Das vorrangige Ziel – der Schutz des Kindes – ist gleich geblieben
Linz (magistrat) - 1917 beschloss der Linzer Gemeinderat den gesamten Jugendschutz und das Jugendfürsorgewesen
in einem städtischen Jugendamt zu bündeln. Mit dieser Entscheidung begann die 100-jährige Geschichte
der heutigen Kinder- und Jugendhilfe, in der Kindern und Jugendlichen beigestanden und bei der Entwicklung maßgeblich
geholfen wurde – ausgenommen die Zeit des Nationalsozialismus in Österreich.
„Die heutigen Leistungen der städtischen Kinder- und Jugendhilfe zielen noch immer auf die gleichen Werte
wie vor 100 Jahren ab – der Unterstützung von Kindern und Jugendlichen in Notfällen. Das heutige Angebot
hat sich der Zeit angepasst und umfasst ein sehr differenziertes Spektrum, so dass möglichst alle Problemlagen
abgedeckt werden können und niemand ohne Hilfe dastehen muss. Dass es in den 100 Jahren auch zu negativen
Entwicklungen kam, darf jedoch trotz der Feierlichkeiten nicht vergessen werden“, erklären Bürgermeister
Klaus Luger und Vizebürgermeisterin Karin Hörzing gemeinsam.
Vom Waisenrat zum Jugendamt
Das Linzer Jugendamt, das 1917 durch einen Gemeinderatsbeschluss gebildet wurde, hatte seinen Vorgänger
im städtischen Waisenrat, welchen die Linzer Gemeindevertreter im Jahr 1904 einführten. Da der im Jahr
1912 an Stelle des ehrenamtlichen Waisenrates bestellte Berufsvormund sehr stark in Anspruch genommen wurde, entschloss
man sich in Linz, den gesamten Jugendschutz und das Jugendfürsorgewesen in einem Jugendamt zu vereinigen.
Die Dienststelle bildete ab 1925 die Magistratsabteilung IX, von 1931 bis 1937 mit dem Fürsorgeamt die Abteilung
II unter der Bezeichnung Jugend- und Fürsorgeamt. In der NS-Zeit war das Jugendamt wieder kurzfristig vom
Fürsorgeamt getrennt, dann vereinte man diese beiden Dienststellen erneut, bis 1949 das Jugendamt eine eigenständige
Dienststelle wurde. 1990 erfolgte die Umbenennung in Amt für Jugend und Familie. 2005 kam es zur Zusammenlegung
mit dem Amt für soziale Angelegenheiten, dem früheren Fürsorgeamt, und damit zur Bezeichnung Amt
für Soziales, Jugend und Familie. Nach der Magistratsreform 2015 entstand daraus der städtische Geschäftsbereich
Soziales, Jugend und Familie, bei dem sich die Abteilung Kinder- und Jugendhilfe um die Anliegen des Schutzes der
Kinder annimmt.
Aufgaben der Jugendämter
Zu den Hauptaufgaben der Jugendämter in ihrer Gründungszeit gehörte die Berufsvormundschaft.
Das heißt alle Waisen beziehungsweise auch unehelich geborenen Kinder und Jugendlichen, für die kein
geeigneter anderer Vormund vorhanden war, wurden durch das Jugendamt betreut. Oberösterreich hatte im Jahr
1931 39.000 Mündel (= 4,3 Prozent der Gesamtbevölkerung) unter Generalvormundschaft. Heute haben die
Jugendämter nur für weniger als 800 Kinder und Jugendliche die gesamte Obsorge. Dafür übernehmen
die Jugendämter für rund 22.000 Kinder und Jugendliche Vertretungen für Unterhalt und andere Angelegenheiten.
Im Rahmen der Ziehkinderaufsicht (Kinder in fremder Pflege) ging man dazu über, die Pflegestellen zu begutachten.
