Keine Mehrheit für Antrag der Grünen auf Abhaltung einer Volksbefragung
Brüssel/Wien (pk) - Der Verfassungsausschuss des Nationalrats hat seine Beratungen über das Volksbegehren
gegen CETA und TTIP abgeschlossen. Diskutiert wurde am 9. Oktober nochmals über die Themenbereiche Nachhaltigkeit,
öffentliche Dienstleistungen und Investitionsschutz, konkrete Beschlüsse haben die Abgeordneten allerdings
nicht gefasst. Nun wird sich der Nationalrat am Donnerstag mit dem abschließenden Bericht des Verfassungsausschusses
befassen.
Wann die Abgeordneten über CETA selbst abstimmen werden, ist noch offen. Die Regierung will das EU-Abkommen
mit Kanada dem Nationalrat erst dann zur Ratifikation vorlegen, wenn alle Fragen geklärt sind. Das hat Wirtschaftsminister
Harald Mahrer heute bestätigt. Er sieht wie Bundeskanzler Christian Kern noch einige Punkte ungelöst,
etwa was den geplanten Investitionsgerichtshof betrifft. Die Grünen wollen den "gordischen Knoten"
mit einer Volksbefragung lösen, ein entsprechender Antrag von Werner Kogler wurde allerdings nur von den Freiheitlichen
mit unterstützt und blieb damit in der Minderheit.
Insgesamt hat der Verfassungsausschuss vier Expertenhearings zum Volksbegehren abgehalten. Weitere geplante Anhörungen
fielen den Neuwahlen zum Opfer. Der Traisener Bürgermeister Herbert Thumpser, einer der InitiatorInnen des
Volksbegehrens, zeigte sich dennoch grundsätzlich zufrieden. Es sei ein großer Fortschritt, dass das
österreichische Parlament intensiv über CETA diskutiert habe, nachdem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude
Juncker angesichts des breiten Widerstands gegen CETA letztes Jahr noch gemeint hatte, "der österreichische
Klamauk" solle aufhören, sagte er. Thumpser appellierte an die Abgeordneten, bei ihren künftigen
Entscheidungen die 562.000 UnterzeichnerInnen des Volksbegehrens zu berücksichtigen.
Das Volksbegehren ( 1608 d.B.), das sich nicht nur gegen TTIP und CETA, sondern auch gegen das Dienstleistungsabkommen
TiSA richtet, wurde von 562.379 Personen bzw. 8,87% der stimmberechtigten ÖsterreicherInnen unterzeichnet.
Sie haben die Sorge, dass durch diese und ähnliche Abkommen die Macht internationaler Konzerne gegenüber
der Politik weiter gestärkt wird, zum Nachteil der BürgerInnen. Als besonders problematisch werden dabei
Sonderklagsrechte von Unternehmen gegen Staaten vor internationalen Schiedsgerichten gesehen. Auch eine Absenkung
von Sozial- und Umweltstandards sowie eine Aushöhlung des Vorsorgeprinzips wird von den UnterzeichnerInnen
befürchtet. CETA ist in weiten Teilen bereits vorläufig in Kraft getreten, das gesamte Abkommen wird
allerdings erst bei einer Ratifizierung durch alle 28 EU-Staaten wirksam.
Abgeordnete sehen noch viele Fragen offen
Das Volksbegehren habe dem Parlament die Gelegenheit gegeben, sich intensiv mit Handelsverträgen und Investitionsschutz
auseinanderzusetzen, hob Kai Jan Krainer (S) in der abschließenden Debatte hervor. Für ihn sind trotz
der eingehenden Diskussion aber eine Reihe von Fragen offen geblieben, vor allem was die Schiedsgerichte betrifft.
Er sieht daher seitens der SPÖ im Moment keine Möglichkeit, die Ratifikation von CETA positiv abzuschließen.
Auch Harald Stefan (F) und Werner Kogler (G) sind weiter skeptisch. Nicht alles an CETA sei schlecht, hielt Kogler
fest, im Abkommen seien aber – auch über die Schiedsgerichte hinaus – noch etliche Giftzähne drinnen.
Stefan ortet nach wie vor einige Unklarkeiten und offene Fragen. Ausdrücklich bedankten sich Stefan und Kogler
bei jenen, die sich gegen CETA und TTIP engagiert haben: Ohne öffentlichen Druck wäre es nicht zu Nachverhandlungen
bei CETA und zu einer intensiven parlamentarischen Diskussion gekommen, ist Stefan überzeugt.
