch ein von den Grünen eingebrachter Entschließungsantrag:
Die Abgeordneten fordern einen besseren arbeits- und sozialrechtlichen Schutz für atypisch beschäftigte
Personen wie freie DienstnehmerInnen und neue Selbständige sowie die Überführung der arbeitsrechtlichen
Bestimmungen der Gewerbeordnung in ein modernes Arbeitsrecht.
ÖVP und NEOS fordern ausführliche Beratungen
Kritik an der Vorgehensweise kam von ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger und seinem Fraktionskollegen
Peter Haubner. Die ÖVP sei für die Angleichung der Rechte von Arbeitern und Angestellten, es brauche
aber eine ausführliche Diskussion unter Einbindung der Sozialpartner, betonten sie. Haubner sprach in diesem
Zusammenhang von einem "schweren Foul", das der Sozialpartnerschaft schade. Zudem vermissen Wöginger
und Haubner im Gesetzentwurf der SPÖ einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff, der etwa auch gemeinsame Betriebsratsstrukturen
für alle Beschäftigten eines Unternehmens inkludiere. Um ihr Bekenntnis zu einem einheitlichen Arbeitnehmerrecht
zu unterstreichen, brachte Wöginger einen Entschließungsantrag ein, der bei der Abstimmung jedoch keine
Mehrheit fand.
Ähnliche Kritik kam von den NEOS. Abgeordneter Gerald Loacker vermutet, dass die SPÖ gar nicht an einem
einheitlichen Arbeitnehmerbegriff interessiert ist, und bezeichnete die Gesetzesinitiative als "billigen Wahlkampfschmäh",
für den seine Fraktion nicht zu haben sei. Ihm zufolge bleiben in vielen Bereichen Unterschiede zwischen Arbeitern
und Angestellten bestehen, etwa was Entlassungsgründe oder die Unterscheidung zwischen Berufsunfähigkeitspension
und Invaliditätspension betrifft. Scharfe Kritik an der Wirtschaftskammer übte Josef Schellhorn (N),
diese habe sich auch bei der Arbeitszeitflexibilisierung über den Tisch ziehen lassen. Grundsätzlich
sprach er sich aber für eine rechtliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten aus.
Stöger: Guter Tag für österreichische ArbeitnehmerInnen
Von einem guten Tag für die österreichischen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sprach hingegen Sozialminister
Alois Stöger. Er wies darauf hin, dass die Angleichung der Rechte von Arbeitern und Angestellten seit fast
drei Jahrzehnten ein Thema in der Wirtschaft sei. Für ihn ist der Beschluss jedenfalls kein Anlass, die Sozialpartnerschaft
über Bord zu werfen.
Enttäuscht über die Haltung der ÖVP zeigte sich auch SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch. Es
habe 22 Pressemeldungen gegeben, in denen verkündet wurde, dass ÖVP-Chef Sebastian Kurz Arbeiter und
Angestellte gleichstellen wolle, erinnerte er. Aufregung in der Wirtschaft habe es aber erst gegeben, als eine
Fristsetzung zum SPÖ-Antrag beschlossen wurde. Muchitsch wies zudem darauf hin, dass man mit dem Abänderungsantrag
auf Bedenken der Wirtschaft reagiert habe.
Gegen den Vorwurf des "Husch-Pfusch" verwahrten sich die SPÖ-Abgeordneten Rainer Wimmer und Dietmar
Keck. Es werde bereits seit über 40 Jahren verhandelt, machte Keck geltend. Wimmer glaubt, dass die ÖVP
die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten weiter auf die lange Bank schieben will. ArbeiterInnen dürften
aber nicht weiter ArbeitnehmerInnen zweiter Klasse sein. Laut Wimmer haben etwa TextilreinigerInnen und GärtnerInnen
nur eine Woche Kündigungsfrist, BäckerInnen sogar nur einen Tag. Ob es in Betrieben einen gemeinsamen
Betriebsrat für Arbeiter und Angestellte oder getrennte Betriebsräte gibt, will die SPÖ den ArbeitnehmerInnen
überlassen.