Die Pflegefamilien sollten sich für die Versorgung, Pflege und Erziehung der Kinder eignen sowie einen guten
Leumund haben. Sie erhielten damals entweder einen bestimmten monatlichen Geldbetrag oder es wurden Lebensmittel
beigesteuert. Im Jahr 1921 zählte man in Oberösterreich 25.000 Ziehkinder. Im Jahr 2016 befinden sich
in sozialpädagogischen Einrichtungen und bei Pflegeeltern 1.861 Kinder und Jugendliche.
Im Rahmen Erziehungsfürsorge bestand die Aufgabe darin, sich um gefährdete Jugendliche zu kümmern.
Neben den Mündeln betreuten die Fürsorgerinnen Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihrer familiären
oder sozialen Situation gefährdet erschienen. Wenn die Situation aussichtslos erschien, brachte man die Kinder
auf Pflegeplätzen unter. Heute ist die ambulante Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die in ihren Familien
leben, der sozialarbeiterische Schwerpunkt in der Kinder- und Jugendhilfe. Das Ziel ist, Familien in Krisensituationen
zu begleiten und ihre Erziehungskraft zu stärken.
Vor allem in den ersten Jahrzehnten der Jugendämter spielten die Ärztlichen Mutterberatungsstellen eine
große Rolle. Dort erfolgte vor allem Aufklärung über Säuglingsernährung und -pflege,
Stillen und Hygiene, was zu einem Rückgang der hohen Kindersterblichkeit führte. Diese betrug etwa Anfang
1919 in Oberösterreich 20 Prozent, in Linz waren es 14 Prozent. Heute sterben in Österreich von 1.000
Geburten durchschnittlich 3,1 Kinder.
Gleiche Aufgaben – veränderte Herangehensweisen
Die Sicht auf die Tätigkeiten in der Kinder- und Jugendhilfe allgemein und die Ausführung der Aufgaben
in der Praxis haben sich im Lauf der Jahrzehnte gravierend verändert. Damals war es die patriarchalische,
befürsorgende Sicht auf die Kinder und Jugendlichen. Nach dem heutigen Verständnis hingegen wirken die
Hilfen für Familien und ihre Kinder anleitend, mit dem Ziel, sie zur Erziehung zu befähigen, vor allem
unter Berücksichtigung ihrer eigenen Vorstellungen. Das Individuum wird in den einzelnen Berufsfeldern und
den gesetzlichen Bestimmungen vermehrt berücksichtigt. Vor allem hat sich aber das Fachwissen in den Sozialwissenschaften
in den letzten hundert Jahren enorm entwickelt.
Die Aufgabenstellung der Kinder- und Jugendhilfe ist annähernd gleich geblieben, es gilt das Kindeswohl im
Blickfeld zu behalten und Familien in ihren Erziehungsaufgaben zu unterstützen.
Fachtagung 100 Jahre Jugendamt
Im Rahmen einer Fachtagung anlässlich der Gründung des Jugendamtes der Stadt Linz vor 100 Jahren,
beschäftigt sich die Stadt Linz intensiv mit der Historie dieser Einrichtung. Ein Schwerpunkt liegt dabei
auch in der Behandlung der Öffentlichen Fürsorge im Nationalsozialismus.
Vortrag: Öffentliche Jugendfürsorge im Nationalsozialismus in Österreich
Bei der Fachtagung im Neuen Rathaus spricht der diplomierte Sozialarbeiter Mag. Dr. Kreitner, Historiker und
stellvertretender leitender Sozialarbeiter am Magistrat Klagenfurt, über die Jugendfürsorge während
der Zeit des Nationalsozialismus in Österreich.
Ein Auszug seines Referates:
Die Nationalsozialistische Verordnung über Jugendwohlfahrt (VOJWF) in der Ostmark vom 20.3.1940 findet
allein Anwendung auf Kinder arischer Herkunft. Die Nationalsozialisten gestanden Nicht-Ariern keinerlei Entwicklungspotential
in Sachen Erziehungsfähigkeit zu und befanden sie daher von vornherein als nicht würdig, öffentliche
Jugendfürsorge zu generieren. Bereits im Herbst 1938 begann der generelle Ausschluss der jüdischen Bevölkerung
sowie die der Roma und Sinti von der öffentlichen Fürsorge. Zwischen 1938 und 1941 erfolgte die sukzessive
Hinausdrängung von Juden, Roma und Sinti aus allen Netzen der öffentlichen Fürsorge. Diese Entwicklung
mündete schließlich in den Massendeportationen in die Vernichtungslager.