Empört zeigte sich Kogler darüber, dass die Regierung dem Parlament CETA bis auf weiteres nicht zur Ratifikation
vorlegen will. Dadurch würde der Nationalrat daran gehindert, im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung
gegen das Abkommen zu stimmen. Eine Entscheidung noch in dieser Legislaturperiode wäre möglich gewesen,
betonte Kogler, dabei hätte es eine "satte und glatte Mehrheit" gegen CETA gegeben. Um den "gordischen
Knoten" zu lösen, schlug Kogler eine Volksbefragung vor, ein entsprechender Antrag fand jedoch nur die
Unterstützung der Grünen und der FPÖ und blieb damit in der Minderheit.
Handel und Investitionen bräuchten gemeinsame Spielregeln, betonte ÖVP-Abgeordneter Hermann Schultes.
Mit CETA habe man die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den europäischen Ländern und Kanada in
solche Regeln gegossen. Den KritikerInnen des Abkommens hielt Schultes entgegen, würde auch beim Brexit-Vertrag
über "den sechsten Beistrich von hinten" so intensiv diskutiert wie bei CETA, werde ein solcher
nie ratifiziert werden.
Eine Allianz von Recht- und Linkspopulisten ortet Nikolaus Scherak (N) in Sachen CETA. Er wisse nicht, was die
Grünen mit einer Volksbefragung bezwecken wollen, meinte er. Schließlich sei selbst vielen Abgeordneten
nach den intensiven Beratungen im Verfassungsausschuss noch nicht klar, was genau in CETA drinnen steht. Es wäre
ihm lieber gewesen, das Parlament hätte die Debatte weitergeführt.
Vor der abschließenden Generaldebatte hatten sich die Abgeordneten mit den Aspekten Nachhaltigkeit, öffentliche
Dienstleistungen und Investitionsschutz beschäftigt. In einem Expertenhearing kamen dabei Stefan Imhof (Bundeskanzleramt),
Ursula Kriebaum (Universität Wien), Alexandra Strickner (Attac) und August Reinisch (Universität Wien)
zu Wort, wobei das Abkommen unterschiedlich bewertet wurde.
Imhof: Neugestaltung der Schiedsgerichtsbarkeit als Folge der Kritik an Investitionsschutzklauseln
Wie Stefan Imhof unterstrich, besteht Konsens darüber, dass Europa die Globalisierung mitgestalten müsse,
wobei der Union als größtem Binnenmarkt der Welt große Verhandlungsmacht zukomme. CETA werde vor
allem auch als Vorbild für weitere Handelsabkommen gesehen. Die Kritik an den Investitionsschutzklauseln habe
zu einer Neugestaltung des Streitbeilegungsmechanismus und zur Einigung auf eine rechtsverbindliche interpretative
Erklärung geführt. Darin werde festgehalten, dass ausländische Investoren nicht besser gestellt
werden dürfen als inländische. Bei der Nachhaltigkeit wiederum spreche sich die Europäische Union
nunmehr für einen Sanktionsmechanismus aus.
Kriebaum: Neue Investitionsgerichtsbarkeit mit hoher Transparenz
Einen Streitbelegungsmechanismus brauche man, weil man sich in Kanada vor innerstaatlichen Gerichten und Behörden
nicht auf völkerrechtliche Verträge berufen könne, erklärte Ursula Kriebaum. Zudem habe Kanada
mit etlichen europäischen Ländern bilaterale Investitionsschutzabkommen abgeschlossen und würde
Abstriche beim Rechtsschutz wohl nicht akzeptieren. Die Transparenz des geplanten neuen Investitionsgerichtshofs
übersteige jedenfalls das bei Verfahren in den Nationalstaaten übliche Ausmaß. Die Befürchtung,
CETA könnte als Plattform für Klagen aus den USA genutzt werden, hielt Kriebaum nicht für angebracht,
zumal die Klagslegitimation eine substanzielle wirtschaftliche Tätigkeit in Kanada voraussetze. In Sachen
Nachhaltigkeit nehme CETA ausdrücklich Bezug auf Gesundheits-, Umwelt- und Sozialstandards, bekräftigte
sie.