FPÖ und Grüne begrüßen Gleichstellung
Wenig Verständnis für die ablehnende Haltung der ÖVP zeigten auch FPÖ und Grüne. Nach
70 Jahren müsse der Klassenkampf endlich überwunden werden, sagte Dagmar Belakowitsch (F). Zudem wies
sie auf die vorgesehenen Übergangsregelungen für die Wirtschaft und die Branchenlösung für
den Tourismus und die Baubranche hin, die ihr zufolge von der FPÖ in das Gesetz hineinverhandelt wurden. Damit
habe die Wirtschaft genug Zeit, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. Überdies könne die Politik
in dieser Zeit weitere Begleitmaßnahmen setzen. Als ersten wichtigen Schritt in diesem Zusammenhang wertet
Belakowitsch die Abschaffung der Auflösungsabgabe ab 2020. Auch ihr Fraktionskollege Wolfgang Klinger, selbst
Unternehmer, stellte sich ausdrücklich hinter die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten.
FPÖ-Abgeordneter Peter Wurm reklamierte den Erfolg für seine Fraktion und warf der SPÖ vor, viel
zu lange mit der Gleichstellung gewartet zu haben.
Der Antrag sei o.k., sie hätte sich aber eine breitere Lösung gewünscht, sagte Birgit Schatz von
den Grünen. Es könne nicht sein, dass eine Verkäuferin in einem Bäckereigeschäft am Donnerstag
erfahre, dass sie ab Montag gekündigt sei. Die Übergangsfrist bis zu 2021 dauert ihr etwas zu lange.
Schatz forderte darüber hinaus einen besseren arbeits- und sozialrechtlichen Schutz für atypisch beschäftigte
Personen wie freie DienstnehmerInnen und neue Selbständige, etwa im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit
und Unterentlohnung. Zudem sprach sie sich dafür aus, die arbeitsrechtlichen Bestimmungen der Gewerbeordnung
in das moderne Arbeitsrecht überzuführen.
Sowohl für Schatz als auch für den fraktionslosen Abgeordneten Marcus Franz war es die letzte Rede im
Nationalrat. Er sei als Quereinsteiger gerne in der Politik gewesen, auch wenn er des Öfteren angeeckt habe,
sagte Franz und äußerte die Hoffnung auf ein Comeback. Was den vorliegenden Gesetzentwurf betrifft,
warnte er vor "überfallsartigen Gleichheitsregeln".
Paket bringt Gleichstellung bei Kündigungsschutz und Entgeltfortzahlung
Gemäß dem Gesetzesbeschluss wird auch für ArbeiterInnen künftig eine zumindest sechswöchige
Kündigungsfrist gelten, wobei das Dienstverhältnis nur mit Ablauf jedes Kalendervierteljahres gelöst
werden kann. Danach steigt die Kündigungsfrist stufenweise an – bis zu einer Dauer von fünf Monaten nach
dem vollendeten 25. Dienstjahr. Für Angestellte ist neu, dass die Kündigungsregelungen auch für
Beschäftigte mit nur wenigen Wochenstunden (weniger als ein Fünftel der kollektivvertraglichen Normarbeitszeit)
gelten.
Vereinheitlicht wird auch die Systematik für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder nach einem Unfall,
bei gleichzeitiger Verankerung einzelner Verbesserungen. So ist das Gehalt bzw. der Lohn künftig bereits nach
einem Dienstjahr – statt wie derzeit erst nach fünf – acht Wochen lang weiterzuzahlen. An der Grundstufe (sechs
Wochen) und den weiteren Steigerungsstufen (zehn Wochen nach fünfzehn Dienstjahren, zwölf Wochen nach
fünfundzwanzig Dienstjahren) ändert sich hingegen nichts. Bei wiederholtem Krankenstand innerhalb eines
Arbeitsjahres ist eine Zusammenrechnung der Anspruchszeiten vorgesehen, außer es handelt sich um einen Arbeitsunfall
oder eine Berufskrankheit. Günstigere Regelungen in Kollektivverträgen sollen beibehalten werden.
Nicht mehr möglich sein wird es, den grundsätzlichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei unverschuldeten
kurzzeitigen Dienstverhinderungen aufgrund wichtiger persönlicher Gründe kollektivvertraglich einzuschränken.
Bei Arbeitern ist das derzeit zulässig. Lehrlinge werden künftig im Krankheitsfall acht – statt bisher
vier – Wochen lang die volle Lehrlingsentschädigung und weitere vier Wochen (statt zwei) ein Teilentgelt erhalten.
In Kraft treten werden die Änderungen im Entgeltfortzahlungsrecht mit 1. Juli 2018, der verbesserte Kündigungsschutz
für ArbeiterInnen wird ab 2021 gelten. Zur Umsetzung der Gleichstellung müssen nicht nur das Angestelltengesetz,
das ABGB und das Entgeltfortzahlungsgesetz geändert werden, sondern auch das Gutangestelltengesetz, das Hausgehilfen-
und Hausangestelltengesetz und das Landarbeitsgesetz.
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