Diese Verordnung behielt ihre Gültigkeit bis zum Jahr 1954 – nur reduziert durch die Streichung der explizit
nationalsozialistischen Bestimmungen – als das Jugendwohlfahrtsgesetz erstmals in der 2. Republik verändert
wurde.
Entschuldigung der Stadt Linz bei den Opfern
Die Tagung zeigt bewusst nicht nur die positiven Seiten, sondern ist auch der richtige Anlass, um sich bei
den Opfern von Gewaltakten in öffentlichen Einrichtungen zu entschuldigen.
„Die Geschichte des Jugendamts ist eine, die auch dunkle Kapitel beinhaltet. Trotz aller Jubiläumsstimmung
dürfen wir nicht vergessen, welches Leid in manchen Epochen Kindern und Jugendlichen angetan wurde“, betonen
Bürgermeister Luger und Vizebürgermeisterin Hörzing unisono.
Die Stadt Linz nimmt ihre historische Verantwortung für die Fehler der Vergangenheit wahr. Jene Personen,
die in Einrichtungen physische, psychische oder sexuelle Gewalt erfahren haben, bittet die Stadt Linz um Verzeihung
und drückt ihr ausdrückliches Bedauern über das erlittene Unrecht aus.
Das Leid der Betroffenen und der Angehörigen kann nicht ungeschehen gemacht werden. Es wird aber in Zusammenarbeit
mit der Opferschutzkommission des Landes Oberösterreich alles unternommen, um aufgezeigte Missstände
der Vergangenheit aufzuarbeiten. Es geht darum, mit den Betroffenen wertschätzend und umsichtig umzugehen.
Die Stadt Linz sieht ihre Verantwortung auch darin, aus den Erkenntnissen und Erfahrungen der Vergangenheit zu
lernen.
Heutige Standards in der Kinder- und Jugendhilfe
Die Standards im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe haben sich in den letzten Jahrzehnten maßgeblich
verbessert. Durch eine landesweite Qualitätsrichtlinie für die Sozialpädagogischen Einrichtungen
sind Standards in der Betreuung, für das eingesetzte Personal, für die Infrastruktur und für die
Dokumentation geregelt. Diese Richtlinie, die mit 1. Jänner 2009 erlassen wurde, ist die Grundlage für
Bewilligungsverfahren von Einrichtungen und für die regelmäßige Fachaufsicht der Oö. Landesregierung.
Die Einhaltung der Richtlinien wird durch eine unangekündigte Fachaufsicht mindestens alle zwei Jahre umfassend
kontrolliert. Werden dabei Mängel festgestellt, wird deren Behebung umgehend beauftragt. Beschwerden über
Mängel, die von Kindern/Jugendlichen, deren Eltern oder anderen Personen eingebracht werden, werden von der
zuständigen Abteilung des Landes Oberösterreich umgehend geprüft.
Die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde hält zudem in einem Hilfeplan die wesentlichen Ziele der
Betreuung fest. Die zuständigen SozialarbeiterInnen überprüfen mindestens halbjährlich in Hilfeplanverlaufsgesprächen
mit dem Kind/Jugendlichen und dessen Eltern den konkreten Betreuungsverlauf.
Diese Maßnahmen tragen dazu bei, dass es klare Rahmenbedingungen für eine adäquate Betreuung der
Kinder und Jugendlichen gibt. Bei Vorkommnissen, die den Betreuungsgrundsätzen widersprechen, ist eine rasche
Reaktion im Interesse des Kindes beziehungsweise des Jugendlichen sicher gestellt.
|