ÖIF-Diskussion: Philosoph und Autor Liessmann diskutierte mit „Presse“-Chefredakteur Nowak
über die Rolle der Bildung für die Integration und die Grundlagen des Zusammenlebens
Wien (öif) - Am 10. Oktober sprach der Philosoph und Bestsellerautor Konrad Paul Liessmann im Rahmen
der Veranstaltungsreihe „Gesellschaft im Wandel: Was hält uns zusammen?“ des Österreichischen Integrationsfonds
(ÖIF) mit „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak über die Rolle von Bildung für die Integration, die
Maxime der Vernunft als Grundlage des Zusammenlebens sowie Säkularität und den politischen Islam in Europa.
Teilhabe an Gesellschaft durch fehlende Bildung gefährdet
Liessmann, der auch als wissenschaftlicher Leiter des „Philosophicum Lech“ tätig ist, strich das integrative
Moment der Bildung heraus: „Bildung hat einerseits einen selektiven Charakter, der stark mit dem Leistungsbegriff
verbunden ist. Andererseits bietet sie Möglichkeiten der Partizipation, diese offenbaren sich bereits seit
der Aufklärung in dem Erlernen der Grundfertigkeiten von Lesen und Schreiben. Dadurch wird damals wie heute
die Partizipation an Medien und der Kommunikation innerhalb einer Gesellschaft ermöglicht. Dass Kinder mit
und ohne Migrationshintergrund heute vielfach ohne ausreichende Lesekenntnisse das Schulsystem verlassen, wirft
natürlich die Frage auf, was dies für die Entwicklung unserer Gesellschaft und für ihre Teilhabe
am öffentlichen Leben und dem Arbeitsmarkt bedeutet.“
„Rechtsordnung als Kitt der Gesellschaft“
Zur Frage des Zusammenhalts der Gesellschaft betonte Liessmann: „Vormoderne Gesellschaften wurden durch eine
gemeinsame Religion oder Herkunft strukturiert. Dies gilt nicht mehr für unsere modernen, differenzierten
Gesellschaften. Heute stellt die Rechtsordnung den zentralen Kitt unserer Gesellschaft dar. Durch sie werden die
Rahmenbedingungen und damit die zentralen Rechte wie Pflichten des Zusammenlebens festgeschrieben und sind auch
einforderbar.“ Wenn dies außer Kraft gesetzt werde, drohe Bürgerkrieg, der Zerfall der Gesellschaft
sei die Folge. „Die gezielte Auseinandersetzung von Zuwander/innen mit unserer Rechtsordnung ist deshalb eine Basis
für das friedliche Zusammenleben; das müssen wir fördern.“
„Religiöse Inhalte müssen der Maxime der Vernunft untergeordnet werden“
Liessmann sprach auch über den schwierigen Umgang der säkularen, westlichen Gesellschaften mit dem
Islam: „Mit seinen Kleider- und Essensregelungen sowie mit den islamisch definierten Rechtsvorstellungen ist der
Islam tief im Alltagsleben stark gläubiger Muslime verankert. Religion ist für sie damit nicht Privatsache.“
Nötig seien Entwicklungen innerhalb des Islams wie die kritische Auseinandersetzung mit religiösen Texten,
die damit von der Vereinnahmung von Extremisten geschützt werden könnten. „Es braucht eine Selbstermächtigung
der Menschen, religiöse Inhalte der Maxime der Vernunft unterzuordnen. Das bedeutet für die Integration
von Muslimen auch, dass sie sich beim Widerspruch religiöser Lehren mit den geltenden Rechtsvorschriften oder
dem vernunftbasierten Wissen für letzteres entscheiden müssen.“ Die Politik sei gefordert liberale Stimmen
im Islam zu fördern und einen neuen Umgang mit dem Islam zu finden, der weder auf Konfrontation noch auf falsch
verstandener Toleranz beruhe, so Liessmann.
Weitere ÖIF-Veranstaltung mit Alice Schwarzer
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gesellschaft im Wandel: Was hält uns zusammen?“ findet am 17. November
2017 eine weitere Veranstaltung mit der Publizistin und Feministin Alice Schwarzer statt. Gemeinsam mit „Presse“-Chefredakteur
Rainer Nowak diskutiert sie über die Herausforderungen der Integration von Frauen vor dem Hintergrund patriarchaler
Strukturen und des politischen Islam.
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