Strickner: CETA nützt nur den großen Konzernen
Nach Meinung von Alexandra Strickner geht es bei CETA nicht primär um Handel. Der Kern des Abkommens sei vielmehr
die Deregulierung und die Öffnung der Märkte sowie die Schaffung von Sonderrechten für ausländische
Investoren und Konzerne. Sie beanstandete, dass es dabei keine Durchsetzungsrechte in den Bereichen Arbeitnehmerrechte
und Umweltschutz gibt. Strickner befürchtet auch, dass die Sonderklagsrechte de facto sehr tief in die innerstaatliche
Regulierungskompetenz eingreifen werden. Schwere Bedenken brachte sie überdies gegen die Bestimmungen hinsichtlich
der öffentlichen Dienstleistungen vor, wo sie vor Liberalisierungen warnte, die ihrer Meinung nach nur schwer
wieder rückgängig gemacht werden könnten.
Reinisch: Investitionsgerichtshof bietet mehr Transparenz als nationale Systeme
August Reinisch stellte klar, dass CETA keine Schiedsgerichte beinhalte, sondern vielmehr einen internationalen
Investitionsgerichtshof vorsieht. Dessen Gerichtsbarkeit sei wesentlich transparenter als innerstaatliche Systeme.
So müssten sämtliche Verfahrensschritte offengelegt werden. Ein Spill-over-Effekt auf die Gerichtsbarkeit
in den Nationalstaaten wäre hier wünschenswert. Was die Anrufung der Schiedsgerichte grundsätzlich
betrifft, zeige die Erfahrung, dass nicht primär Großkonzerne klagen, sondern eher kleine Unternehmen
oder sogar Einzelpersonen. Konzerne würden eher den direkten Kontakt zu den Staaten suchen.
Mahrer will mit Weiterleitung von CETA an das Parlament noch zuwarten
Wirtschaftsminister Harald Mahrer betonte mit Nachdruck, CETA gehe bei der Nachhaltigkeit von extrem hohen Standards
aus. Das Vorsorgeprinzip sei EU-Primärrecht und gelte daher auch für den Handelsvertrag mit Kanada. Überdies
werde in CETA explizit festgelegt, dass es Sache der Vertragsstaaten ist, selbst zu entscheiden, ob sie Dienstleistungen
privatisieren wollen. Sie müssen dies jedenfalls nicht tun, unterstrich Mahrer und folgerte daraus, die Leistungen
der Daseinsvorsorge seien ausreichend gesichert. Wichtig ist für den Minister auch, dass im Arbeitsrecht alle
acht Kernnormen der ILO nun auch von Kanada ratifiziert wurden.
Zur weiteren Vorgangsweise kündigte Mahrer an, vor einer Weiterleitung von CETA an den Nationalrat werde man
noch eine Reihe von Gutachten und Entscheidungen auf EU-Ebene abwarten. Offen sei etwa noch der Umweltteil im Lichte
des Pariser Klimavertrags, wo es allerdings bereits im Auslegungsinstrumentarium einen entsprechenden Verweis gebe.
Thumpser: Daseinsvorsorge muss Allgemeingut bleiben
Herbert Thumpser stellte als Bevollmächtigter des Volksbegehrens abschließend klar, er sei weder für
Protektionismus noch für uneingeschränkten Freihandel. Umwelt- und Sozialstandards sowie demokratische
Handlungsspielräume für die nationalen Parlamente müssten bewahrt bleiben. Diese Voraussetzungen
erfülle CETA nicht, zumal der Handelsvertrag große Konzerne zulasten von ArbeitnehmerInnen, landwirtschaftlichen
ProduzentInnen und KMU bevorzuge. Schwere Bedenken brachte Thumpser überdies hinsichtlich der öffentlichen
Dienstleistungen vor. Die bisherigen Liberalisierungs- und Privatisierungstendenzen auf diesem Gebiet hätten
sich negativ auf die Interessen der Bevölkerung ausgewirkt. Es gehe nicht an, dass die Daseinsvorsorge, die
ja Allgemeingut sein sollte, als Geschäftsfeld für den Wettbewerb geöffnet und Gegenstand von Gewinninteressen
werde. Konkret warnte Thumpser in diesem Zusammenhang vor einer Privatisierung der Wasserversorgung. Auf Ablehnung
des Bevollmächtigten stößt zudem auch jegliche Sondergerichtsbarkeit für Investoren, wobei
er argumentierte, diese würde nur den Großkonzernen nützen.
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